Politik

Lauterbach und das Ministeramt Twitter will Karl, aber will ihn auch die SPD?

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Corona-Erklärer der Nation, inzwischen aber ohne Fliege unterwegs: SPD-Politiker Karl Lauterbach.

(Foto: imago images/Future Image)

Karl Lauterbach hat sich in der Pandemie viel Respekt erarbeitet. Sein medizinisches Fachwissen könnte ihn zum Gesundheitsminister der Ampel machen. Doch es gibt auch Punkte, die gegen ihn sprechen.

#wirwollenKarl - Twitter-Nutzer sind um einfache Parolen ja nie verlegen. Und Karl Lauterbach, der hier gemeint ist, ist irgendwie Teil von Twitter, ein "SPD Bundestagsabgeordneter, der noch selbst tweetet", wie er in seinem Profil schreibt. Täglich setzt Lauterbach Einträge ab, zu neuesten Corona-Studien aus aller Welt, zur pandemischen Lage, zu Prognosen und Modellen - und erhält dafür viel Aufmerksamkeit.

In den vergangenen mehr als 20 Monaten hat sich der promovierte Epidemiologe und Gesundheitsökonom viel Respekt verschafft, über die Parteigrenzen hinweg. In unzähligen Interviews, Beiträgen und Statements wurde er zu einem der wichtigsten Pandemie-Erklärer Deutschlands und lag, ganz nebenbei bemerkt, mit seinen Voraussagen meist richtig. Er packte auch mit an und arbeitete als Impfarzt. Er vertrat seine Meinung, trotz unsachlicher Kritik und Häme, trotz Hass und Drohungen gegen seine Person, obwohl er inzwischen Polizeischutz braucht.

Ein Teil der Twitter-Gemeinde dankt es ihm: Sie wollen Karl, und zwar als Gesundheitsminister der Ampel-Koalition. Doch was die Twitter-Blase will, geht selten in Erfüllung. Auch wenn es logisch erscheint: Das Gesundheitsressort wird von der SPD besetzt, so steht es im gestern vorgestellten Koalitionsvertrag. Und Lauterbach ist derzeit der bekannteste Gesundheitsexperte der Partei, der er seit 2001 angehört (zunächst war er CDU-Mitglied, inzwischen aber "100 Prozent Sozialdemokrat").

Abgeneigt ist er selbst nicht, auch wenn er das zuletzt vorsichtiger formulierte als noch vor ein paar Monaten. "Ich bin seit langer Zeit in diesem Bereich tätig, also wäre es eine Überraschung, wenn ich das grundsätzlich nicht machen wollte", sagte er am Mittwochabend "RTL Direkt". "Aber es gibt andere, die das können, es geht hier nicht um mich", fügte er hinzu.

Geritzt ist die Sache also noch lange nicht, aus Paritäts- und Proporzgründen, aus innerparteilichen und vielleicht auch persönlichen Gründen.

Parität und Proporz

Erst Anfang Dezember, zum Parteitag, will die SPD ihre Ministernamen verkünden - gerade im Gesundheitsressort verstreicht damit wertvolle Zeit, in der sich der künftige Amtsinhaber oder die künftige Amtsinhaberin mit dem amtierenden Ressortchef Jens Spahn zur Pandemie austauschen könnte. Zudem muss der designierte Kanzler Olaf Scholz bei der Amtsvergabe sein Paritäts-Versprechen einlösen, die gleichmäßige Besetzung mit Männern und Frauen.

Die FDP hält sich nicht dran und wird voraussichtlich drei Männer und eine Frau an den Kabinettstisch schicken. Bei den fünf Grünen-Ministerinnen und -Ministern dürften wiederum die Frauen überwiegen, aber das reicht nicht. Für den Ausgleich müssen letztlich die Sozialdemokraten sorgen - weshalb auch hier am Ende mehr Frauen Ressortchefinnen werden könnten. Für einen Mann wie Lauterbach sinken damit die Chancen.

Hinzu kommt der Proporz, also die Beteiligung möglichst vieler Gruppen und Interessenvertretungen der Partei. Lauterbachs Landesverband Nordrhein-Westfalen ist mit Ministerin Svenja Schulze und Fraktionschef Rolf Mützenich bereits in der vordersten SPD-Reihe vertreten. Beide könnten auch in der neuen Regierung sitzen - das Gesundheitsressort dürfte dann eher an einen anderen Landesverband gehen.

Natürlich gibt es gute Gründe für Lauterbach als Minister: Bereits vor der Pandemie war der 58-Jährige ein versierter Gesundheitsexperte. Der Ausbruch des Coronavirus machte ihn auch außerhalb der Fachkreise bekannt, dank seines Wissens als Epidemiologe. Ein solcher Spezialist ist derzeit Gold wert - und würde manche Fehler vermeiden helfen. Doch ein Ministeramt basiert nicht nur auf Fachwissen. Ist Lauterbach, der zwar mal dem Kompetenzteam von Peer Steinbrück angehörte, aber nie in der Exekutive tätig war, diesem auch organisatorisch gewachsen? Und hat er genügend Unterstützung in der eigenen Partei, der eigenen Fraktion?

Lauterbach, der Eigenbrödler

Unbeliebt ist Lauterbach dort nicht, er ist umgänglich und verfügt über Humor. Er kann sich sogar selbst auf die Schippe nehmen, wie in einem Video mit Carolin Kebekus. Doch er gilt auch als eigensinnig und verkopft. "Karl hat eine Studie gelesen", ist in der Fraktion ein geflügeltes Wort, seit er dort stellvertretender Vorsitzender war. Immer wieder soll er in Fraktionssitzungen aus wissenschaftlichen Arbeiten zitiert haben, nicht nur aus dem Gesundheitsbereich, heißt es in Fraktionskreisen. Manchen gilt er seitdem als Streber.

Lauterbach ist Wissenschaftler durch und durch, fast schon ein Nerd. Er ist zwar promovierter und approbierter Arzt, hat aber die meiste Zeit seines Berufslebens, bevor er 2005 in den Bundestag einzog, an Universitäten und Instituten verbracht. In der Pandemie liest er bis spät in die Nacht bei einem Glas Wein Studien zum Coronavirus, um sie dann bei Twitter zu teilen, zu bewerten und zu kommentieren.

Oft war Lauterbach in den vergangenen Monaten in den Medien vertreten, in Interviews und Talkshows. Die Omnipräsenz aber kommt bei Fraktionskollegen nicht nur gut an, zumal Lauterbach die Partei nicht offiziell gesundheitspolitisch vertritt. Er gilt nicht als Team-Mensch. Netzwerke spinnen, Strippen ziehen - das sind nicht Lauterbachs Stärken. Doch als Chef eines großen Hauses, zumal während einer Pandemie, wäre dies dringend nötig.

Scholz will sich in den kommenden Tagen "sehr intensiv an die Arbeit machen, eine hervorragende Besetzung der sozialdemokratischen Ressorts zustande zu bringen", wie er am Mittwoch sagte. Ob er dabei an Lauterbach denkt? Trotz aller Kompetenz gilt das als unwahrscheinlich. Eher gehandelt werden die sächsische Sozialministerin Petra Köpping, mit der die ostdeutschen SPD-Verbände bedient werden könnten, und Sabine Dittmar, die aus Bayern stammende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Letztere sitzt auch im Gesundheits-Ausschuss des Bundestages, sie ist Medizinerin mit praktischer Erfahrung. Lauterbach könnte dann immer noch parlamentarischer Staatssekretär der Ministerin werden. Oder eine Funktion im geplanten Krisenstab übernehmen. Und Twitter bleibt ihm ohnehin. Dort wollen sie Karl.

Quelle: ntv.de

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