
Ukrainische Soldaten bei einer Übung in Charkiw. Gepanzerte Fahrzeuge sollen die Wende im Krieg bringen.
(Foto: dpa)
Planung, Material, Koordination: Ohne die USA ginge in der Ukraine wenig, der Abwehrkrieg gegen die russische Invasion wäre wohl schon verloren. Hinter den Kulissen erwartet Washington von Kiew vorzeigbare Erfolge. Denn die Unterstützung könnte bröckeln.
Kritisch. So ist die Situation in der Ukraine im ersten Kriegsjahr schon mehrfach gewesen. Als die russischen Truppen vor den Toren der Hauptstadt Kiew standen. Als Russland kurz vor dem Winter mit Drohnen und Raketen zivile Infrastruktur zerstörte, um die Moral der Bevölkerung im bitterkalten Winter zu brechen. Und womöglich wieder, falls die russische Armee mit ihrer Offensive im Donbass den ukrainischen Kräften zuvorkommen sollte, die auf die Panzer der Hilfskoalition warten.
Critical, also entscheidend, sind die Vereinigten Staaten dabei gewesen, dass die Ukraine so lange durchgehalten hat. Das hat zwar auch mit dem Geld und den Waffen zu tun, die von dort nach Osteuropa geschickt wurden, ist aber längst nicht alles. Die Vereinigten Staaten koordinieren die Allianz helfender Staaten. Sie gehen bei den Hilfestellungen meist voran, und die europäischen Länder trippeln hinterher. Die USA planen zudem im Detail die Strategie mit der ukrainischen Führung. Dabei macht das US-Militär seine Erfahrung und Informationen geltend.
Als US-Präsident Joe Biden in Kiew war, berieten er und seine Delegation sich dort stundenlang mit ihren ukrainischen Verbündeten. Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj zeigte sich danach dankbar. "Unsere Verhandlungen waren sehr fruchtbar, sehr wichtig und fundamental", sagte er. "Diese Unterhaltung bringt uns dem Sieg näher." Am 24. Februar 2022, als die groß angelegte Invasion seines Landes durch das russische Militär begonnen hatte, rief er zunächst das Weiße Haus an. Bis heute ist es der erste Ansprechpartner, auch in strategischen Fragen. In Gesprächen auf höchster Ebene heißt es seit Jahresbeginn: Die Zeit für Erfolge drängt.
Druck auf Kiew
Die USA als einzelnes Land haben bis zum 21. Februar mit Abstand die meisten Hilfen zur Verfügung gestellt: insgesamt im Wert von 73,18 Milliarden Euro, davon 44,34 Milliarden Euro für Waffen, Munition und weiteres, zudem 25,11 Milliarden Euro Finanzhilfen sowie 3,72 Milliarden Euro für humanitäre Leistungen. Großbritannien liegt mit Gesamthilfen im Wert von 8,03 Milliarden Euro dahinter, Deutschland mit 6,15 Milliarden Euro auf Rang drei. Die EU unterstützte die Ukraine mit 35 Milliarden Euro, und kommt so insgesamt auf 54,9 Milliarden Euro an Hilfen.
In absoluten Zahlen ist der Unterschied zwischen den einzelnen Ländern immens. Nicht aber umgerechnet auf das Bruttoinlandsprodukt: Estland gibt mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus und liegt damit vor den anderen beiden baltischen Staaten und Polen. Die USA folgen auf Rang 5 mit 0,37 Prozent, Deutschland gibt nur 0,17 Prozent aus. Deutschland versucht derzeit, die versprochenen zwei Bataillone mit Leopard-Panzern aus verschiedenen Ländern zusammenzubekommen. Solche Probleme dürften die USA bei der Lieferung ihrer 31 versprochenen M1 Abrams Panzer nicht haben.
Für die Ukraine bedeutet die enge Zusammenarbeit mit den USA: Druck. Schon bald, wenn ab April die ersten schweren Panzer rollen, will Washington eine Offensive und Ergebnisse sehen, schreibt die "Washington Post". Mehrere hochrangige Regierungsmitglieder machten dies demnach schon im Januar den Verantwortlichen in Kiew klar. CIA-Chef William Burns etwa informierte Selenskyj über Russlands Pläne. Entscheidende Erfolge auf den Schlachtfeldern sollen in den kommenden Monaten erreicht werden.
Das widerspricht dem Mantra "solange es nötig ist", das US-Präsident Joe Biden und andere US-Vertreter beständig wiederholen, und ebenso den Beteuerungen, die Vereinigten Staaten stellten sich auf einen langen Krieg ein. Zuletzt hatten US-Vertreter dies auf der Münchner Sicherheitskonferenz betont, ebenso Biden bei seinem Besuch in Warschau.
Unterstützung in den USA schwindet
Die Mahnung zur Eile an die ukrainische Führung hat politische Gründe. Die Mehrheit der Demokraten im Kongress ist zerbrochen, die Republikaner haben die Kontrolle über das Repräsentantenhaus übernommen. Bislang haben auch die meisten Konservativen die Ukraine-Hilfen unterstützt, aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss oder kann. Die Präsidentschaftswahlen 2024 in den USA rücken immer näher, und niemand weiß genau, welche Effekte der Wahlkampf auf Öffentlichkeit und Kongress haben wird.
Umfragen zeigen, dass die Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine abnimmt, vor allem bei republikanischen Wählern. Von denen sagten neun Prozent im März 2022 zu Pew Research, die USA würden die Ukraine zu stark unterstützen. Im Januar waren es 40 Prozent. Unter allen Wahlberechtigten nahm die Zahl von 7 auf 26 Prozent zu. In einer Umfrage von AP sagten 29 Prozent aller US-Amerikaner, sie seien gegen Waffenlieferungen, 48 Prozent sind dafür. Im Mai 2022 waren es noch 60 Prozent.
Die US-Amerikaner haben keine guten Erfahrungen mit langen Kriegen in Übersee. In Vietnam bissen sich die USA zwischen 1964 und 1975 am kommunistischen Norden mehr als ein Jahrzehnt die Zähne aus, am Ende blieben Hunderttausende traumatisierte Soldaten und die Niederlage. Das "Nation Building" im Irak scheiterte, und als sich nach 20 Jahren die USA aus Afghanistan zurückzogen, übernahmen die Taliban wieder die Macht. Alles fiel in wenigen Tagen wieder in sich zusammen. Im Krieg in der Ukraine haben die USA keine "boots on the ground", also keine eigenen Truppen im Einsatz, und er tobt erst seit einem Jahr. Aber die Erfahrungen mit früheren sogenannten "forever wars", nicht endenden Kriegen, könnten die öffentliche Meinung und damit auch die Entscheidungsträger im Kongress beeinflussen.
"Wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass wir nicht ewig alles tun können", sagte laut dem Bericht ein führender Regierungsmitarbeiter über die Gespräche mit der Ukraine. Demnach hält es Bidens Regierung für schwer vorstellbar, dass der Kongress zukünftig Hilfen in ähnlichem Ausmaß wie bislang bewilligt. Die US-Regierung will damit sowohl die Republikaner beschwichtigen als auch den Verlauf des Krieges in Europa möglichst beschleunigen. Damit die Republikaner weiterhin für Hilfsprogramme stimmen, muss ihnen klar sein, dass die Demokraten um Biden in der Ukraine auf ein absehbares Ende des Krieges drängen.
Befreiung der Krim unrealistisch
Über die militärische Vorgehensweise sind die USA und Ukraine offenbar nicht immer einer Meinung. So halte das US-Militär die Stadt Bachmut nicht für kriegsentscheidend und hielte die Ressourcen und Truppen woanders für besser eingesetzt, heißt es in US-Medien. Selenskyj hingegen will die seit Monaten hart umkämpften Stellungen nicht aufgeben, weil sie für die Ukraine symbolisch ist. Die Russen zahlen einen hohen Blutzoll im Ringen um die Stadt. Die US-Amerikaner sehen hingegen den Erfolg einer Frühlingsoffensive als wichtiger, weil kriegsentscheidend.
Das Ziel der beiden Länder ist zumindest nach außen dasselbe: keine russischen Truppen mehr auf dem kompletten Staatsgebiet der Ukraine. Das schließt die Krim ein. Die US-Geheimdienste sind jedoch überzeugt, dass die ukrainische Armee zur Rückeroberung der Halbinsel mehr Waffen bräuchten, als sie derzeit haben. All dies wissen auch die Politiker im US-Kongress, die von den Geheimdiensten über den Stand des Krieges informiert werden und auch danach ihr Abstimmungsverhalten ausrichten. Davon hängt wiederum ab, wie umfassend die USA der Ukraine auch in Zukunft helfen.
Mindestens bis Ende des Sommers, wenn sich nach Einschätzung der USA die vom Kongress bewilligten Hilfen erschöpfen, werden die Vereinigten Staaten ihre Rolle beibehalten; damit die Ukraine so viel Land wie möglich befreien kann, bevor sich alle mit Russlands Präsident Wladimir Putin an einen Tisch setzen. Das wäre ein optimistischer Ausgang aus Sicht der USA: Die Ukraine wehrt die russische Offensive ab, befreit bei einer eigenen im Süden weite Territorien und zwingt damit Putin vor Jahresende zu Verhandlungen. Ob es so kommt, hängt von der Unterstützung der westlichen Allianz ab, was das russische Militär unternimmt - und was dann auf den Schlachtfeldern geschieht.
Quelle: ntv.de