Geheime Dokumente zum Krieg Worum es bei den US-Leaks zur Ukraine geht
11.04.2023, 10:58 Uhr (aktualisiert)
Die Dokumente sollen auch Informationen über westliche Waffenlieferungen in die Ukraine beinhalten.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Schon seit Wochen kursieren in sozialen Netzwerken offensichtlich geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. In den USA berichten seit Tagen Medien über das sensible Material zu beiden Kriegsparteien, ohne die heiklen Dokumente selbst zu veröffentlichen. Unklar ist weiter, wie die Papiere an die Öffentlichkeit kommen konnten. Das Investigativnetzwerk Bellingcat wies nach, dass die Dokumente teils im Nachhinein manipuliert wurden. Einige Fragen und Antworten zu den Leaks.
Was genau steht in den Veröffentlichungen?
Die geheimen Dokumente beinhalten US-Medien zufolge zahlreiche sensible Informationen - unter anderem zu Waffenlieferungen und Angaben zum Munitionsverbrauch. Es gibt auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf eingezeichnet ist, und Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Einige der als "geheim" gekennzeichneten Schriftstücke stammten vom Februar und März, wie das Nachrichtenportal "Politico" berichtete. Informationen gab es demnach auch zu Plänen der NATO und der USA, wie das ukrainische Militär auf eine bevorstehende Frühlingsoffensive vorbereitet und bewaffnet werden soll. Auch Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten seien vermerkt. Die "New York Times" berichtete zudem über weitere Details. Demnach versuchten die USA auch, ukrainische Offizielle auszuspionieren. Dennoch verstehe die US-Seite besser, was die Russen vorhaben, als was die Ukraine plant. So hätten die US-Geheimdienste Kiew Echtzeitwarnungen über den genauen Zeitpunkt russischer Angriffe samt konkreter Ziele liefern können.
War's das?
Nein, die Leaks beschränken sich nicht nur auf die Ukraine. Analysen und Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China oder Israel, seien ebenfalls in den Dokumenten enthalten, schrieb die Zeitung "Washington Post". Auch lasse sich teilweise erkennen, mit welchen Methoden die US-Geheimdienste die Informationen gesammelt hätten und wer die Quellen seien. Die Unterlagen stammten offensichtlich von verschiedenen US-Geheimdiensten und sogar vom Oberkommando der US-Streitkräfte, berichtete das "Wall Street Journal". Es scheine sich um Briefing-Unterlagen zu handeln, hieß es.
Sind die Dokumente echt?
Vermutlich, aber es gibt einen Haken. Dem Bellingcat-Experten Aric Toler zufolge machten die Dokumente zuerst auf der bei Gamern beliebten Plattform Discord die Runde. Von dort wurden sie von russischen Nutzern dann weiterverbreitet. Demnach könnten sie echt sein, Toler wies aber auch nach, dass einige Dokumente im Nachhinein klar manipuliert wurden. Der US-Sender CNN berichtete, Regierungsmitarbeiter hätten die Echtheit der Unterlagen bestätigt. Viele der Dokumente schienen nicht gefälscht zu sein und glichen im Format denjenigen des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, bestätigten Regierungsmitarbeiter der "Washington Post". Die Unterlagen des Oberkommandos der Streitkräfte sähen authentisch aus, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf Regierungsmitarbeiter.
Was sagen die USA?
Die US-Behörden scheinen die Sache sehr ernst zu nehmen. Sowohl das Pentagon als auch das Justizministerium untersuchen die Vorfälle. US-Präsident Joe Biden sei "besorgt" über die Menge der Dokumente, die an die Öffentlichkeit gelangt sei, bestätigte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter "Politico".
Wer steckt nun aber hinter dem Leak?
Das ist nicht klar. Der Maulwurf wird jetzt fieberhaft gesucht. Die Ermittlungen richteten sich zuallererst nach innen, berichtete CNN unter Berufung auf Regierungskreise. Im Internet sind Fotografien von Ausdrucken der geheimen Dokumente zu sehen. Hunderte, vielleicht Tausende Mitarbeiter und Außenstehende mit der entsprechenden Sicherheitsstufe hätten Zugang gehabt, sagte ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der "Washington Post". Solche Verstöße gehörten zu den schwersten Verbrechen, die es in Bezug auf die nationale Sicherheit der USA gebe, sagte eine ehemalige Anwältin der US-Luftwaffe der Zeitung.
Könnte die Veröffentlichung sogar Einfluss auf das Kriegsgeschehen nehmen?
Möglich. Die Dokumente könnten der Ukraine und den USA gleich in mehrfacher Hinsicht schaden. Zwar seien sie schon einige Wochen alt, dennoch könnten sie Moskau wertvolle Informationen liefern, sagte Dmitri Alperovitch, Vorstand der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, der "Washington Post". Auch wenn sie keine konkreten Schlachtpläne enthielten, zeigten sie doch Art und Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraine angekommen seien, wie viele Soldaten sie bedienen könnten und wie sich die Ukraine gegen russische Angriffe verteidigen wolle. Außerdem machten die Dokumente deutlich, wie weitgehend Russlands Sicherheitsapparat von US-Geheimdiensten durchdrungen sei, schrieb die "New York Times". Das gebe Moskau Informationen darüber, wo seine die Schwachstellen lägen.
Wie reagierten die Ukraine und Russland auf die Veröffentlichung?
Die Ukraine behauptet seit Tagen, es handele sich um von Russland gefälschte Dokumente. "Es ist ein gewöhnliches Geheimdienstspiel", meinte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak. Die russischen Geheimdienste hätten die Dokumente selbst erstellt, um unter Kiews Verbündeten Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächsten Etappen im Krieg abzulenken. Russland hingegen sieht durch die Berichte in den USA einmal mehr die Verwicklung Washingtons im Konflikt in der Ukraine bestätigt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte CNN, dass die Beteiligung der USA und der NATO an dem Konflikt weiter zunehme. "Wir behalten den Prozess im Blick." Russland erwartet aber keinen Einfluss auf seine Kriegsführung - und rechnet mit einem Sieg. Dagegen stellte das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) Angst und Nervosität unter russischen Kriegsbloggern nach Veröffentlichung der Dokumente fest.
Was bedeutet der Leak für die Partner der USA?
Wie aus den Unterlagen hervorgeht, spionierten die US-Dienste auch in den Reihen der eigenen Verbündeten. Das könnte Verstimmungen zwischen den Alliierten sorgen. Auch werfen die Veröffentlichungen neue Fragen darüber auf, wie sicher Geheimdienstinformationen sind, die andere Länder an die USA weiterleiteten, hieß es mit Blick auf den weitreichenden Austausch von geheimen Informationen zwischen den sogenannten Five-Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 09. April 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, ses/dpa