Die Kriegsnacht im Überblick Ukraine meldet massive russische Truppenverlegung - US-Schätzung: 75.000 Russen getötet oder verletzt
28.07.2022, 07:09 Uhr
Aus Sicht westlicher Sicherheitskreise macht die Ukraine Fortschritte bei einer Gegenoffensive in der Region Cherson im Süden des Landes. Kiew berichtet von massiven Truppenverlegungen Russlands nach Cherson und angrenzende Gebiete. Nach Schätzungen aus den USA hat Russland zudem bereits Zehntausende Opfer zu beklagen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigt unterdessen an, Europa bei der drohenden Energiekrise mit Stromexporten unterstützen zu wollen. Und US-Außenminister Blinken will zum ersten Mal seit Beginn des Krieges mit seinem russischen Amtskollegen reden. Für die Ukraine ist es der 155. Tag des Krieges.
Westliche Kreise sehen Fortschritte bei Kampf der Ukraine
Bei ihrer Gegenoffensive mache die Ukraine Fortschritte, hieß es am Mittwoch aus westlichen Sicherheitskreisen. So hätten die Ukrainer in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch erneut eine Brücke über den Dnipro-Fluss getroffen, die für Moskau eine wichtige Nachschubroute darstelle. "Die Flusskreuzung ist nun vollständig unpassierbar", hieß es. Auf russischer Seite gebe es ernsthafte Probleme bei der Versorgung und der Moral der Streitkräfte. "Unserer Ansicht nach ist eine operative Pause unausweichlich", sagte ein hochrangiger westlicher Beamter.
Der ukrainische Präsident Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache am Mittwoch mit Blick auf die von ukrainischen Streitkräften bombardierte Brücke über dem Fluss Dnipro im südlichen Gebiet Cherson, dass nach der Rückeroberung alles wieder aufgebaut werde. "Wir werden unser ganzes Land mit militärischen, diplomatischen und allen anderen zugänglichen Instrumenten befreien."
Ukraine meldet massive russische Truppenverlegung
Einem hochrangigen Berater Selenskyjs zufolge unternimmt Russland eine "massive Verlegung" von Truppen in Richtung der drei südlichen Regionen Cherson, Melitopol und Saporischschja. Der Berater Oleksyj Arestowytsch bestätigt zudem frühere Angaben prorussischer Kräfte, wonach das zweitgrößte Kraftwerk des Landes in russischer Hand ist.
Schätzung: Etwa 75.000 Russen getötet oder verletzt
Im Krieg gegen die Ukraine gehen die Opferzahlen auf russischer Seite nach Schätzungen aus den USA längst in die Zehntausende. "Wir wurden darüber informiert, dass mehr als 75.000 Russen entweder getötet oder verletzt wurden, was enorm ist", zitierte der Sender CNN Elissa Slotkin, eine demokratische Abgeordnete aus dem Repräsentantenhaus, die zuvor an einem geheimen Briefing der US-Regierung teilgenommen hatte.
Ukraine will EU mit Strom unterstützen
Mit Blick auf die Energiekrise in Europa bot Selenskyj der EU eine Unterstützung mit Strom aus seinem Land an. "Wir bereiten uns auf die Erhöhung unseres Stromexports für die Verbraucher in der Europäischen Union vor", sagte er. "Unser Export erlaubt es uns nicht nur, Devisen einzunehmen, sondern auch unseren Partnern, dem russischen Energiedruck zu widerstehen", meinte er mit Blick auf die von Russland deutlich reduzierten Gaslieferungen. "Schrittweise machen wir die Ukraine zu einem der Garanten der europäischen Energiesicherheit, eben über unsere inländische Elektroenergieproduktion."
Russlands Energieriese Gazprom hatte die Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 wegen angeblicher technischer Probleme am Mittwoch erneut gesenkt - diesmal auf 20 Prozent des maximalen Umfangs. Da importiertes Gas zu geringen Teilen auch zur Stromgewinnung genutzt wird, ist eine Debatte über eine mögliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in Deutschland entbrannt. Befürworter erhoffen sich davon mehr Gas und Wärme für Privathaushalte, Industrie und öffentliche Einrichtungen im Winter.
US-Außenminister Blinken will mit Lawrow reden
Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will US-Außenminister Antony Blinken mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow sprechen. Bei dem Telefonat "in den kommenden Tagen" solle es um die Freilassung der in Moskau inhaftierten US-Basketballerin Brittney Griner und ihres Landsmanns Paul Whelan gehen, sagte Blinken bei einer Pressekonferenz in Washington am Mittwoch. Das russische Außenministerium teilte am Abend mit, es gebe kein offizielles Gesuch für ein solches Gespräch. Statt Diplomatie per "Megafon" zu betreiben, solle sich Washington an die diplomatische Praxis halten, hieß es aus Moskau.
Getreideabkommen soll umgesetzt werden
Blinken kündigte an, mit Lawrow auch über die Einhaltung des neuen Abkommens zur geschützten Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine zu sprechen. "Die Vereinbarung ist ein positiver Schritt nach vorn, allerdings gibt es einen Unterschied zwischen einer Vereinbarung auf dem Papier und einer Vereinbarung in der Praxis", sagte Blinken.
Am Freitag hatten die Ukraine und Russland mit den UN und der Türkei ein Abkommen unterzeichnet, um Getreideausfuhren von drei ukrainischen Häfen über das Schwarze Meer zu ermöglichen. Von der Vorjahresernte warten ukrainischen Angaben zufolge noch über 20 Millionen Tonnen Getreide auf den Export. Der Hafenbetrieb war nach der russischen Invasion Ende Februar aus Sicherheitsgründen eingestellt worden. Die Ukraine verminte zudem ihre Küste zum Schutz vor russischen Landungseinsätzen. Die Häfen haben die Arbeit inzwischen wieder aufgenommen.
Was am Donnerstag wichtig wird
- Außenministerin Annalena Baerbock bricht am Donnerstag zu einer dreitägigen Reise nach Griechenland und in die Türkei auf. Der Besuch der Grünen-Politikerin bei den beiden NATO-Partnern wird ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs und dessen Folgen stehen. Die Türkei unterhält gute Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine und versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Seit dem von Russland am 24. Februar begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten sich Vertreter beider Seiten mehrfach unter anderem in der Türkei zu Verhandlungen getroffen. Die Gespräche brachten bislang keine großen Fortschritte - einen Erfolg konnte Ankara aber bei den Bemühungen im Konflikt um Getreideexporte verbuchen.
Alle weiteren Entwicklungen können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.
Quelle: ntv.de, kst/dpa