Soldaten sprechen von "Krieg" Unruhedistrikt unter Kontrolle
23.07.2009, 18:54 UhrDer "Stabilisierungseinsatz" der Bundeswehr in Nordafghanistan stößt im Bundestag außer bei der Linken auf weitgehende Unterstützung. Bemängelt wird allerdings die Beschönerung seitens der Bundesregierung.

Die Bundeswehr in Afghanistan (Archivaufnahme von Juli 2008).
(Foto: REUTERS)
Bei der bislang größten Militäroffensive der Bundeswehr in Nordafghanistan gibt es offenbar erste Fortschritte. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammad Omar, sagte, deutsche und afghanische Soldaten hätten den Unruhedistrikt Char Darah wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Die Taliban-Kämpfer und die Al-Kaida-Terroristen seien aus dem Gebiet vertrieben worden. Mindestens 13 Aufständische seien getötet und zahlreiche weitere verletzt worden.
Bundeswehrsoldaten unverletzt
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul kamen bei den Gefechten auch vier afghanische Soldaten ums Leben. Bundeswehr-Soldaten seien nicht verwundet worden, teilte das Einsatzführungskommando in Potsdam mit. Zu weiteren Einzelheiten wollte man sich dort unter Verweis auf die noch laufende Operation allerdings nicht äußern.
An der seit mehreren Tagen andauernden Offensive, bei der die Bundeswehr erstmals auch Panzer und schwere Waffen einsetzt, sind rund 300 deutsche Soldaten und 900 afghanische Sicherheitskräfte beteiligt. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte den Einsatz am Mittwoch mit der Verschlechterung der Sicherheitslage im Raum Kundus begründet. Vor allem im Distrikt Char Darah hatte sich die Situation zuletzt massiv zugespitzt. Erst Ende Juni waren dort drei deutsche Soldaten bei einem Gefecht mit Taliban-Kämpfern ums Leben gekommen.
Weitgehende Unterstützung im Bundestag
Außer bei der Linken, die den Afghanistan-Einsatz grundsätzlich ablehnt, stößt die Militäroffensive im Bundestag auf weitgehende Unterstützung. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Bernd Siebert (CDU), sagte dem Radiosender hr-Info, die Taliban müssten "als Terroristen und als Verbrecher bekämpft werden". Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger erklärte, die militärische Präsenz in der Region mache nur Sinn, wenn die Bundeswehr nicht bloß reagiert, "sondern auch aktiv für Sicherheit sorgt".
Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei bezeichnete die Operation als zumindest "verständlich", weil es in der Region einen "gefährlichen Kontrollverlust" gegeben habe. Er beklagte allerdings, dass der Bundestag nicht im Vorfeld unterrichtet worden sei. "Es wäre ein Gebot von selbstverständlicher politischer Klugheit gewesen, das Parlament in geeigneter Form zu informieren."
"Regierung beschönigt Afghanistan-Einsatz"
Auch wird der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan nach Nachtweis Ansicht von der Bundesregierung beschönigt. "Soldaten, mit denen ich kürzlich in Kundus gesprochen habe, reden von Krieg", sagte der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag der "Münsterschen Zeitung". Die Bundesregierung sei mit dem Einsatz "nie offen, ehrlich und konkret" umgegangen. "Da wurde lieber beschönigt, als die ganze Wahrheit zu sagen", sagte Nachtwei. Seit April gebe es in Afghanistan immer mehr kriegsähnliche Situationen. Kundus habe sich zu einem Hauptangriffsziel der Taliban entwickelt.
Ebenso warf Homburger Jung "massive Versäumnisse vor", weil er der deutschen Bevölkerung nicht sage, dass sich die Soldaten am Hindukusch im Kampfeinsatz befänden. "Mit dem Begriff 'Stabilisierungseinsatz' beschönigt er die Lage nur."
Offensive letztlich kontraproduktiv
Viel grundsätzlichere Kritik äußerte Jürgen Rose vom Offiziersverband "Darmstädter Signal". Die Offensive entspreche zwar "der Logik des Krieges am Hindukusch", sei letztlich aber kontraproduktiv. Der Widerstand gegen die ausländischen Truppen in Afghanistan werde von Tag zu Tag größer. Zudem sei es sinnlos, "einem Volk mit vorgehaltenem Colt Demokratie oktroyieren zu wollen".
Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hatte am Mittwoch in Berlin mitgeteilt, die Bundeswehr habe gemeinsam mit afghanischen Sicherheitskräften in Nordafghanistan eine Offensive gegen die radikalislamischen Taliban gestartet. An den Kämpfen im Raum Kundus im Norden Afghanistans sind rund 300 Bundeswehrsoldaten beteiligt.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP