Mangelhafte AKW-Sicherheitspolitik Vattenfall droht Lizenzentzug
26.08.2009, 17:29 UhrNach einer Pannenserie droht dem 26 Jahre alten Atomkraftwerk Krümmel in Geesthacht in Schleswig-Holstein das vorzeitige Aus. Dem Betreiber und Energiekonzern Vattenfall Europe könne gegebenenfalls mangels Zuverlässigkeit die Betriebserlaubnis entzogen werden, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) vor dem Umweltausschuss des Bundestages. Der für die Krümmel-Aufsicht zuständige Kieler Umweltminister Christian von Boetticher (CDU) schloss einen solchen Schritt nicht aus. Die entsprechenden Prüfungen dauerten aber noch an, sagte er.

Mitarbeiter des Kernkraftwerks Krümmel während Wartungsarbeiten neben dem Brennelemente-Lagerbecken und dem Flutraum mit dem geöffneten Reaktor.
(Foto: dpa)
Unter Druck gerät Vattenfall auch von den übrigen drei großen Stromkonzernen. Eon, RWE und EnBW forderten Vattenfall nach einem Bericht des "Handelsblatts" auf, die Informations-Politik zu verbessern, um die von Union und FDP für den Fall eines schwarz-gelben Wahlsieges angekündigte Verlängerung von Atomkraftwerks-Laufzeiten nicht zu gefährden. Nach einem Trafo-Unfall im Jahr 2007 und einem zweijährigen Stillstand war der Reaktor Krümmel im Juni wieder in Betrieb genommen worden. Kurz darauf musste er aber wieder abgeschaltet werden. Innerhalb von nur zwei Wochen war es zu drei Störfällen gekommen.
Novum in der Geschichte
Ein mit Unzuverlässigkeit eines Betreibers begründetes Ende von Krümmel wäre nach Expertenangaben ein Novum in der gut 35-jährigen Atommeiler-Geschichte Deutschlands. Ein Entzug der Betreiber-Genehmigung müsste von dem für die Atomaufsicht zuständigen Landes-Umweltministerium rechtlich sorgfältig geprüft werden, betonte Gabriel in seinem Ausschuss-Bericht zur Klärung mehrerer Störungen und Abschaltungen seit 2007.
Seit dem Abschalten der Atomkraftwerke (AKW) Mülheim-Kärlich, Stade und Obrigheim sind noch 17 Meiler am Netz, von denen in den nächsten Jahren laut Gabriel die acht ältesten den Betrieb einstellen sollen - darunter Brunsbüttel (Vattenfall), Biblis A und B (RWE), Neckarwestheim I (EnBW) und Unterweser (E.ON).
Auch von Boetticher bemängelte die AKW-Sicherheitspolitik von Vattenfall. Er erklärte aber, für eine weitere Bewertung wolle er zunächst ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten über die Vorgänge im Reaktor abwarten. Damit rechne er nicht mehr vor der Bundestagswahl am 27. September. Die Grünen forderten erneut eine Sofortabschaltung und bezogen sich bei den von ihnen genannten Mängeln auf ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten. Die Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Bärbel Höhn, sagte: "De facto sind alle Mängel, die wir schon vor zwei Jahren hatten, wieder aufgetreten." Die Linke gab Gabriel die Mitschuld am Krümmel-"Desaster".
Auch Transformatoren beaufsichtigen
Gabriel erklärte: "Es ist katastrophal, dass Vattenfall uns vor zwei Jahren zugesagt hat, sie würden das Sicherheitsmanagement verändern. Das ist nicht passiert." Es gebe eine Vielzahl von Hinweisen darauf, dass es bei dem Betreiber mit dem Sicherheitsmanagement nicht weit her sei. Die Ereignisse in Krümmel hätten zudem "noch einmal deutlich gemacht, dass sich die Atomaufsicht auch intensiv um nicht unmittelbare Sicherheitseinrichtungen kümmern muss". Die Atomaufsicht müsse auch zuständig sein für wichtige Steuerungselemente außerhalb des Reaktorkerns wie die in Krümmel havarierten Transformatoren. "Ein Trafo-Kurzschluss kann sicherheitsrelevante Auswirkungen auf den Reaktor haben", sagte er.
Im Ausschuss diskutiert wurde auch, solche Mängel wie den jüngsten Trafo-Ausfall oder den Trafo-Brand im Jahr 2007 in Krümmel mindestens in der internationalen Ines-Warnstufe 1 als Störfall zu verankern und nicht in der untersten Warnstufe 0 zu verharmlosen.
"Der Standort Gorleben ist tot für ein Endlager"
Gabriel schloss zudem den Salzstock Gorleben als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll definitiv aus. Damit sorgt er für neuen Zündstoff im Streit mit Union und Energiekonzernen. "Der Standort Gorleben ist tot für ein Endlager", sagte Gabriel am Rande der Sitzung des Bundestags-Umweltausschusses. Ein Grund seien die begrenzten Erkundungsrechte für den Salzstock im niedersächsischen Wendland. Zudem habe es in den 80er Jahren Sicherheitsbedenken der Fachbehörde gegeben, die politisch ignoriert worden seien, sagte der SPD-Politiker, der eine weitere Erkundung des Salzstocks unter diesen Bedingungen ablehnt.
Der Bundesumweltminister will in anderen Regionen Deutschlands - etwa in Bayern und Baden-Württemberg - alternative Standorte für ein Endlager prüfen. Bislang hatte er aber auch Gorleben immer als eine Option mit einbezogen. Die Atomkraftgegner sehen sich durch die Einschätzung Gabriels bestätigt, forderten ihn aber auch zu konkretem Handeln auf, um Gorleben als potenziellen Standort aufzugeben. "Wir befürchten, dass sich der Minister nur aufgrund des laufenden Wahlkampfes so deutlich aus dem Fenster lehnt", kritisierte die Anti-Atom-Initiative "ausgestrahlt". Am 5. September wollen Atomkraftgegner in Berlin am Brandenburger Tor demonstrieren.
"Gorleben bleibt der Erkundungsstandort mit Zukunft"
Die Union lehnt eine neue Endlager-Suche kategorisch ab ebenso wie das Deutsche Atomforum, die Lobby der Atomenergie-Konzerne. Auch die Umweltministerien in Süddeutschland äußerten sich ablehnend und werfen Gabriel Wahlkampfmanöver vor. Ein Endlager für Atommüll sei im Südwesten nicht machbar, sagte ein Ministeriumssprecher in Stuttgart auf Anfrage. "Ernsthaft kommt das nicht in Betracht."
Der bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) sagte: "Das ist ein durchschaubares Wahlkampfmanöver. Mit Gorleben haben wir in Deutschland den weltweit am besten untersuchten potenziellen Standort für ein Endlager. Deshalb bleibt Gorleben der Erkundungsstandort mit Zukunft. Gabriel hat die Endlagerfrage immer nur blockiert und drückt sich bis heute vor seiner Verantwortung."
Nach einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover von 2007 kommen auch Salz- und Tonsteine in anderen Regionen Deutschlands als potenzielle Endlager-Standorte in Betracht. Im Gespräch war hier unter anderem die Region um Ulm. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz - eine Behörde des Bundesumweltministeriums - hält den Standort Gorleben für juristisch angreifbar und einen Vergleich von Ton-, Granit- und Salzvorkommen für notwendig.
Quelle: ntv.de, dpa