Politik

Gegen den Strich Verfassungs- statt Steuerreform

Die Parteien streiten um Steuersenkungen, wie bei fast jedem Thema zerfleischen sie sich. Streit um des Streites willen - das sollte von Merkel sofort unterbunden werden. Mehr Führung ist gefragt in diesen ernsten Zeiten. Doch die lässt das Grundgesetz nicht zu.

"Mutti" muss am Ende schlichten.

"Mutti" muss am Ende schlichten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Mehrheit der Bürger, und fast alle Unternehmer und Manager, sind mit den Führungsqualitäten der Bundeskanzlerin unzufrieden. Ob Energiepolitik, Griechenland oder nun die x-te Auflage einer Steuersenkungsdiskussion - die Chefin der deutschen Exekutive führt nicht, sondern lässt die Debatte erst einmal laufen. Mit jeweils schwer prognostizierbarem Ausgang. Ohne Frage, das ist unbefriedigend für uns Bürger und schädlich für den Standort Deutschland. Nur: Dieser Missstand ist nicht Angela Merkel anzukreiden. Die hässliche Wahrheit ist: Unser Grundgesetz lässt ihr keinen Raum für entschlossenes Handeln.

Hauptgrund dafür ist die zu starke Stellung des Parlaments, also des Bundestags. Nach dem Scheitern der Weimarer Republik und den Schrecken der NS-Zeit ist es nachvollziehbar, dass die Väter des Grundgesetzes das Parlament so unantastbar wie möglich gestalten wollten. Aber ungeachtet aller Ewigkeitsartikel des "Angstgrundgesetzes", so der Publizist Richard David Precht, muss es heute erlaubt sein, zu hinterfragen, ob die starke Stellung des Parlaments und die schwache Stellung der Exekutive in der heutigen Zeit noch angemessen und zweckmäßig sind. Um es deutlich zu sagen: Das derzeitige Legitimationsmonopol des Bundestags paralysiert unser Gemeinwesen.

Praktisch handlungsunfähig

Der Regierungschef ist ohne die Rückendeckung seiner Fraktion beziehungsweise Koalitionsfraktionen praktisch handlungsunfähig. Wie sehr, demonstrierte uns schon der späte Gerhard Schröder. Noch extremer ist die Situation unter Angela Merkel, die ihr machtvolles Amt nicht als Schaltstelle der Macht ausüben kann, sondern es wie eine Schlichtungsstelle zwischen den Machthabern von CSU, CDU und FDP führen muss.

Einen tiefen Einblick in die wahren Machtverhältnisse gewährte die Kanzlerin, als sie nach wochenlangem Fingerhakeln in der Koalition Anfang 2010 vor den Sternsingern über die Regierungsgeschäfte ins Philosophieren geriet. Von den Kindern befragt, ob eine Kanzlerin Streitereien nicht mit einem Machtwort beenden könne, antwortete Merkel: "In bestimmter Weise habe ich auch was zu sagen". Allerdings könnte sie "viel sagen, wenn andere nicht mitmachen und wenn wir nicht bestimmte Dinge auch gemeinsam unternehmen".

Es mag für die Medien spannend sein, wenn sich drei Parteien bei fast jedem Thema - wie jetzt wieder die von der FDP ersehnte Steuersenkung - instinktiv zerfleischen, um nach Wochen des Gezeters und der Hinterzimmerkungelei über Kompromisse zulasten Dritter dann bei "Mutti" am Kanzlertisch zu erscheinen, um sich den kleinsten gemeinsamen Nenner absegnen zu lassen. Gewiss, Debatten sind in einer Demokratie zur Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung unverzichtbar, in ihnen kommen verschiedene Wahrheiten und unterschiedliche Meinungen hoch. Eine Regierung muss aber die Kraft haben, nützliche und überflüssige Debatten zu unterscheiden und letztere auch schnell zu unterbinden. Die Debatte über Steuersenkungen beispielsweise ist überflüssig und müsste von der Kanzlerin sofort unterbunden werden.

Zurück zur Grundidee des Parlaments

Für uns Bürger ist dieses infantil anmutende Streiten um des Streites willen nur noch schwer zu ertragen. Die Zeiten sind ernst und von der Regierung dürfen wir ernsthafte Führung erwarten.

Mit den heute im Grundgesetz festgeschriebenen Rahmenbedingungen werden wir diese Führung aber nicht bekommen. Zweierlei wäre zu tun: Erstens: Exekutive und Legislative müssen entzerrt werden. An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass – anders als dies in politischen Sonntagsreden häufig dargestellt wird – die enge Verquickung von Parlament und Regierung von den Vordenkern der Gewaltenteilung nie so vorgesehen war. Die Rolle des Parlaments, wie sie Montesquieu und John Locke beschrieben, war einzig und allein, den Etat und die Steuern zu genehmigen.

Die Wahl der Regierung ist keine klassische Aufgabe des Parlaments. Sie ist eigentlich Sache der Bürger. Nun, in einer instabilen politischen Situation wie heute wäre es gewiss ein gewagtes Unterfangen, neben dem Bundestag auch die Regierung direkt zu wählen. Immerhin sollte aber das Kabinett deutlich weiter vom direkten Einfluss des Bundestages befreit werden als bisher. Sinnvoll wäre eine strikte Trennung zwischen Regierungs- und Parlamentsaufgaben. Minister dürfen nicht Mitglieder des Bundestages sein.

Zweitens: Wir müssen zur Grundidee des Parlaments zurückkehren. Der Bundestag genehmigt den Haushalt in seinem Gesamtvolumen, es ist dann aber Sache der Regierung, wofür sie das Geld im Einzelnen ausgibt. Umgekehrt wäre es dann aber auch nicht Sache einer Regierungsfraktion während der Legislaturperiode eine Debatte über das Steuervolumen anzustoßen.

Prof. Dr. Klaus Schweinsberg

Prof. Dr. Klaus Schweinsberg

Prof. Dr. Klaus Schweinsberg ist Gründer des Centrums für Strategie und Höhere Führung und Vorstand der INTES Stiftung für Familienunternehmen. Der Volkswirt und Publizist arbeitet als persönlicher Berater für große Unternehmen und Top-Manager.

Quelle: ntv.de

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