Politik

Autokauf statt Klimaschutz Verheugen fordert Milliarden

Angesichts der Krisenstimmung in der europäischen Autoindustrie hat EU-Industriekommissar Günter Verheugen Milliarden-Kredithilfen für die Branche gefordert. "Es geht um ein Gesamtkreditvolumen von 40 Milliarden Euro", sagte Verheugen in Brüssel nach einem Spitzentreffen mit Vertretern aus Politik und Industrie. Die Europäische Investitionsbank (EIB) solle die zinsgünstigen Kredite zur Verfügung stellen. "Dafür ist sie da." Die Industrie brauche Hilfen für die Entwicklung von Autos mit geringerem Schadstoffausstoß.

Die Entscheidung liege bei den Eigentümern der EIB, den 27 EU-Staaten, betonte der deutsche Kommissar. Umweltschützer kritisierten, die Steuerzahler sollten jetzt einspringen für "Verantwortungslosigkeit und Untätigkeit" der Hersteller. Gewerkschaftsvertreter sprachen von jahrelangen Versäumnissen. EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso wandte sich gegen die Subventionierung einzelner Sektoren, wie sie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für die Autobranche vorsieht.

"Intelligente Rahmenbedingungen"

Auch die deutschen Autobauer hatten zuvor wegen der Absatzkrise Hilfen der staatlichen Förderbanken auf nationaler und europäischer Ebene gefordert. "Wir müssen riesige Investitionen leisten, um an der Spitze der Innovation zu bleiben", sagte der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann.

"Entsprechende zinsgünstige Kredite der Europäischen Investitionsbank und der KfW könnten hier helfen und einen sinnvollen Rahmen schaffen", so Wissmann im Deutschlandfunk. Es gehe nicht um ein "Konjunkturprogramm oder Subventionsprogramm alter Art". Nötig seien vielmehr "intelligente Rahmenbedingungen", weil sich die Unternehmen aus eigner Kraft nicht gegen den Vertrauensschwund an den Märkten infolge der Finanzkrise behaupten könnten.

Wettbewerbsfähigkeit an der Grenze

Auch der Präsident des europäischen Dachverbands ACEA, Christian Streiff, forderte angesichts der Finanzkrise "angemessene, vorübergehende Unterstützung". "Wir müssen sagen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit an Grenzen gelangt ist", sagte der Chef des französischen Herstellers PSA Peugeot Citron. "Die Banken versorgen uns nicht mehr (mit Krediten) und unseren Kunden auch nicht, weswegen wir Kunden verlieren."

Der ACEA hatte bereits vor einigen Wochen bei ein EU-Kreditpaket von 40 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht. Die Hersteller, aber auch Zulieferer und Händler leiden unter einem dramatischen Nachfrage-Einbruch. Viele Produzenten, darunter Daimler, BMW und Opel, haben ihre Produktion gedrosselt.

An dem "Auto-Gipfel" nahmen nach ACEA-Angaben auch Daimler-Chef Dieter Zetsche, Fiat-Chef Sergio Marchionne, GM-Europachef Carl-Peter Forster und der Chef des Lastwagenherstellers Volvo, Leif Johansson, teil. Für die Bundesregierung war Wirtschafts- Staatssekretär Jochen Homann dabei, der auf ein rasches Handeln drang. "Unsicherheiten müssen beseitigt werden", forderte Homann.

Keine "zusätzlichen Belastungen"

Dabei gehe es auch um die Diskussion über die Festlegung von Kohlendioxid-Grenzwerten in Auto-Abgasen im geplanten EU-Klimaschutzpaket. "Das heißt, die Umweltziele weiter verfolgen, aber nicht überziehen", sagte Homann. Der Autoindustrie dürften keine "zusätzlichen Belastungen" auferlegt werden.

Die Europäische Union will ihr Klimapaket im Dezember unter Dach und Fach bringen. Der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) soll bis 2020 um ein Fünftel gesenkt werden. Bei neuen Autos soll der CO2-Ausstoß in Abgasen auf 120 Gramm je Kilometer im europäischen Flottendurchschnitt gesenkt werden. Verheugen sprach sich gegen Strafzahlungen aus, die derzeit im Gespräch sind. "Ich konnte keine Antwort geben auf die Frage, was die Autoindustrie verbrochen hat, dass sie diese Strafen verdient."

Scharfe Kritik an Autoindustrie

Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte, Europas Steuerzahler sollten blechen, während die Autohersteller weiterhin ineffiziente Fahrzeuge bauten. "Die Hersteller geben überzogene Kosten für die Absenkung der CO2-Emissionen an", sagte die Greenpeace-Expertin für Verkehrspolitik, Franziska Achterberg. "Anstatt auf die Nachfrage nach schadstoffärmeren Autos zu reagieren, wollen die Autobauer weiter die Steuerzahler melken." Bevor Gelder überhaupt in Betracht gezogen würden, müsse sichergestellt sein, dass die Industrie ernsthafte CO2-Reduzierungen nicht mehr blockiere.

Verheugen sagte, es handle sich bei den Forderungen nicht um Subventionen. EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso lehnte die Subventionierung einzelner Industriezweige entschieden ab. "Das wäre ein falsches Signal", sagte er. "Die Autoindustrie ist eine von Europas wichtigsten Industriezweigen, aber wir wollen nicht mehr diese altmodische, sektorale Unterstützung." Sarkozy hatte jüngst angekündigt, 400 Millionen Euro für die Entwicklung abgasarmer Autos in Frankreich abzustellen.

US-Kredite für sparsamer Autos

Die USA haben amerikanischen Autoherstellern Kredite von 25 Milliarden Dollar für die Entwicklung sparsamerer Autos in Aussicht gestellt. Die Opel-Mutter General Motors (GM) könnte angeblich bald erste fünf Milliarden Dollar aus dem Topf bekommen.

Der Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes, Peter Scherrer, forderte die Industrie trotz Krise zu Lohnerhöhungen auf. "Wir müssen dringend eine Erneuerung der Flotte haben, aber der Verbraucher muss sie sich auch leisten können." Bei dem Treffen habe es deutliche Kritik an der Industrie gegeben.

Verheugen forderte die Politik auf, Anreize zu schaffen, alte Autos zu verschrotten und umweltfreundlichere zu erwerben. Homann sagte, "nach derzeitigem Stand" werde in Deutschland demnächst die Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß ausgerichtet werden. Dies bedeute Kaufanreize für Neuwagen. Zu Vorwürfen von Kritikern, die Autobranche habe die Entwicklung von umweltbewussteren Fahrzeugen verschlafen, sagte Homann: "Das mag ja sein, nur das hilft ja nichts." Er fügte hinzu: "Sie können ja auch nicht einem Kranken sagen, der durch Rauchen seine Krankheit mitverschuldet hat: Wir stellen jetzt jede Hilfe ein."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen