"Wichtiger Durchbruch" Versicherungspflicht für alle
12.01.2007, 08:19 UhrNach monatelangem Streit über die Gesundheitsreform haben Union und SPD eine Einigung erzielt und weitere Änderungen am Gesetzentwurf beschlossen. Die Experten beider Fraktionen und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verständigten sich in der Nacht zum Freitag über die Zukunft der Privatkassen und vereinbarten erstmals eine Versicherungspflicht für alle. Allerdings gibt es noch immer offene Fragen, die mit den Ländern abgestimmt werden müssen.
"Das ist ein wichtiger Durchbruch", sagte Schmidt nach der Marathonsitzung der Fachpolitiker in Berlin. Der geplante Basistarif der Privaten Krankenversicherung (PKV) soll erst 2009 mit dem Gesundheitsfonds eingeführt werden und nur befristet für die bereits Privatversicherten zugänglich sein. Zugleich soll 2009 eine allgemeine Versicherungspflicht eingeführt werden. Die heute rund 300.000 Nichtversicherten müssen also Mitglied einer gesetzlichen oder einer privaten Krankenkasse werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach der Einigung, sie sei "sehr optimistisch", dass die Reform wie geplant zum 1. April in Kraft trete. SPD-Chef Kurt Beck sagte in Kloster Irsee (Bayern): "Diese Gesundheitsreform ist jetzt wirklich politisch über die Bühne." SPD-Fraktionschef Peter Struck bezeichnete die Einigung als "großen Erfolg". "Wir haben den Einstieg in die Bürgerversicherung erreicht", sagte er in Brüssel. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zeigte sich erleichtert: "Die PKV bleibt in ihrer Substanz erhalten." Mit der Reform sei "der Einstieg in die Prämie der Union gelungen", konterte er nach Strucks Äußerung. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) warnte die SPD davor, die Einigung parteipolitisch aufzuladen.
Bisherige Privatversicherte sollen 2009 nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten in den geplanten Basistarif auch anderer Privatkassen wechseln können. Über 55-jährige und bedürftige Privatversicherte können auch später auf den Basistarif umsteigen, aber nur bei ihrer bisherigen Versicherung. Ehemals Privatversicherte ohne Schutz müssen von den Privatkassen bereits vom 1. Juli 2007 an aufgenommen werden. Die CSU hatte zuletzt beim Basistarif stärkere Einschränkungen als geplant verlangt, die SPD hatte dies abgelehnt. Im Gegenzug sei erstmals in der deutschen Sozialgeschichte eine allgemeine Pflicht zur Krankenversicherung geplant, sagte Schmidt. Die neuen Insolvenzregeln für die gesetzlichen Kassen sollen im Laufe des Jahres in einem eigenen Gesetz geregelt werden.
Der Privatkassen-Verband zeigte sich skeptisch. Die PKV werde sehr genau darauf achten müssen, dass aus der Versicherungspflicht keine Bürgerversicherung werde, sagte Verbandschef Volker Leienbach dem Saarländischen Rundfunk. Auch der jetzige Gesetzentwurf trage wenig zu einer Beitragsstabilität bei den Privatkassen bei.
Das zuvor kritische Baden-Württemberg begrüßte den Kompromiss grundsätzlich. "An uns soll das In-Kraft-Treten der Reform zum 1. April nicht scheitern", sagte Sozialministerin Monika Stolz (CDU). Sie wolle aber die Beratungen und ein Gutachten zur Mehrbelastung der Kassen abwarten. Hessen reicht die Einigung nicht. Jetzt müsse Ulla Schmidt die Bundesratsbeschlüsse aufnehmen, forderte Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU). Thüringens Landeschef Dieter Althaus (CDU) sagte dem Bayerischen Rundfunk, er rechne mit einer Zustimmung der Länder im Bundesrat.
Die Bundestagsopposition lehnt die Reform weiter ab. Der Kompromiss sei "nicht akzeptabel", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Die FDP-Fraktion sprach von einem "völlig unzureichenden Kompromiss ", die Linksfraktion von "Murks" und einem Einknicken der SPD bei der Privatversicherung. Sozialverbände sprachen von einer Missachtung der Patienten und Versicherten.
Offen ist eine Neufassung der "Bayern-Klausel" zur Mehrbelastung der Kassen, die die Staatskanzlei in München im Herbst selbst formuliert hatte. Auch über die Höhe von Einsparungen bei Krankenhäusern und Rettungsdiensten müssen Bund und Länder noch verhandeln. Bei den Krankenhäusern sollen nach dem Willen der Regierung rund 500 Millionen Euro gekürzt werden, beim Rettungsdienst 100 Millionen. Die Länder lehnen das in dieser Höhe ab. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte, am Einsparziel bei Krankenhäusern festzuhalten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft forderte dagegen erneut einen Verzicht auf den Sanierungsbeitrag.
Der jüngste Kompromiss soll an diesem Montag in der SPD-Fraktion und am Dienstag in der Union vorgestellt werden. Die Entscheidung des Bundestages ist für Anfang Februar geplant, danach ist der Bundesrat am Zug. Die Koalition hatte bereits im Juli und Oktober 2006 eine Einigung über strittige Fragen zur Gesundheitsreform verkündet
Quelle: ntv.de