"Wettstreit der Unwürdigkeit" Viele Prominente kritisieren Asylpolitik der Ampel
03.06.2023, 16:02 Uhr Artikel anhören
Neben Herbert Grönemeyer haben Dutzende Künstlerinnen und Künstler den Offenen Brief unterzeichnet.
(Foto: imago/Sven Simon)
Kommende Woche beraten die Innenminister der EU erneut über eine Reform der gemeinsamen Asylregeln. Auch Deutschland will sich diesen anschließen - und etwa Asylzentren außerhalb der EU errichten. Mehr als 100 Künstler aus Deutschland kritisieren dies scharf.
Dutzende Prominente aus dem deutschen Kulturleben haben in einem Offenen Brief den Kurswechsel der Ampel-Koalition in der Asylpolitik kritisiert. Im Koalitionsvertrag hätten SPD, Grüne und FDP noch "einen Aufbruch in der Migrationspolitik vorgenommen. Das war gut und richtig, denn viel zu lange wurde der Eindruck erweckt, dass Migration das Problem und Abschottung die Lösung sei", heißt es in dem Schreiben, das an Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser, Außenministerin Annalena Baerbock und Innenminister Marco Buschmann adressiert ist.
Allerdings zeigen sich die Unterzeichner "sehr besorgt" über die Position der Bundesregierung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). "Statt die versprochenen Verbesserungen voranzutreiben, wollen Sie nun den massivsten EU-Asylrechtsverschärfungen jemals zustimmen", heißt es. Der migrationspolitische Aufbruch drohe in einer populistischen Debatte zu ersticken. "Wir wenden uns daher an Sie, um Sie zu einer Änderung Ihrer Position aufzufordern."
Zu den mehr als 100 Unterzeichnern des Briefes gehören unter anderen der Musiker Herbert Grönemeyer, die Bands Kraftklub, Deichkind und Revolverheld, die Schauspielerinnen und Schauspieler Katja Riemann, Nina Hoss und Benno Fürmann, die Autorinnen und Autoren Sibylle Berg, Marc-Uwe Kling und Jasmina Kuhnke, der Cartoonist Ralph Ruthe, die Moderatorinnen Enissa Amani und Melissa Khalaj sowie der Moderator Klaas Heufer-Umlauf.
EU-Innenminister-Treffen am 8. Juni
Die EU arbeitet bereits seit 1999 an gemeinsamen Asylregeln. Am 8. Juni treffen sich die EU-Innenminister in Luxemburg, um weiter über die umstrittene GEAS-Reform zu beraten. Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den europäischen Außengrenzen geben soll. So hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser für eine Vorprüfung von Asylanträgen außerhalb der EU ausgesprochen, sofern die Antragsteller erwachsen sind - von dort sollen die Asylbewerber bei einer Ablehnung direkt in ihre Heimatländer abgeschoben werden.
Grünen-Politikerin Baerbock nannte Asylverfahren an den Grenzen "Fluch und Chance zugleich". "Grenzverfahren sind hochproblematisch, weil sie in Freiheitsrechte eingreifen." Der Vorschlag der EU-Kommission sei jedoch die einzige realistische Chance, in einer EU von 27 sehr unterschiedlichen Staaten auf absehbare Zeit überhaupt zu einem "geordneten und humanen Verteilungsverfahren" zu kommen. Der Grat sei sehr schmal, kritische Fragen seien wichtig. "Aber auch ein Nichthandeln hätte bittere Konsequenzen", mahnte die Grünen-Politikerin.
Auch der konservative EVP-Chef Manfred Weber sprach sich für Asylzentren an der EU-Außengrenze aus. "Wir brauchen eine schnelle und rechtssichere Prüfung an den Außengrenzen", sagte der CSU-Politiker der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Von Linken und Menschenrechtsorganisationen gab es dagegen Kritik an einer Verschärfung des europäischen Asylrechts.
Seit Monaten versuchen sehr viele Menschen, von Nordafrika aus über die gefährliche Mittelmeerroute Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Januar mehr als 50.000 Migranten auf Booten in das Land. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge starben seit Jahresanfang bei den Überfahrten mehr als 980 Menschen oder werden seither vermisst. In Deutschland wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres gut 100.000 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen, eine Zunahme um rund 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
"Wettstreit der Unwürdigkeit"
Die Unterzeichner des Offenen Briefs, der von der Organisation Leave No One Behind angestoßen wurde, kritisieren, dass sich die Bundesregierung dafür einsetze, "dass viele Menschen an den Außengrenzen eingesperrt werden und in Schnellverfahren schlechtere Standards bekommen". Im Koalitionsvertrag sei noch hervorgehoben worden, dass alle Asylanträge inhaltlich geprüft werden müssen. "Doch nun unterstützen Sie eine Ausweitung sicherer Drittstaaten, wodurch selbst Menschen aus Syrien oder Afghanistan in Europa zunehmend abgelehnt werden könnten, heißt es weiter.
Statt, wie im Koalitionsvertrag beschrieben, "das Leid und illegale Zurückweisungen an den Außengrenzen zu beenden", nehmen die Unterzeichner "nur Rufe nach Zäunen und Haftlagern wahr". Hilfsorganisationen, Anwaltsvereine und Forschende aus der Migrationswissenschaft hätten bereits "Kritik an den geplanten, massiven Asylrechtsbeschneidungen einhellig und zahlreich geäußert". Weiter heißt es: "Und auch wir sehen, dass die Migrationspolitik sich in einem Wettstreit der Unwürdigkeit verirrt." Der Populismus in Deutschland gewinne die Oberhand, Lösungen im Sinne und Dienste einer universell gültigen Menschlichkeit blieben auf der Strecke.
Mit dem Offenen Brief fordern die Unterzeichner die Bundesregierung auf, "Verbesserungen des Asylrechts voranzutreiben, statt weiteren Verschlechterungen zuzustimmen". Zudem wird ein Treffen der Bundesregierung mit den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern sowie Expertinnen und Experten vorgeschlagen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa