Shitstorm für Kremls Kriegsziel Von Spültoiletten können Millionen Russen nur träumen


Mehr als jeder fünfte Russe lebt ohne Anschluss ans Abwassernetz.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Sterben russische Solden im Kampf gegen Unisex-Toiletten in der Ukraine? Verstörende Aussagen aus der russischen Führung sorgen bei der Bevölkerung für Kopfschütteln. Denn Millionen Menschen in Russland können von einer Spültoilette nur träumen. Einige wissen offenbar nicht einmal, was das ist.
Die "militärische Spezialoperation" verlaufe nach Plan, die Ziele blieben unverändert und würden erreicht, wiederholt die russische Führung immer wieder wie ein Mantra. "Entnazifizierung" und "Demilitarisierung" der Ukraine sind die Begriffe, mit denen den Russen erklärt werden soll, warum man ohne Rücksicht auf Hunderttausende Opfer selbst in eigenen Reihen alles dafür tut, um das Nachbarland in Schutt und Asche zu legen.
Dass diese Opfer nicht umsonst sind, hat der Gouverneur von Sankt Petersburg nach einem Besuch bei verletzten "Helden" der "Spezialoperation" Mitte Januar zu verdeutlichen versucht. Die in der Ukraine verwundeten Soldaten "verstehen sehr gut, wofür wir kämpfen", schrieb Alexander Beglow in seinem Telegram-Kanal. "Diesen Jungs", die im Donbass Toiletten in Schulen gesehen hätten, "in denen es statt zwei Räumen - für Mädchen und Jungen - drei Räume gibt - für Mädchen, Jungen und Genderneutrale, muss nicht erklärt werden, für welche Werte wir kämpfen", schrieb der Gouverneur.
Die russische Armee kämpft in der Ukraine also gegen Unisex-Toiletten? Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy erklärte auf Anfrage von ntv.de, dass es die in den Schulen im Donbass gar nicht gebe: "Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagte er. Abgesehen davon könnte man zwar meinen, der St.-Petersburger Gouverneur habe sich einfach unglücklich ausgedrückt. Doch schon ein paar Tage später bekräftigte niemand Geringeres als Wladimir Putin die Worte des Lokalpolitikers.
17 Prozent der Russen nutzten Jauchengrube als Toilette
Vor den Leitern russischer Kommunalverwaltungen behauptete der Kremlchef Anfang vergangener Woche, immer mehr Russen würden aus dem Westen in die Heimat zurückkehren, weil sie dort von den All-Gender-Toiletten abgeschreckt würden. "Für Menschen mit normalen menschlichen Werten ist es sehr schwierig, unter solchen Bedingungen zu leben", sagte Putin und löste damit viel Häme unter Russen aus. Denn während im Westen Unisex-Toiletten laut Putin inzwischen zum Alltag gehören, können Millionen Menschen in Russland nur davon träumen, überhaupt Zugang zu einer Toilette zu bekommen.
Nach offiziellen Angaben der russischen Statistikbehörde leben mehr als 22 Prozent der Russen ohne Anschluss ans Abwassernetz. Fast 17 Prozent nutzen Jauchengruben als Toiletten, auf dem Land sind es sogar 48 Prozent. Knapp 6 Prozent der Menschen in Russland haben gar keinen Zugang zu irgendeiner Art von Toilette.
Toilette mit Spülung, was ist das?
Vor diesem Hintergrund erscheinen zahlreiche Berichte über russische Plünderer, die in der Ukraine in den ersten Monaten der Invasion unter anderem auch Toiletten gestohlen haben sollen, glaubwürdig. So veröffentlichte das ukrainische Postunternehmen "Nova Post" nach der Befreiung der Region Charkiw im September 2022 ein Foto, das zeigt, wie die sanitären Anlagen in einer der Filialen nach dem russischen Rückzug ausgesehen haben. An der Stelle, wo einst eine Toilette gestanden haben soll, klaffte ein Loch im Boden. "Den größten Schatz" hätten die Besatzer mitgenommen, hieß es ironisch dazu.
Bemerkenswert ist, dass die Plünderer den Spülkasten zurückließen. Eine mögliche Erklärung dafür, warum dieser "verschont" blieb, liefert ein Video der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian aus dem April 2022. Darin berichten zwei Frauen, die die Besatzung in der Region Tschernihiw im Norden der Ukraine überlebt haben, sie hätten einigen Russen, die sich in ihrem Dorf einquartiert haben, erklären müssen, was eine Toilette mit Spülung ist und wie sie funktioniert. Auch seien einige Soldaten verwundert gewesen, dass man die Notdurft direkt im Haus verrichten kann. "Wie, ihr könnt im Haus drinnen auf die Toilette gehen?", hätte sie ein Soldat gefragt, erzählt eine Frau im Video. Eine andere ergänzt, einige der Soldaten hätten eine Schüssel auf die bestehende WC-Schüssel gestellt, und sich in diese erleichtert. "Dann haben sie diese Schüssel aus dem Haus getragen. Mir fehlen die Worte", sagt sie.
Kloreiniger-Wettbewerb entlarvt "Putins wahre Größe"
Ob solche Berichte stimmen, kann nicht unabhängig überprüft werden. Wie schlimm es um die Toiletten-Situation in Russland steht, verdeutlicht aber ein bizarrer Wettbewerb, den die Haushaltsreiniger-Marke Domestos in Russland seit 2019 durchführt. Unilever, der britische Konzern hinter Domestos, ist trotz des Kriegs weiterhin in Russland aktiv. Jedes Jahr "kührt" der Hersteller die fünf schlimmsten Schultoiletten Russlands, die dann medienwirksam auf Kosten des Konzerns saniert werden. Dutzende Schulen bewerben sich jedes Jahr mit Fotos, die das Grauen offenbaren, dem zahlreiche Schüler, vor allem in abgelegenen Regionen Russlands, ausgesetzt sind.
Die Bilder zeigten "die wahre Größe Putins", wie ein Journalist in einem Facebook-Post schreibt. Darauf zu sehen sind verrottende Abflussröhre, dreckige und kaputte Toiletten, oft einfach Löcher im Boden - sogenannte Hock-Klos. Privatsphäre wird klein geschrieben - in vielen Fällen fehlen Türen, manchmal sogar Trennwände. Einige der Toiletten seien seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden, schreiben die Schulen selbst in ihren Bewerbungen.
Während die Toiletten wie in einem Horrorfilm aussehen und die Schulen gezwungen sind, bei einem Konzern aus dem verfeindeten Großbritannien um Hilfe zu betteln, gibt die russische Regierung Milliarden für die "Entnazifizierung" der Ukraine aus. Hauptsache, die "Spezialoperation" gegen Unisex-Toiletten verläuft nach Plan.
Quelle: ntv.de