Politik

LGBTIQ im Krieg gegen Russland "Leider ist die Ukraine erst durch den Krieg toleranter geworden"

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Die Organisation LGBT Military setzt sich für die Rechte von homosexuellen Soldaten ein und fordert ein Gesetz für eine eingetragene Lebenspartnerschaft.

Die Organisation LGBT Military setzt sich für die Rechte von homosexuellen Soldaten ein und fordert ein Gesetz für eine eingetragene Lebenspartnerschaft.

(Foto: imago images/Dmitry Niko)

Der russische Überfall verändert die ukrainische Gesellschaft. Lesben, Schwule und queere Menschen haben das Gefühl, dass das Land offener wird. Es ist allerdings ein langsamer Prozess. Diskriminierung gibt es weiterhin - auch in der Armee.

Petro hatte die Heimlichtuerei satt. Vor kurzem, am 16. November, hatte er sein Coming-out. Petro ist 22, er kommt aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa und will sich nicht mehr verstecken. Auch nicht in der Armee.

Am 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel, entschied Petro, sich der ukrainischen Armee anzuschließen und seine Familie zu verteidigen. Als seine Mutter von seiner Absicht erfuhr, sperrte sie ihn im Haus ein, aber er kletterte aus dem zweiten Stock und ging zur Einberufungsbehörde. Da er Konditor war, stellte die Armee ihn als Koch ein. Gefährlich war auch dieser Dienst: "In der ersten Nacht wurden wir bombardiert, da bekam ich Angst und dachte: Warum habe ich mich überhaupt getraut, das zu tun? Ich wusste nicht einmal, wie man ein Gewehr hält."

"Warum habe ich mich überhaupt getraut, das zu tun?", sagt Petro. "Ich wusste nicht einmal, wie man ein Gewehr hält."

"Warum habe ich mich überhaupt getraut, das zu tun?", sagt Petro. "Ich wusste nicht einmal, wie man ein Gewehr hält."

(Foto: privat)

Petro blieb trotzdem bei der Armee. Er ließ sich zum Kampfsanitäter ausbilden - erst theoretisch, dann praktisch: Unter Aufsicht eines Chirurgen nähte er einen kleinen Schnitt an seinem eigenen Bein, den er sich vorher selbst zugefügt hatte. "Es war beängstigend, aber im Krieg kann alles passieren, und man muss darauf vorbereitet sein", sagt Petro.

Für Petro war es allerdings nicht nur die Angst vor Wunden und Bombenangriffen: Wegen seiner sexuellen Orientierung stand er unter permanentem Stress. Er wurde gemobbt, ausgegrenzt und diskriminiert - so sehr, dass er akute Belastungsreaktionen erlitt.

"In der Armee herrscht immer noch Schikane"

Viele LGBTIQ-Personen bleiben in der Ukraine aufgrund von Homophobie, Transphobie, Diskriminierung und Angst um ihre Karriere im Verborgenen. In einem europäischen Ranking mit Blick auf die Rechte von LGBTIQ-Personen steht die Ukraine nur auf Platz 39, zwischen Liechtenstein und Bulgarien. Bei der Armee ist die Situation nicht besser, auch wenn es bereits seit 2018 die Vereinigung Ukrainisches LGBTIQ-Militär für Gleichberechtigung gibt. "In den Streitkräften der Ukraine gibt es zwischen zwei und sieben Prozent LGBT-Vertreter. Insgesamt gibt es etwa 400 Militärangehörige in unserer Vereinigung, und etwa 70 von ihnen sind offen", sagt Maksym Potapovych, Kommunikationsmanager der NGO.

Umfragen zeigen, dass 44 Prozent der Ukrainer eine neutrale Haltung gegenüber LGBTIQ-Personen in der Armee haben. Daher glaubt der Militärmediziner Petro Zlotia, dass es Fortschritte bei der Akzeptanz und dem Verständnis für LGBTIQ-Personen in den Streitkräften gibt, wenn auch auf niedrigem Niveau. "In der Armee herrscht aber immer noch Schikane, wenn jemand einen höheren Dienstgrad hat, fühlen sie sich als Könige, einfache Soldaten werden nicht angehört, besonders, wenn du anders bist", so Petro. Nach Angaben der NGO LGBTIQ-Militär hat sich die Haltung gegenüber Soldatinnen und Soldaten aus der Community in der ukrainischen Gesellschaft verbessert - aber bei den ukrainischen Streitkräften hänge alles von der Politik der Truppenführer ab.

Petro ist noch immer bei der Armee. Normalerweise arbeitet er als Ausbilder für Kampfsanitäter, aktuell ist er in einem Krankenhaus in psychotherapeutischer Behandlung - eine Folge seiner akuten Belastungsreaktionen. Im August hatte er Flecken auf seinem Körper festgestellt, denen er zunächst keine Beachtung schenkte. Schon das war ein Zeichen seiner Krankheit, wie er später erfuhr. Nach einem kurzen Urlaub im Oktober erhielt er überraschend die Mitteilung, dass er in eine andere Einheit versetzt wird. "Ich glaube, einer der Gründe dafür war, dass ich eine LGBT-Person bin. Jemand aus der Brigade sagte mir, dass der Kommandeur Leute wie mich nicht im Bataillon haben wollte. Obwohl ich die Stelle, wo ich jetzt bin, viel besser finde, war das unangenehm."

Die Nase voll von homophoben Witzen

Sein Coming-out legte Petro bewusst auf den 16. November, den internationalen Tag für Toleranz. "Ich wollte keine große Sache daraus machen, aber ich wollte ehrlich zu mir selbst sein, und ich will, dass die Leute normal darauf reagieren. Ich habe genug von all diesen homophoben Witzen von Leuten, die zwei Hochschulabschlüsse haben." Zugleich hatte Petro mehr Hass erwartet. Tatsächlich gab es auf sein Coming-out in den sozialen Medien nur wenige negative Kommentare. Dass er trotz allem meist freundliche Reaktionen erhielt, hängt seiner Meinung nach mit der russischen Invasion zusammen. "Leider ist unser Volk erst durch den Krieg toleranter geworden", sagt Petro. "Die Menschen haben erkannt, dass uns ein gemeinsames Ziel verbindet und dass Schwule und Lesben auch an der Front kämpfen und ihre Aufgaben nicht schlechter erfüllen als andere Militärs. Wir sind sehr gute Fachleute, aber wir werden immer noch gemobbt, wenn die Leute von unserer sexuellen Orientierung erfahren."

Ein zentrales Problem für LGBTIQ-Militärangehörige besteht darin, dass sie ihre Partner nicht heiraten dürfen. Für Soldaten ist das ein wichtiges Thema: Im Falle des Todes haben die Partner nicht einmal das Recht, den Leichnam zu identifizieren und freizugeben. Aber Petros Eindruck, dass der Krieg hier für Fortschritte sorgt, dürfte richtig sein: 42 Prozent der Ukrainer unterstützen nach einer Umfrage der soziologischen Gruppe "Rating" die Idee, den Partnern von LGBTIQ-Soldatinnen und Soldaten die gleichen Rechte zu gewähren, die das Gesetz für alle Militärangehörigen und ihre Familien vorsieht.

"Haben Sie keine Angst, eins auf die Nase zu bekommen?"

Dennoch ist Petro mit seinen Erfahrungen von Mobbing und Diskriminierung kein Einzelfall. Maria Volya aus Mariupol dient bereits seit 2015 in den ukrainischen Streitkräften. Die 30 Jahre alte Unteroffizierin ist eine von 43.000 Frauen, die seit Beginn des großen russischen Angriffskrieges in der ukrainischen Armee gedient haben. Derzeit befindet auch sie sich in einer psychiatrischen Klinik, sie wird wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und schwerer Depressionen behandelt, weil sie nicht von der Umgebung verstanden wurde. Schon seit Jahren lebt sie offen homosexuell.

Für viele ihrer männlichen Kameraden sei es schon schwierig genug, eine Frau in der Armee zu akzeptieren, sagt sie: Die meisten Soldaten würden denken, dass Frauen vor allem eine Last sind. Sie selbst stellte dagegen nach Kriegsbeginn fest, dass einige Männer, die eingezogen worden waren, nicht so belastbar waren wie sie selbst. "Ich habe es satt, beweisen zu müssen, dass ich alle Aufgaben genauso gut erfüllen kann wie die Männer. Und dass man trotzdem immer noch als schwach gilt", sagt die Soldatin.

Irgendwann nach dem Abzug der ukrainischen Armee aus Mariupol erzählte Maria ihren Kameraden, dass sie eine Freundin hat. Die hätten zuerst geglaubt, das sei nur eine Geschichte, um sich vor unerwünschten Annäherungsversuchen zu schützen, sagt Maria. Nach einem offenen Statement auf Instagram habe sie noch am selben Abend einen Anruf von ihrem Vorgesetzten erhalten: "Mein Kommandeur schrie mich an, ich solle den Post löschen, oder die Information, dass ich Mitglied der Brigade bin, um sie nicht in eine peinliche Situation zu bringen." Ein Psychologe sagte später zu ihr: "Haben Sie keine Angst, eins auf die Nuss zu kriegen?"

Mittlerweile hat Maria von ihrer Freundin einen Heiratsantrag bekommen, sie träumen davon, in Dänemark zu heiraten, denn in der Ukraine ist das nicht möglich. "Ich bin nicht sehr optimistisch, dass die gleichgeschlechtliche Ehe hier bald legalisiert wird. Wir haben schon Petitionen unterschrieben, Appelle an Politiker verschickt und getan, was wir konnten. Manche Leute sagen, es gebe keine oder nur sehr wenig LGBT-Menschen in der Armee. Aber sich in der Öffentlichkeit zu outen, ist wirklich sehr riskant, wir werden immer noch schikaniert."

Gleichzeitig ist Maria davon überzeugt, dass es notwendig ist, sich öffentlich zu machen, um stärker und sichtbarer zu werden. Denn sonst, da ist sie sicher, ändert sich nichts.

Quelle: ntv.de

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