Explosion auf Djerba Warnungen doch missachtet?
18.04.2002, 00:15 UhrDen deutschen Behörden lagen möglicherweise doch bereits zu Beginn des Jahres Hinweise auf drohende Anschläge vor. Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte grundsätzlich einen Bericht des Magazins "Stern", wonach am 2. Januar in der deutschen Botschaft in Tunis ein anonymer Brief eingegangen war, in dem mit Attentaten gedroht wurde.
Heute wie damals bestünden jedoch Zweifel an der Ernsthaftigkeit des zitierten Schreibens, teilte das BKA mit. In dem Brief sei auf Produkte, Stromleitungen und Eisenbahnverbindungen Bezug genommen worden, nicht aber auf Personen und jüdische Einrichtungen. "Zwischen der Explosion in Djerba und der anonymen Drohung besteht auch nach heutiger Bewertung der Sicherheitsbehörden kein Zusammenhang", verlautbarte das BKA.Weiterhin heißt es in der Mitteilung: "Dem BKA lagen keine Hinweise auf eine Gefährdung deutscher Touristen im Ausland vor."
Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagte im ZDF, der Brief enthalte "keinen Hinweis auf das schreckliche Ereignis in Djerba". Er warnte vor einem "öffentlichen Ermittlungsverfahren" der Medien. Nach ZDF-Informationen will Schily am Wochenende nach Tunesien reisen, um sich ein Bild von den bisherigen Fahndungsergebnissen auf Djerba zu machen.
"El Kaida Abteilung Tunesien"
Der "Stern" berichtet, als Absender sei auf dem Schreibens an die deutsche Botschaft in Tunis die "El Kaida Abteilung Tunesien" vermerkt gewesen. In dem Brief sei die Annullierung aller Vereinbarungen und des Handels mit Israel - abfällig als "zionistisches Gebilde" bezeichnet - gefordert worden. Andernfalls hätten die Verfasser gedroht, "alle deutschen Produkte in der islamischen Welt zu verbrennen".
Das Schreiben sei als Kopie an das Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet, dort jedoch als das Werk von Trittbrettfahrern eingestuft und nicht weiter verfolgt worden. "Über die Existenz einer Zelle der El Kaida in Tunesien liegen dem BKA keine Erkentnisse vor. (...) Konkrete Bezüge in die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere Gefährdungsaspekte, sind dem Drohbrief nicht zu entnehmen", zitiert der "Stern" aus einer Einschätzung des BKA.
Hinweise auf Anschlag
Die Hinweise darauf, dass es sich bei der Explosion auf der tunesischen Ferieninsel Djerba um einen Anschlag handelte, haben sich am Mittwoch weiter verdichtet. Nach Angaben der arabischen Zeitung "Al-Hayat" wurde die Tat vor der La-Ghriba-Synagoge offenbar von langer Hand geplant. Das Blatt berichtete unter Berufung auf Informationen aus Tunis, der benutzte Kleinlaster sei erst kürzlich einem jüdischen Einwohner Djerbas abgekauft worden. Der Käufer habe seinen Namen aber noch nicht unter den Kaufvertrag gesetzt, was nach tunesischem Recht möglich ist, da Käufer und Verkäufer nicht gleichzeitig unterschreiben müssen.
Der Fahrer habe den ursprünglich für den Wassertransport gedachten Tankwagen mit Benzin, welches er bei Schmugglern aus Libyen gekauft habe, aufgefüllt. In und vor der Synagoge habe es insgesamt vier Explosionen gegeben. Die tunesische Regierung war am Dienstag von der Darstellung abgewichen, die Explosion könne nur ein Unfall gewesen sein, und hatte den Fahrer als "verdächtig" eingestuft.
Fahrer schrieb auch Bekennerbrief
Der Fahrer soll auch der Verfasser des von einer arabischen Zeitung veröffentlichten Bekennerschreibens sein. Das Innenministerium in Paris bestätigte, dass die französischen Behörden den Namen des 24-jährigen Nizar Ben Mohamed Nawar von den tunesischen Behörden erhalten hätten. "Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand handelt es sich bei der in dem Bekennerschreiben genannten Person um den mutmaßlichen Attentäter", hieß es auch von Seiten der deutschen Bundesanwaltschaft.
"Brauche nur Befehl"
Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet, der mutmaßliche Attentäter in Tunesien habe rund 90 Minuten vor der Explosion mit einem deutschen Freund telefoniert. In dem Gespräch habe er gesagt, er brauche nur noch den Befehl. Die SZ beruft sich auf ein Protokoll des von deutschen Sicherheitsbehörden abgehörten Telefonats. Der Anrufer sei nach Erkenntnis der Ermittler mit hoher Wahrscheinlichkeit Nawar gewesen. Bei seinem Gesprächspartner habe es sich um den Mann gehandelt, der am Montag in Duisburg verhaftet, wegen fehlendem Tatverdacht jedoch bald darauf wieder freigelassen wurde.
Bei der Explosion eines Tanklastwagens vor der Synagoge waren am vergangenen Donnerstag mindestens 15 Menschen getötet worden, darunter zehn Deutsche. Mehrere der deutschen Opfer schweben weiterhin in Lebensgefahr. Der Zustand eines in der Klinik Hamburg-Boberg liegenden 16 Jahre alten Jungen hat sich indes gebessert. Er habe erneut Haut übertragen bekommen, teilte die Ärzte mit. Der Zustand eines 16 Monate alten Opfers im Kinderkrankenhaus der Handestadt ist nach Angaben der Mediziner stabil.
Quelle: ntv.de