Politik

Sofia hat, was Kiew braucht Warum Bulgarien der heimliche Retter der Gegenoffensive ist

Der bulgarischen Ex-Premier Kiril Petkow (l.) - hier mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj - steht zu seinem Wort vom April vergangenen Jahres, die Ukraine weiter zu unterstützen.

Der bulgarischen Ex-Premier Kiril Petkow (l.) - hier mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj - steht zu seinem Wort vom April vergangenen Jahres, die Ukraine weiter zu unterstützen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Liste der Waffen, die sich die Ukraine für die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete wünscht, ist lang. Neben Kampfjets und Panzern braucht das Militär aber vor allem eins: Munition. Doch Kiew hat nur wenig von den Spenden der Verbündeten, wenn ein Land nicht mitmacht: Bulgarien.

"Die Ukraine ist bereit", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview auf die Frage, was er über die seit Langem angekündigte Gegenoffensive sagen könne. Er sagte auch, dass die Ukraine gern noch mehr Waffen dafür gehabt hätte, aber nicht mehr Monate auf deren Lieferung warten könne. Seit Wochen reist Selenskyj um die Welt, um für mehr Unterstützung zu werben. Der Fokus liegt dabei oft auf den westlichen Ländern, die Kiew langersehnte Zusagen wie die F-16-Jets oder Langstreckenraketen vom Typ Storm Shadow gemacht haben. Dabei ist Kiew aber vor allem auf ein Land angewiesen, über das bei Waffenlieferungen kaum einer spricht: Bulgarien.

Lange war Bulgarien neben Ungarn das einzige NATO-Land, das keine Waffen an die Ukraine geliefert hat. Zumindest nicht offiziell. Doch als im vergangenen Frühjahr der ukrainischen Armee der Treibstoff und die Munition sowjetischen Kalibers ausgingen, die sie für den Kampf gegen die Russen benötigten, kam die Rettung von unerwarteter Seite: Bulgarien. Später stellte sich heraus, dass der damalige Premier Kiril Petkow bei seinem Besuch in Kiew am 28. April 2022 nicht nur, wie offiziell verkündet, Selenskyj seine Unterstützung mit Worten zugesagt hatte - sondern auch heimlich Taten folgen ließ.

Aufgrund Bulgariens komplizierter Innenpolitik und der prorussischen Ausrichtung anderer Parteien im Parlament durfte die Öffentlichkeit zu dem Zeitpunkt nichts davon erfahren. Petkows liberale Partei "Wir setzen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien" (PP-DB) bezieht dagegen seit Beginn der Invasion klar Stellung für die Ukraine. Zunächst habe es im Parlament den Beschluss gegeben, die Ukraine mit Munition zu versorgen, sagt Norbert Beckmann, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bulgarien. Nachdem das Land geliefert hatte, erklärte Staatspräsident Rumen Radew jedoch offiziell, dass Bulgarien seine Verpflichtungen erfüllt habe und jetzt nicht mehr weiter liefern wolle.

Bulgarien hat das, was Kiew braucht

Zwei Parteien im Parlament - PP-DB und GERB - widersprachen und sagten zugleich zu, weiterhin alles zu tun, dass weiter Munition an die Ukraine geliefert wird. "Und wir können davon ausgehen, dass diese Lieferungen trotz des politischen Streits in Bulgarien weiter erfolgten", sagt Beckmann ntv.de. Im vergangenen Jahr versorgte Bulgarien Kiew mit Rüstungsgütern im Wert von einer Milliarde US-Dollar. Geliefert wurden vor allem Munition und Granaten, das meiste davon unter der Hand oder über Drittländer wie Rumänien und Polen.

Bulgarien ist für die Ukraine deshalb so nützlich, weil es als ehemaliger Ostblock-Staat über sowjetische Munition verfügt. Denn trotz der Waffenlieferungen aus dem Westen operiert die Ukraine noch immer hauptsächlich mit sowjetischen Geräten. Die Munition dafür ist knapp - Polen liefert zwar ebenfalls aus alten Beständen, hat aber nicht genug, um den Bedarf des ukrainischen Militärs zu decken. Bulgarien verfügt dagegen noch über 300.000 Granaten, die sofort in die Ukraine geliefert werden könnten.

"Der zweite Grund ist, dass Bulgarien immer noch aktiv produziert", so Beckmann. Was genau produziert und geliefert wird, werde aber nicht veröffentlicht - zu groß ist die Sorge, dass Russland daraus schließen könnte, mit welchen Waffen am meisten gekämpft wird und welche Munition und Geräte die Ukraine besitzt. "Die Informationen unterliegen deshalb der Geheimhaltung."

Waffenlieferungen werden zum Politikum

Auch für die kommende Gegenoffensive spielt Bulgarien eine wichtige Rolle. Ohne die Lieferung großer Mengen sowjetischer Munition würde diese mit ziemlicher Sicherheit scheitern, heißt es von Militärexperten. Das liegt vor allem daran, dass sich die ukrainischen Soldaten bei der Rückeroberung besetzter Gebiete durch Minenfelder kämpfen müssen. Diese werden zunächst von Granaten gesprengt, bevor die Infanterie geschickt wird. Das kostet Zeit und Munition. Die Truppen kommen deshalb nur langsam voran, erleiden aber weniger Verluste.

Doch Waffenlieferungen an die Ukraine sind in Bulgarien wegen der alten Verbundenheit zu Russland zu einem Politikum geworden. Das politisch instabile Land hat am 2. April zum fünften Mal in nur einem Jahr ein neues Parlament gewählt. Gewinner ist das Mitte-Rechts-Bündnis GERB-UDF des früheren Regierungschefs Bojko Borissow, gefolgt von der liberalkonservativen PP-DB von Ex-Premier Kiril Petkow.

"Beide Parteien lassen kein Blatt zwischen die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland", sagt Beckmann. Zu einer Regierungsbildung kam es bislang noch nicht - beide Parteien scheitern immer wieder an innerpolitischen Fragen. Die Alternativen sind aber wenig reizvoll: Auf Platz drei landete die prorussische, nationalistische Partei "Wiedergeburt", die Moskau nach wie vor die Treue hält. "GERB und PP-DB sind ganz klar pro-NATO, EU und Ukraine, während die Partei 'Wiedergeburt' im russischen Lager steht und der NATO die Schuld am Krieg gibt", fasst Beckmann zusammen.

Regierungsbildung entscheidend für Kiew und EU

Es gebe zudem genügend Hinweise darauf, dass Russland bei der Regierungsbildung versucht, Einfluss zu nehmen, so der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Je länger keine Regierung da ist, umso schwieriger ist natürlich auch ein politisches Handeln", sagt Beckmann. Russland könne versuchen, die politische Ausrichtung Bulgariens langfristig zu ändern. Auch in den öffentlichen Debatten und Medien versuche Russland aktiv Einfluss zu nehmen. "Der russische Botschafter mischt sich entgegen alle diplomatischen Gepflogenheiten immer wieder in die innenpolitischen Debatten ein", so Beckmann.

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Eine Gefahr, dass die prorussische, nationalistische Partei eine große Mehrheit bekäme, sehen bulgarische Umfrageinstitute trotzdem nicht. Die meisten Bürger stehen hinter der Ukraine. Trotzdem gebe es nach wie vor eine hohe Affinität zu Russland, erklärt Beckmann. "Während der kommunistischen Phase war Bulgarien mit Moskau sehr eng verbündet." Zudem gebe es auch eine Menge Tradition, die beide Länder noch immer verbindet. Rund 20 bis 25 Prozent der Bulgaren unterstützen Russland nach wie vor. Die anderen 75 Prozent seien aber klar demokratisch und europäisch, so Beckmann.

Die Regierungsbildung in Bulgarien wird in den kommenden Wochen deshalb entscheidend für die Unterstützung der Ukraine sein. Wichtig sei, dass auch die EU-Partner und NATO-Staaten Bulgarien im Blick haben, so Beckmann. "Allein wegen der geografischen Lage Bulgariens, mit Häfen am Schwarzmeer und der Donau, gibt es wichtige Transportkorridore, beispielsweise für die Getreidelieferungen aus der Ukraine." Deshalb müsse man sowohl in der Ukraine als auch im Westen abwarten, ob es Bulgarien gelingt, die politische Dauerkrise zu überwinden und ein handlungsfähiger außenpolitischer Partner zu sein.

Quelle: ntv.de

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