Babys mit Sprengstoffgürteln Warum Kongo der schlimmste Ort ist, ein Kind zu sein


Rund 2,8 Millionen Kinder sind laut Unicef im Kongo direkte Opfer bewaffneter Konflikte.
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Vor wenigen Tagen schockiert eine Nachricht aus dem Kongo von zwei Babys, denen von Terroristen Sprengstoffgürtel angelegt wurden. Das ist kein Einzelfall: Im Kongo rekrutieren und entführen Rebellen zunehmend Kinder, um sie für ihren Krieg zu missbrauchen. Die Gewalt nimmt immer mehr zu.
Als Grant Leaity, der Landesvertreter des UN-Kinderhilfswerks UNICEF im Kongo, vergangene Woche vor die Kameras tritt, macht er ein sehr ernstes Gesicht. Er schlägt Alarm: Die Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo "hat ein beispielloses Ausmaß erreicht", sagt er und fasst zusammen: "Es gibt, wenn überhaupt, kaum einen schlimmeren Ort, um ein Kind zu sein."
Er berichtet von einem der schlimmsten, von UNICEF dokumentierten Fälle im Osten des Kongo. Dort wurden zwei Kleinkinder, nicht einmal ein Jahr alt, mit einem Sprengstoffgürtel aufgefunden. Die Eltern der Zwillinge sowie der Rest der Familie seien zuvor massakriert worden, so Leaity. Man fand die Mädchen allein in einem Haus, völlig unterernährt "und an einem Sprengstoffgürtel befestigt." Die Sprengstofffalle sei unter einer Decke und Kleidern versteckt gewesen und war vermutlich angebracht worden, um diejenigen zu töten, die den Kindern zu Hilfe kommen wollten. Glücklicherweise konnte ein UN-Anti-Minen-Team die Bombe entschärfen.
Die Kinder seien nun in einer sicheren Auffangstation untergebracht. Sie hätten sich "vollständig von der Unterernährung erholt", aber es gebe weiterhin Bedenken hinsichtlich der "psychischen Narben", die sie wahrscheinlich erlitten hätten, sagte er.
Über den genauen Zeitpunkt, wann dies geschehen ist, machte Leaity keine Angaben. Die beiden Mädchen wurden in einem Dorf im Umkreis der ostkongolesischen Handelsstadt Beni aufgefunden, so Unicef. Das unwegsame Gelände in den Bergen rundherum wird von den ugandischen, islamistischen Rebellen der ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte) kontrolliert. Die ADF hat sich die in den vergangenen Jahren ins Netzwerk des Islamischen Staates (IS) in Afrika integriert und übernimmt zunehmend deren Gewaltmethoden wie Selbstmordattentate und Sprengstofffallen. Im Nachbarland Uganda, wo die ADF eigentlich herstammt, wurden vergangene Woche erst wieder fünf Sprengstofffallen der ADF erfolgreich entschärft, eine war in einer Kirche platziert worden.
Milizen rekrutieren Fünfjährige
Die ADF ist im vergangenen Jahr durch gemeinsame Militäroperationen der ugandischen und kongolesischen Streitkräfte enorm unter Druck geraten. Seitdem rekrutieren und entführen sie nun zunehmend Kinder, um sie für ihren Krieg zu missbrauchen, wie wohl auch im Fall der beiden Mädchen mit dem Sprengstoffgürtel. "Täglich werden Kinder vergewaltigt und getötet. Sie werden von bewaffneten Gruppen entführt, rekrutiert und ausgenutzt", so Leaity.
Rund 2,8 Millionen Kinder seien im Kongo vor allem im Osten des Landes direkte Opfer der bewaffneten Konflikte, so Unicef. Der Ende Juni veröffentlichte UN-Jahresbericht über die Lage von Kindern in bewaffneten Konflikten meldete im Kongo 3377 nachgewiesene schwere Verstöße gegen Kinder. Fast die Hälfte von ihnen wurde von Milizen rekrutiert, einige sind gerade einmal fünf Jahre alt, so der Bericht.
In den meisten, von Rebellen besetzten Gebieten sind die Menschen auf der Flucht. Mehr als 2000 Schulen sind geschlossen, einige wurden von Milizen geplündert, in anderen hausen vertriebene Familien, die sonst keinen Unterschlupf finden. Sie sind auf Hilfsleistungen angewiesen, weil sie nicht ernten können. Zusätzlich zu der verheerenden Gewalt sind laut UNICEF rund 1,2 Millionen Kinder im Alter unter fünf Jahren im Osten von schwerer akuter Unterernährung bedroht. Das Land erlebt außerdem den schlimmsten Cholera-Ausbruch seit mehr als fünf Jahren, was auf die grauenvollen, sanitären Bedingungen in den Vertriebenenlagern zurückzuführen ist. Und auch Masern breiten sich wieder aus. Allein bis Ende August dieses Jahres wurden über 780.000 Fälle registriert. Jetzt hat auch noch die Regenzeit angefangen. In den selbstgemachten Zelten in den Lagern drohen nun die Kinder durch Nässe und Unterkühlung krank zu werden.
Schulen werden von Rebellen attackiert
In anderen Kriegsgebieten Afrikas ist die Lage ähnlich schlimm. Die internationale Kinderhilfsorganisation Save the Children schlägt Alarm, dass wegen der zunehmenden Gewalt in den Sahelstaaten Burkina Faso, Mali und Niger immer mehr Kinder in diesen Ländern nicht zur Schule gehen können. Die Zahl der aufgrund von Angriffen geschlossenen Grundschulen habe sich im Jahr 2022 um 20 Prozent auf insgesamt 7800 erhöht, so die NGO. Bis Juni 2023 blieb dadurch rund 1,4 Millionen Kindern das Recht auf Bildung verwehrt, betont Save the Children.
In den von Milizen kontrollierten Gebieten in Burkina Faso, Mali und Niger hätten Kinder und Lehrer zunehmend Angst, sich in Schulgebäuden aufzuhalten. Der Grund: Schulen werden gezielt von bewaffnete Gruppen angegriffen. Hinzu kommt, dass viele Kinder vertrieben wurden und allein deshalb nicht zur Schule gehen können. Am stärksten betroffen von den Schulschließungen ist Burkina Faso mit 5318 Schulen, gefolgt von Mali und Niger. "Die bewaffnete Gewalt in der Sahelzone beraubt die Kinder ihrer Bildung und ihrer Zukunft", sagt Vishna Shah, Regionaldirektorin bei Save the Children in Westafrika. "Die Angriffe auf Schulen müssen umgehend aufhören", fordert sie.
Quelle: ntv.de