Politik

Ist das Abkommen ein Trojaner? Warum TTIP Angst verbreitet

59c79da57f86f5160e23e406840588d0.jpg

Protest von Foodwatch gegen TTIP: Manche Sorgen sind berechtigt, andere überzogen.

(Foto: AP)

TTIP-Gegner wollen den Untergang von Kultur, Wirtschaft, Umwelt und Demokratie verhindern. Sind ihre Sorgen berechtigt?

Für die einen ist TTIP ein Zusammenschluss der freien Welt, die im Vergleich zu den Mega-Staaten Asiens immer kleiner wird und nur gemeinsam noch über die Regeln auf diesem Planeten entscheiden kann. Für die anderen ist TTIP ein Trojanisches Pferd: ein Geschenk, das schön aussieht, letztlich aber die Schwächung der europäischen Kultur, der Wirtschaft, der Umwelt, der Demokratie bedeuten wird.

Verbünden sich die europäischen und amerikanischen Demokratien oder unterwerfen sich beide den multinationalen Konzernen?

In Berlin demonstrierten Hunderttausende, die nicht glauben können, dass sich die europäischen und amerikanischen Demokratien zum Wohle der Menschen miteinander verbünden, sondern dass sie sich multinationalen Konzernen unterwerfen.

Dabei wird Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nicht müde, immer und immer wieder zu betonen, dass TTIP noch nicht ausgehandelt sei. "Versuchen wir es doch einmal, einen guten Vertrag auszuhandeln", sagt er. Wie man gegen etwas protestieren könne, das man gar nicht kenne, will Gabriel nicht einleuchten.

Paralleljustiz statt ordentlicher Gerichte?

Doch gerade das ist das Problem: Viele Bürger fühlen sich hintergangen. Über TTIP wurde in der Öffentlichkeit lange praktisch nicht gesprochen. Dass es schon Hunderte ähnliche Verträge gibt und welche, teilweise dramatischen, Auswirkungen sie haben können, darüber verloren Politiker und Journalisten selten ein Wort – vielleicht auch, weil sie das Thema zu komplex für öffentliche Auseinandersetzungen hielten.

Beispiel Schiedsgerichte: Wer wusste schon, dass es auf dieser Welt hunderte kleine private Gerichte gibt, die oft nur für einen Fall zusammentreten, geheim tagen, praktisch nicht kontrolliert werden und dennoch Staaten auf die Zahlung von Milliardenbeträgen verklagen können? Wer wusste schon, dass diese Gerichte bereits Gesundheits- und Umweltschutzstandards in kleinen Staaten verwässert haben?

Diese Gerichte sind entstanden, als Industriestaaten, allen voran Deutschland, Investitionsschutzverträge mit Entwicklungsstaaten abschlossen. Pakistan wollte Investitionen aus Deutschland, doch deutsche Konzerne hatten die Befürchtung, in Pakistan nicht fair behandelt zu werden. Darum legten die beiden Länder fest, dass die Konzerne Pakistan in diesem Fall auf Schadensersatz verklagen dürfen. Andere Staaten machten es Deutschland und Pakistan nach und spannten ein Netz von Investitionsschutzverträgen über die Welt. Ein Schub für Investitionen und Entwicklung, sagen die Konzerne. Eine Paralleljustiz, sagen Kritiker. Jetzt soll auch TTIP ein Investitionsschutzabkommen enthalten – und die Europäer haben Angst davor, dass US-Konzerne vor Schiedsgerichten Sozial- und Umweltgesetze zerschießen.

Verhandlungen abbrechen oder Versuch wagen?

Das Versteckspiel ist mittlerweile weitgehend vorbei. Gabriel war selbst skeptisch, was TTIP angeht, und nachdem er der zuständige Minister wurde, lud er Kritiker zur Diskussion in sein Ministerium ein. Und er stellte klar, dass er keinen Grund sieht, private Schiedsgerichte in TTIP zu verankern.

Mittlerweile hat Gabriel mit anderen Sozialdemokraten aus Europa durchgesetzt, dass die EU, die mit den USA über TTIP verhandelt, eine Alternative schaffen will: Statt privater Schiedsgerichte soll es einen Investitionsgerichtshof geben. Mit öffentlich bestellten Richtern, Berufungsinstanz und öffentlich einsehbaren Urteilen. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström will sogar alte Investitionsschutzabkommen nachverhandeln und auch dort den Investitionsgerichtshof als Schlichtungsinstanz festschreiben.

Ein zentraler Kritikpunkt an TTIP ist damit berücksichtigt – wenn es der EU gelingt, die USA von ihrem Plan zu überzeugen. Dass sie das schafft, ist nicht sicher. Doch Gabriel sagt: Man sollte es zumindest versuchen, bevor man jetzt voreilig die Verhandlungen abbricht. Die Demonstration findet er darum unsinnig.

Aber es gibt noch andere Kritikpunkte. Bürger fürchten, dass Kulturförderung, Umwelt- und Verbraucherschutz, Arbeitsrecht und Sozialleistungen als Handelshemmnisse angesehen und kaputtgemacht werden. Oder zumindest, dass neue Gesetze verhindert werden, weil TTIP den Status Quo festschreibt.

Problem mangelnder Transparenz

Einiges davon ist berechtigt: Denn erstens soll wohl ein gemeinsamer Regulationsrat über neue Standards entscheiden – und damit ein demokratisch weitgehend unkontrolliertes Gremium. Und zweitens gelten in EU und USA in vielen Bereichen unterschiedliche Schutzprinzipien. So müssen etwa neue Pflanzenschutzmittel in Europa nachweisbar unschädlich sein. In den USA reicht es, wenn ihre Schädlichkeit nicht bewiesen ist.

Anderes ist abwegig: So haben EU-Kommission und Bundesregierung versprochen, dass die Kulturförderung explizit geschützt wird. Dennoch ist in den Videos, mit denen die Veranstalter zur Anti-TTIP-Demo aufrufen, davon die Rede, die Buchpreisbindung solle abgeschafft werden.

Ein Grundproblem in der Debatte ist, das auch die ausverhandelten Teile von TTIP nicht öffentlich sind. Nur zögerlich schafft die EU mehr Transparenz. Auch Bundestagsabgeordnete wissen kaum, was da auf sie zukommt. Wenn TTIP dann aber fertig und öffentlich ist, wird es schwierig sein, daran noch etwas zu ändern.

So wie bei Ceta. Das Abkommen zwischen der EU und Kanada gilt als Vorbild für TTIP und ist bereits fertig. Es soll nur noch in juristischen Details geändert werden, nicht mehr in der Substanz. Dabei enthält dieses Abkommen einiges von dem, was Kritiker auch bei TTIP befürchten. Zum Beispiel auch private Schiedsgerichte. Der Wirtschaftsminister hat wenig Hoffnung, das noch ändern zu können. Und auch gegen Ceta richtet sich die Demo am heutigen Samstag.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen