Neue Kompromisse in Europa Was bedeutet Hollandes Wahlsieg?
06.05.2012, 19:56 Uhr
Hollande will den politischen Kurs Frankreichs spürbar ändern. Deutschland und die EU müssen sich umstellen.
(Foto: AP)
Erstmals seit dem Abgang von Mitterrand vor 17 Jahren steht wieder ein Sozialist an der Spitze Frankreichs. Hollande setzt auf klassische Themen wie Wachstum und Beschäftigung. Damit fährt er einen neuen Kurs in Europa. Berlin tut sich schwer damit.
Der Sozialist François Hollande wird als Präsident Frankreichs einige neue Akzente in der Europapolitik setzen. Mehr Wachstum und Beschäftigung waren seine zentralen Forderungen im Wahlkampf. Das wird Folgen für die Nachbarn in Europa haben - und Europas Krisenstrategie verändern. Der strikte Sparkurs steht zur Debatte.
Was bedeutet die Wahl Hollandes für die deutsche Politik?
François Hollande und Angela Merkel müssen sich erst einmal aneinander gewöhnen. Beide stammen aus unterschiedlichen Parteienfamilien. Aber sie wissen, dass sie sich gegenseitig brauchen und Alleingänge in Europa nichts bringen. Auch zwischen Merkel und Nicolas Sarkozy hat die Chemie nicht auf Anhieb gestimmt. Ihre Vorgänger brauchten ebenfalls immer etwas Zeit. Schon Charles de Gaulle und Konrad Adenauer waren nicht von Anfang an ein "Traumpaar". Das galt auch für Giscard d'Estaing/Schmidt, Mitterrand/Kohl oder Chirac/Schröder.
Was verändert sich durch Hollande in Europa?
Der Sozialistenchef will den gerade erst beschlossenen und zum Teil schon ratifizierten Fiskalpakt neu verhandeln. Dieser Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin enthält automatische Strafen für Defizitsünder. Hollande will ihn zumindest um Maßnahmen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze ergänzen. Das könnte zu einer schweren Krise führen, weil die anderen Vertragspartner den Fiskalpakt nicht ändern wollen. Denn der Pakt hat erheblich dazu beigetragen, die Finanzmärkte zu beruhigen.
Wie kann der Konflikt abgewendet werden?
Mit einem Kompromiss, der den Pakt selbst nicht antastet. Für Wachstum und Beschäftigung sind natürlich alle Politiker. Man könnte auch EU-Haushaltsmittel in die besonders armen Länder umleiten. Der Streit geht darum, was mit Wachstum gemeint ist. Merkel versteht darunter vor allem weniger Bürokratie und mehr EU-Binnenmarkt. Hollande hat Milliarden Euro versprochen. Falls er Konjunkturprogramme auf Pump finanzieren will, könnte dies an den Finanzmärkten zu gigantischem Druck auf Frankreich und damit auch auf den Euro führen.
Wird die EU ihren Kurs in der Euro-Krise verändern?
Nicht wirklich verändern, aber ergänzen. Schon im März hat ein EU-Gipfel vor allem über Wachstumsanreize beraten. Hollandes Drängen hält das Thema auf der Tagesordnung. So macht sich der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, für einen Wachstumspakt stark, der den Pakt für strikte Haushaltsdisziplin (Fiskalpakt) ergänzen könnte. Schon jetzt ist klar, dass der nächste reguläre EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel erneut vor allem über die Wachstumsankurbelung debattieren wird.
Was dürfte sich nach der Wahl nun in Brüssel tun?
Wochenlang hat der Wahlkampf in Frankreich wichtige Entscheidungen blockiert. Offen ist immer noch, wer neuer Vorsitzender der Eurogruppe wird, wer ins Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) einzieht und wer künftig den europäischen Krisenfonds ESM leitet. Diese Personalfragen dürften jetzt rasch gelöst werden.
Und wie ist es um andere EU-Themen bestellt?
Themen wie das gemeinsame EU-Patent oder die Schengen-Reform dürften nun vorankommen, meinen Diplomaten. Hollande dürfte dabei keine grundlegenden französischen Positionen verändern. Zum Schengener Abkommen, das die Reisefreiheit garantiert, hat Hollande sich bislang nur vage geäußert. Frankreich und Deutschland wollen die Reisefreiheit als große Errungenschaft Europas bewahren. Die Entscheidung über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen wollen sie selbst in der Hand behalten - und nicht an die EU-Ebene abgeben.
Gibt es auch Probleme außerhalb der EU?
Und ob: Vor allem innerhalb der Nato. Hollande hat angekündigt, er wolle die französischen Soldaten bis Ende 2012 aus Afghanistan abziehen. Das wäre zwei Jahre früher als bisher geplant. Beim Nato-Gipfel am 20. Mai in Chicago stünde er im Zentrum der Kritik.
Quelle: ntv.de