Politik

Frankreich und Polen Was die Nachbarn an Deutschlands Ukraine-Politik ärgert

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Morawiecki und Macron bei der informellen Tagung der EU-Staats- und Regierungschefs in Prag im vergangenen Oktober.

(Foto: IMAGO/CTK Photo)

Kanzler Scholz wurde dafür kritisiert, mit seinem Ukraine-Kurs für Verstimmung bei den Nachbarn in Europa zu sorgen. Das beste Beispiel ist wohl Polen, aber auch in Frankreich regt sich Unmut. Allerdings weniger wegen der Waffenfrage.

Emmanuel Macron hat guten Grund, Bundeskanzler Olaf Scholz dankbar zu sein. Gerade zog der Deutsche wieder einmal sämtliche Kritik in der Ukraine-Politik auf sich. Die Entscheidung, Leopard-2-Panzer freizugeben, sei zu spät gekommen, schimpften hiesige Verteidigungspolitiker. Überhaupt habe er die Nachbarländer mit seiner Kommunikation und seinem Zögern verstimmt. Der französische Präsident musste dergleichen nicht ertragen. Dabei könnte man ihm dasselbe vorwerfen wie Scholz: Er hat immer noch nicht entschieden, ob er Kiew französische Leclerc-Panzer zukommen lassen will oder nicht.

Immerhin wirft er dem Kanzler kein Zaudern vor - er hat aber andere Gründe, verstimmt zu sein. Das hat nicht nur mit Militärfragen, sondern auch mit der Energiepolitik zu tun. Paris ist aber nicht die einzige benachbarte Hauptstadt, in der sich Unmut über die Bundesregierung regt. Neben dem größten Nachbarn im Westen gibt es auch Verstimmungen beim größten Nachbarn im Osten.

In Polen ist die Regierung schon seit Monaten verärgert über den Scholz-Kurs. "Es gibt eine tiefsitzende Skepsis gegenüber dem deutschen Verhalten seit Russlands Angriff auf die Ukraine", sagt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit ntv.de. "Man unterstellt Deutschland Furchtsamkeit. Was in Deutschland Besonnenheit genannt wird, wird da als Naivität und übermäßige Eskalationsfurcht bezeichnet."

Polen setzt auf Härte gegen Russland

Der russische Angriff auf das Nachbarland hat Warschau in höchste Aufregung und Alarmbereitschaft versetzt. Millionen Flüchtlinge sind im Land und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dringt vehement auf konsequente Waffenlieferungen - und hat selbst längst Panzer geschickt, allerdings bislang nur alte Sowjet-Modelle. In Polen fürchtet man, dass Russland im Falle eines Erfolges als nächstes die NATO, sprich Polen, ins Visier nimmt. So sehe man auch die Scholz-Entscheidung, der Ukraine Leopard-2-Panzer zu liefern als Erfolg des eigenen Drucks, wie Polen-Experte Lang sagt. Auch wenn am Ende das Go der Amerikaner, ebenfalls Panzer zu schicken, den Ausschlag für Scholz gab.

Nach der Zeitenwende-Rede von Scholz habe es zwar einen kurzen Moment der Hoffnung gegeben, sagt Lang. "Aber jetzt sagen viele, dass Deutschland immer noch mit 'hard power', fremdele, vor allem wenn es darum geht, Russland entschlossen und eben auch mit Waffenlieferungen entgegenzutreten." Die Bedrohung durch Russland werde in Berlin und Warschau unterschiedlich wahrgenommen. In Polen argumentiere man: "Wenn der Westen zu vorsichtig ist, gibt es ein Risiko, dass das aus dem Ruder läuft. In Deutschland sagt man: Wenn der Westen mit Waffenlieferungen zu stark dagegenhält, steigt das Eskalationsrisiko." Das sei einer der Kernunterschiede zwischen Deutschland und Polen.

Das habe nur bedingt mit dem Wahlkampf in Polen zu tun, wie der SWP-Experte Lang sagt. Er ist sich sicher, dass Deutschland sich auch ohne Wahlkampf die gleiche Kritik gefallen lassen müsste - und dass auch die Opposition sich genauso äußern würde, wenn auch in milderem Tonfall.

Ukraine in Frankreich fast kein Thema

Dabei ist die deutsche Russlandpolitik der vergangenen Jahre in Wahrheit die deutsch-französische. Präsident François Hollande verhandelte gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel die Minsker Abkommen aus. Mit Macron gab es keinen Bruch, im Gegenteil: Er war stets dafür, Moskau und Putin die Hand auszustrecken. 2017 forderte er in der Universität Sorbonne zudem ein militärisch von den USA unabhängigeres Europa. "In Paris ist man sich durchaus bewusst, dass diese französischen Initiativen mit dem Ukraine-Krieg schweren Schaden genommen haben", sagt Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ntv.de. Viele EU-Staaten in Osteuropa und im Baltikum sähen, dass Europa fundamental abhängig ist von den amerikanischen Sicherheitsgarantien, so der Frankreich-Experte. Polen setzt deshalb konsequent auf die USA, wie Lang bestätigt.

Kritik muss Macron aus dem Inneren indes nicht fürchten. Der Konflikt werde in Frankreich ganz anders wahrgenommen, sagt DGAP-Experte Ross. "Die öffentliche Debatte ist überhaupt nicht mit der in Deutschland vergleichbar." Sie werde von Experten geführt, in Talkshows sei sie "überhaupt kein Thema". Eine Rentenreform ist den Franzosen gerade wichtiger. Vom Krieg in der Ukraine merken sie allenfalls die Inflation. Doch sind kaum Flüchtlinge im Land und die räumliche Distanz tut ihr Übriges.

Dass es zwischen Deutschland und Frankreich hakt, zeigte sich schon im vergangenen Herbst, als ein gemeinsamer Ministerrat abgesagt wurde. Oder als Macron Ende Dezember mit der Ankündigung "vorpreschte", wie es in Deutschland danach hieß, der Ukraine französische Schützenpanzer zu liefern. Tage später zogen dann Scholz und US-Präsident Joe Biden nach und wirkten genau so: wie Nachzügler. Frankreich sehe sich dabei nicht als jemand, der "vorgeprescht" sei, erklärt Ross. In der französischen Debatte sei der Tenor ein anderer gewesen. Demnach wurde der Kanzler gewissermaßen ein wenig in Richtung dieser Entscheidung geschubst. Frankreich sehe sich eher als Türöffner.

So stand Macron wieder einmal als jemand da, der bei den Waffenlieferungen entschlossen vorangeht, Scholz dagegen wie der Nachzügler. Und das, obwohl Deutschland von den EU-Staaten die meisten Waffen geliefert hat. Jetzt deute sich das gleiche Muster bei der Frage nach Kampfjet-Lieferungen an: US-Präsident Biden schloss sie ebenso wie Scholz aus, Macron tat dies bei einer Reise in die Niederlande nicht.

Streit um Atomfrage

Deutschland und Frankreich haben aber in anderen Fragen größere Probleme - etwa in der Energiepolitik. Der Streit dreht sich dabei um die Atomkraft. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres wurde diskutiert, ob Deutschland Blackouts drohten - was katastrophale Folgen für die Wirtschaft gehabt hätte. Das war nie wahrscheinlich, aber Engpässe schienen durchaus möglich. Das hatte auch damit zu tun, dass in Frankreich die alten Atommeiler reihenweise vom Netz gingen, weil Reparaturen nötig waren. Deutschland musste deswegen mit der eigenen Energie einspringen. In der deutschen Debatte war der Tenor: Hätten die französischen Ingenieure doch bloß ihre AKW besser im Griff. In Frankreich war das ganz anders, wie Ross erklärt: "Die französische Presse erklärte das mit dem 'ideologischen Atomausstieg der Deutschen'."

Auch beim Thema Gas gab es Streit. "Fast schon ein Affront" sei es gewesen, meint Ross, als Frankreich das Pipeline-Projekt Midcat absagte. Das sollte Gas aus Portugal und Spanien nach Frankreich bringen. Deutschland hatte gehofft, dass die Leitung bis diesseits des Rheins verlängert werden könnte. Es gibt zwar ein ähnliches neues Projekt, doch gemeinsames deutsch-französisches Handeln sähe anders aus.

Die Sicht auf Deutschland hat in Paris und Warschau aber auch Gemeinsamkeiten. Ross verweist auf die Äußerung von Außenministerin Annalena Baerbock im vergangenen Frühjahr. Sie sagte damals, Deutschland sei nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in einer anderen Welt aufgewacht. Ross: "Dieses Aufwachen gab es für Frankreich einfach nicht. Die französische Politik und auch die Gesellschaft haben immer in einer Welt gelebt, in der es auch Krieg gab, in der auch französische Soldaten in Auslandseinsätzen gefallen sind." Auch Warschau musste seine Weltsicht nach dem russischen Überfall nicht ändern. Die Polen wachten in einer Welt auf, vor der sie Deutschland immer gewarnt hatten.

Quelle: ntv.de

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