Politik

Budget-Stillstand in den USA "Was für ein Trauerspiel!"

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Jetzt ist es passiert. Demokraten und Republikaner im US-Kongress konnten sich nicht auf einen Haushalt einigen. Millionen Menschen stehen nun vor verschlossenen öffentlichen Einrichtungen. Viele bekommen kein Gehalt mehr. Sollte der Streit weiter eskalieren, hätte das "fatale Auswirkungen auf die amerikanischen Wirtschaft", schreibt Christoph Herwartz bei n-tv.de. Die deutschen Tageszeitungen kommentieren ebenfalls die Lage.

Die Rhein-Neckar Zeitung schreibt: "Über kurz oder lang werden zumindest die moderaten Republikaner einlenken müssen. Das Problem ist damit freilich nicht gelöst. Denn die Abgeordneten der Tea Party werden in ihren erzkonservativ geprägten, meist ländlichen Wahlkreisen für ihre Kompromisslosigkeit gefeiert. Das derzeitige Geschehen in Washington ist somit nur Ausdruck der tiefen Gräben, die die US-Gesellschaft durchziehen - und die in Zukunft zu noch heftigeren Verwerfungen führen könnten."

Das Kapitol: Verwirrendes geht vor sich.

Das Kapitol: Verwirrendes geht vor sich.

(Foto: AP)

Die für ihre Stadt wichtigen Lübecker Nachrichten meinen: "Es sieht ganz danach aus, als ob Obama als Sieger aus dem Ringen zwischen Demokraten und Republikanern hervorgeht. Der Präsident muss sich aber vorhalten lassen, sich von seiner ursprünglichen Mission immer weiter zu entfernen: die Gräben im eigenen Land zu überwinden."

Die Rhein-Zeitung nimmt die Konservativen scharf ins Visier: "Was der Kongress bietet, wäre karnevalsreif, stünde nicht so viel auf dem Spiel. Der Rechten geht Barack Obamas Gesundheitsreform gegen den ideologischen Strich. Vor allem gönnen sie ihm aber keinen Erfolg. Einen Mann, mit dessen Wahlsiegen sich das rechte, weiße, nostalgische Amerika nie recht abfinden konnte, gewiss auch wegen der Farbe seiner Haut. Um die Gesundheitsnovelle auf die lange Bank zu schieben, nimmt die Tea Party in Kauf, dass der Staat nur noch halb funktioniert. Hier sind Fundamentalisten am Werk, die ihr Land der reinen Lehre wegen der Lächerlichkeit preisgeben. Was für ein Trauerspiel!"

Ähnlich sehen das die Nürnberger Nachrichten: "Wer in den freiheitlichen Demokratien des Westens lebt, empört sich gern und auch zu Recht über Fundamentalisten, die vor allem in religiös, meist islamisch geprägten Staaten ihre Beton-Politik betreiben. Dabei gibt es Fundamentalisten auch in der größten Demokratie der Welt: Momentan und wieder einmal legen die Hardliner bei den US-Republikanern die Vereinigten Staaten lahm - und wenn sie nicht einlenken, wofür augenblicklich wenig spricht, dann wird aus dieser Blockade womöglich der Anfang der nächsten Welt-Finanzkrise. Der parlamentarische Flügel der Tea-Party-Bewegung betreibt keine demokratische Politik, sondern Dogmatismus: Diese Gruppe ist nicht willens zu einem Grundelement jeder Demokratie - zum Kompromiss."

Und auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung meint: "Es ist ein Spektakel, das in Washington geboten wird, aber eines, bei dem den Zuschauern eher zum Weinen zumute ist. Da sich Republikaner und Demokraten, Senat und Repräsentantenhaus, Kongress und Präsident nicht auf einen Überbrückungshaushalt einigen konnten, sind Hunderttausende Bundesangestellte in den Zwangsurlaub geschickt worden, viele Behörden haben ihren Dienst eingestellt. Die maßgeblichen Akteure in diesem Streit, bei dem viele Faktoren zusammenkommen, ideologische wie machtpolitische, sind also voll auf Risiko gegangen und scheinen ungerührt all jenen recht geben zu wollen, die den Politikbetrieb in Washington für faul bis in den Kern halten: die Weltmacht in einer Art Haushaltsnotstand. Das Publikum fragt sich irritiert, warum es soweit kommen musste, warum soviel Gift im System ist."

Der Kölner Stadt-Anzeiger kommentiert: "Die Republikaner werden dabei von der radikalen Tea-Party-Bewegung angetrieben, deren Vorstellungen über das Verhältnis von Markt und Staat die deutsche FDP wie einen sozialistischen Arbeiterverein aussehen lässt. Die Tea Party sieht im Staat so etwas wie einen dahergelaufenen Straßenhund, der um Wurst bettelt. Mit solchen Augen betrachtet werden eine allgemeine Krankenversicherung und ein Mindestmaß an sozialem Ausgleich schnell zur Bedrohung."

Der Reutlinger General-Anzeiger blickt in die Zukunft: "Schlimmeres droht jedoch in zwei Wochen: Bis Mitte Oktober muss sich der US-Kongress auf eine Erhöhung der Schuldengrenze einigen. Scheitert auch diese Einigung, ist der Staat zahlungsunfähig. Dann droht eine Rezession und dann trifft es das Heer der ärmeren Amerikaner und ausgerechnet jene, deren Lage Obama mit seiner gesetzlichen Krankenversicherung verbessern will. Die Republikaner sehen das anders: Sie befürchten eine Kostenexplosion und den Verlust von Arbeitsplätzen."

Das Straubinger Tagblatt weiß: "Innenpolitisch ist Präsident Obama derzeit nahezu handlungsunfähig, es herrscht politischer Stillstand. Das System der gegenseitigen Gewaltenkontrolle in den USA ist am Ende. Das lässt nichts Gutes erahnen, sollte es nicht gelingen, das politische Patt zu lösen. Denn: Nur wenn sich gemäßigte Republikaner und Demokraten zusammenraufen, kann die vollkommene Zahlungsunfähigkeit der USA in zwei Wochen abgewendet werden."

Der Tagesspiegel aus Berlin schreibt: "Obama erntet Kritik. Ihm fehle es an Führungskraft. Nun kann er Stärke zeigen, indem er sich der Erpressung widersetzt. Ohne großes Risiko. Seine Gesundheitsreform bleibt zwar unpopulär, aber die Mehrheit der Bürger findet es falsch, sie mit dem Budgethebel zu stoppen. Die "Tea Party" wiederum berauscht sich an ihrer Macht und Prinzipientreue, wenn sie Appelle der Republikaner zur Mäßigung ignoriert. Eines muss man ihr zugestehen: Die Erpressung ist wirkungsvoll, weil Amerikas Regierungen seit langem mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen - egal, ob Republikaner oder Demokraten im Weißen Haus bestimmen. Die Verschuldung ist unverantwortlich hoch. Fehlt den Politikern der breiten Mitte der Gesellschaft die Kraft zu verantwortlichem Haushalten, bleibt nur die Schuldenobergrenze und mitunter ihre Verteidigung durch Randkräfte im Parlament."

Leicht fasziniert von den Vorgängen gibt sich die Pforzheimer Zeitung: "Zack, aus, fertig: In ihrer Konsequenz hat die amerikanische Version der Schuldenbremse durchaus ihren Charme. Da hilft kein Lavieren und kein Taktieren - da werden einfach mal keine neuen Schulden mehr gemacht. Angesichts der weltweiten Staatsschuldenorgie kann man diese US-Haushaltsregel durchaus bewundern. Soweit die schöne Theorie. Praktisch bringt sie die USA - und mittelfristig auch Europa - jedoch in eine ökonomisch bedenkliche Lage. Und im akuten Fall ergibt sie noch nicht einmal Sinn."

Und abschließend schreibt die Stuttgarter Zeitung: "Niemals zuvor in der Geschichte der USA ist das im Prinzip stabile System der Gewaltenteilung so bedroht gewesen wie heute. Niemals zuvor hat sich so deutlich gezeigt, dass es nur einer kleinen Gruppe von verantwortungslosen Volksvertretern bedarf, um das produktive Miteinander von Parlament, Präsident und Oberstem Gerichtshof in ein chaotisches Gegeneinander zu verwandeln. Die Väter der amerikanischen Verfassung haben zwar einiges vorhergesehen - doch sie konnten nicht ahnen, dass einmal eine Tea Party entstehen würde, die den Geist der Verfassung missachtet, wenn es ihr beliebt."

Quelle: ntv.de

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