Politik

Ibiza-Affäre und SMS an Strache Was wusste Sebastian Kurz?

Am Mittwoch sagt Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre aus.

Am Mittwoch sagt Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre aus.

(Foto: imago images/Alex Halada)

Ibiza ist nicht vorbei, auch für Sebastian Kurz nicht. Österreichs Kanzler wird sich am Mittwoch im U-Ausschuss brisanten Fragen stellen müssen. Derweil werden SMS an Heinz-Christian Strache öffentlich, die nur auf den ersten Blick harmlos erscheinen.

Wenn Sebastian Kurz am Tag, bevor die Bombe platzte, seinem Vizekanzler noch traute, dann konnte er sich beruhigt ins Bett legen. Es ist der 16. Mai 2019. Gerüchte über ein Video machen die Runde, das einen Skandal bei der FPÖ auslösen könnte, dem Regierungspartner von Kurz' ÖVP. Also schreibt der Kanzler eine SMS an Heinz-Christian Strache: "Was kommt da genau?" Die Antwort erreicht Kurz 0:50 Uhr: "Halb so wild. Viele falsche Vorwürfe (…)."

Rund 35 Stunden später tritt Vizekanzler Strache unter Tränen zurück, seine "besoffene Geschicht'" stürzt die Republik kurzzeitig in eine Regierungskrise - und bis heute in Spekulationen. Wer stellte die Falle und warum? Und wie steht es um das Verhältnis zwischen Wodka, Wichtigtuerei und Wahrheit in jener legendären Nacht auf der Finca in Sant Antoni de Portmany?

Die beiden SMS zwischen Kurz und Strache zum Ibiza-Video, die nun via Boulevardzeitung "Österreich" den Weg an die Öffentlichkeit fanden, sind so eine Art Aufgalopp für den Showdown am Mittwoch. Um 10 Uhr wird der Bundeskanzler als Auskunftsperson vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Auf ihn warten einige unangenehme Fragen - denn seine ÖVP gerät immer wieder ins Zwielicht, wenn es um all die Hinterzimmertricks geht, die Strache im Video leutselig ausplaudert, um Postenschacher, um fragwürdige Parteienfinanzierung und politische Klüngelei. Besonders die Opposition wetzt schon die Messer: Sie wirft der Kanzlerpartei vor, die Aufklärung zu sabotieren.

Verschlossene Auskunftspersonen, entnervte Parlamentarier

Auch die dritte Befragungswoche des Ibiza-Untersuchungsausschusses beginnt mit der eigentümlichen Situation, dass die Mitglieder die Uncut-Version des Corpus Delicti noch nicht gesehen haben, was besonders die Opposition so langsam entnervt. Von "Zensur" sprach die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper, weil Justizministerin Alma Zadić von den Grünen nur die "abstrakt relevanten" Teile des Videos übermitteln will. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Sobotka, ein ÖVP-Grande mit Hang zum Feldwebel-Ton, hat vergangene Woche ein Angebot des Drahtziehers ausgeschlagen, das Rohmaterial zu übergeben. Nicht das erste Mal, dass Sobotka den Zorn der Opposition auf sich zieht. Die FPÖ, die ihn als "Tatortreiniger" bezeichnet, fordert seine Absetzung, auch Neos, SPÖ und Grüne sind mit Sobotkas Vorsitz alles andere als zufrieden.

Die Aufnahmen des berühmten Ibiza-Videos hat die Soko "Tape" bereits am 21. April sichergestellt, die Nachricht davon ging offenbar irgendwo auf dem Dienstweg verloren. Es fällt schwer, sich das vorzustellen, aber: Dass das Material zu einem der aufsehenerregendsten Skandale der europäischen Politikgeschichte gefunden wurde, erfuhr die zuständige Justizministerin Zadić einen Monat später aus der Zeitung. Ihr ÖVP-Amtskollege im Innenministerium, Karl Nehammer, wusste im Vorfeld Bescheid, hielt es aber nicht für nötig, Zadić zu informieren.

In einem denkwürdigen Auftritt vor dem Ausschuss am 5. Juni verschwurbelte Nehammer so lange seine Antworten auf klare Ja-Nein-Fragen, bis die Sitzung unterbrochen wurde. Auskunftspersonen, die ausweichen oder sich der Antwort gleich ganz entschlagen; Parlamentarier, die sich nicht ernst genommen fühlen: Das ist bislang die Story des Ibiza-Ausschusses.

"Lieber HC!"

Bei der Aufklärung hakte es von Anfang an, schon in den Ermittlungen. Das Problem: In der Causa Ibiza ermitteln Behörden, die sich spinnefeind sind, und die Gegenseite das auch spüren lassen. Auf der einen Seite die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), von Sebastian Kurz einmal als "rotes Netzwerk" geschmäht, also als Werkzeug der Sozialdemokraten. Ein delikater Vorwurf aus dem Munde eines Bundeskanzlers gegen eine unabhängige Stelle der Justiz. Auf der anderen Seite die Soko "Tape" aus dem Innenministerium, das als ÖVP-Erbhof gilt.

Mit welchen Mitteln sich Staatsanwälte und Polizisten beharken, war in den vergangenen Sitzungen zu bestaunen: Da legte die WKStA etwa grottenschlechte Scans des Terminkalenders eines Verdächtigen vor, die sie von der Soko bekommen hatte. Im Original zu entziffern, nicht aber auf dem Scan: Der Verdächtige hatte sich mit einem Herrn "Kurz" getroffen. "Da hat es uns die Augen rausgehaut", sagte ein WKStA-Mann. Die Opposition verlangt mittlerweile den Austausch der kompletten Soko, Innenminister Nehammer lobt dagegen die Fahndungserfolge seiner Truppe.

Austauschen musste die Soko schon im September einen ihrer Top-Leute, der ausgerechnet mit Heinz-Christian Strache in SMS-Kontakt stand. Als die Breaking News vom Ibiza-Video die Runde machten, schrieb Niko R. an Strache: "Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt … die Politik braucht dich." Bevor er im September abgezogen wurde, berichtet die "Süddeutsche Zeitung", vernahm R. noch einige Zeugen - darunter Strache selbst.

Fragezeichen hinter der "Schredder-Affäre"

Niko R. ist aber kein "Blauer", also kein FPÖler, er hat für die ÖVP für einen Gemeinderat in Niederösterreich kandidiert. Das wird wichtig in einer weiteren Affäre, in die R. verstrickt ist und in gewisser Weise auch Sebastian Kurz. Wenige Tage nach dem Ibiza-Beben vernichtet ein enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers fünf Druckerfestplatten, nicht auf dem normalen Weg, sondern bei einem privaten Daten-Dienstleister. Weil Arno M. die Rechnung unter falschem Namen unterzeichnet und sie nicht bezahlt, schaltet die Firma die Polizei ein. Die "Schredder-Affäre" ist geboren. Die Wirtschafts- und Kriminalstaatsanwaltschaft wittert einen Zusammenhang mit Ibiza und weist Ermittlungen an. Ausführender Beamter: Niko R.

R. macht Arno M. in der ÖVP-Zentrale ausfindig und nimmt ihn mit zu einer freiwilligen Begehung seiner Wohnung, kommt aber ohne Handy und Laptop in die Dienststelle zurück. Die Begründung: Einer der engsten Vertrauten von Sebastian Kurz habe die Polizisten in die ÖVP-Zentrale kommen sehen, "ein weiteres Einschreiten würde wenig Erfolg versprechen", wie der "Falter" aus den Ermittlungsakten zitiert. Niko R. impliziert also, dass Angehörige des engsten Kreises um Kurz im Zweifel Beweismittel vernichtet hätten.

Wusste Kurz Bescheid?

Die "Schredder-Affäre" ist eine von Dutzenden Nebensträngen, die sich um den Ibiza-Skandal ranken. Am besten erforscht dürfte die Causa Casinos sein - bis auf die Rolle des Bundeskanzlers. Grob gesagt geht es um ein klassisches Quid pro quo: Damit die FPÖ einen der Ihren in den Vorstand der teilweise staatseigenen Casinos Austria AG (Casag) hieven konnte, brauchte es die Zustimmung der anderen Aktionäre - darunter der Daddelautomaten-Gigant Novomatic, von dem Strache auf Ibiza behauptete, er "zahlt alle".

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Der Verdacht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Im Gegenzug für die Zustimmung zur Personalrochade verschaffte die ÖVP/FPÖ-Regierung der Novomatic neue Glücksspiellizenzen. Tief verstrickt: Ex-Finanzminister Hartmut Löger, dessen SMS-Verkehr mit Heinz-Christian Strache zum Postenschacher bestens dokumentiert ist. Darin bedankt sich Strache beim "lieben Hartwig" für die "Unterstützung bezüglich CASAG! Lg HC". Die offene Frage: Wusste auch Sebastian Kurz über die Absprachen Bescheid?

Wichtige Hinweise könnten die WhatsApp-Chats und SMS zwischen Strache und Kurz liefern. Die liegen dem Untersuchungsausschuss allerdings bisher nicht vor, zum Unmut der Mitglieder, die kein ÖVP-Parteibuch haben. Umso interessanter, dass nun ein paar harmlose SMS von Kurz und Strache in den Medien aufgetaucht sind, ein klarer Hinweis darauf, dass sie existieren, und dass jemand bereit ist, sie an die Öffentlichkeit zu spielen. Ob das Sebastian Kurz ruhig schlafen lässt, könnte sich vor dem Untersuchungsausschuss zeigen.

Quelle: ntv.de

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