Wer ersetzt Christine Lambrecht als Bundesverteidigungsministerin? Am Dienstag will Bundeskanzler Scholz eine Lösung präsentieren. Gehandelt werden weniger bekannte Frauen ebenso wie der Vorsitzende der SPD und der erfahrenste Bundesminister der Partei. Doch auch Überraschungen sind möglich.
Das Jobprofil sieht in etwa so aus: sozialdemokratisch, weiblich, militärisch beschlagen, erfahren in der Leitung eines Ministeriums oder einer anderen großen Landes- oder Bundesbehörde und stets loyal zum Chef. Der Chef ist Bundeskanzler Olaf Scholz, der Job ist der des Verteidigungsministers beziehungsweise der Verteidigungsministerin. Des Kanzlers Problem: Diese Anforderungen erfüllt niemand in seiner Partei - und ehrlicherweise auch keine Politikerin aus den Reihen von Koalitionspartnern und Opposition. Die Union hatte einmal eine zumindest in der Truppe respektierte Verteidigungsministerin, aber Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich aus der Bundespolitik verabschiedet.
So verwundert die Meldung der "Bild"-Zeitung nicht, dass es nicht unbedingt eine Frau sein müsste. Auch wenn es Scholz eine Herzensangelegenheit war, dass er seine Ministerriege paritätisch besetzt hat. Einfacher wird es dadurch aber nicht: Das Blatt will auch erfahren haben, dass drei heiß gehandelte Männer die Lambrecht-Nachfolger nicht antreten werden:
Lars Klingbeil hat sich seine Nominierung durch die Medien selbst zuzuschreiben. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er im Herbst 2021 gerne selbst in den Bendlerblock eingezogen wäre. Stattdessen stieg er vom jüngsten Generalsekretär zum jüngsten Parteichef in der Geschichte der SPD auf. Der 44-Jährige vertritt im Bundestag seit 2009 den Heidekreis, zu dem auch der Bundeswehr-Standort Munster gehört. Im Verteidigungsausschuss des Bundestags ist er stellvertretendes Mitglied. Sein Vater war Soldat, er selbst hat allerdings den Dienst an der Waffe verweigert. Auch als SPD-Vorsitzender besetzt er die Themen Internationales und Sicherheitspolitik. Er wäre eine natürliche Option, hat in diesem Jahr aber auch vier Landtagswahlkämpfe (Berlin, Bremen, Hessen und Bayern) zu managen. Und ob der rasante Politikaufsteiger seine Karriere auf diesem Schleudersitz riskieren möchte? Fraglich auch, ob Scholz eine so starke Persönlichkeit auf dem Posten haben will, nachdem er mit Lambrecht noch eine vor allem kreuzloyale Politikmanagerin auf den strategisch wichtigen Posten im Verteidigungsministerium gehievt hatte.
Wolfgang Schmidt dagegen wäre ideal, wollte Scholz einen Zwilling im Geiste in dem unter besonderer Beobachtung stehenden Ministerium wissen. Der 52-Jährige ist der engste politische Wegbegleiter des Kanzlers. Er war ab 2002 für den damaligen SPD-Generalsekretär erst persönlicher Referent, dann Büroleiter. 2010 bis 2011 arbeitete er für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Danach war er wieder an Scholz' Seite, als dieser Erster Bürgermeister von Hamburg wurde, und wechselte 2018 auch mit ihm ins Finanzministerium. Doch Schmidt würde wiederum im Kanzleramt eine schwer zu füllende Lücke reißen, und gleichzeitig ist er der klassische Mann für die zweite Reihe: nicht minder einflussreich, aber jemand, der eher abseits der Öffentlichkeit wirkt.
Hubertus Heil dagegen ist die personifizierte erste Reihe: Das selbst vom Kanzler so titulierte "Schlachtross" der SPD ist seit bald fünf Jahren Bundesminister für Arbeit und Soziales und managt damit den größten Etat des Bundes. Er tut das zumeist geräuscharm und hat wichtige Projekte wie die von Scholz versprochenen 12 Euro Mindestlohn umgesetzt. Dem Kanzler und der SPD in Treue ergeben, trauen ihm viele Beobachter zu, an Lambrechts Stelle zu treten. Für sein medial weniger im Kreuzfeuer stehendes Ministerium würde sich in der SPD vergleichsweise problemlos eine Frau finden.
Doch wie oben geschrieben: Die Genannten sind offenbar keine Favoriten mehr, könnten aber zurück ins Spiel kommen, falls ein Personalvorschlag des Kanzlers im Parteivorstand oder in der Fraktion auf Widerstand stoßen sollte.
Siemtje Möller ist so ein potenzieller Fall: Die 39-jährige Lehrerin hat in ihrem Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven-Wittmund einen wichtigen Marine-Standort. Sie war ein Jahr verteidigungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, bevor sie im Dezember 2021 unter Lambrecht parlamentarische Staatssekretärin wurde. Sie ist dabei für die Bereiche Politik, Cyber/Informationstechnik, Führung Streitkräfte, Strategie und Einsatz sowie Personal zuständig. Ab 2020 war sie auch Sprecherin des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, während Lambrecht der Partei-Linken zugerechnet wird. Zudem hatte Möller bis vor einem Jahr keine Erfahrung in einer ministeriellen Leitungsfunktion.
Eva Högl ist ebenfalls ohne Erfahrung in der Leitung eines großen Hauses. Die 54-Jährige ist seit Juni 2020 Wehrbeauftragte des Bundestags. Die frühere Vizechefin der SPD-Fraktion hatte sich im Parlament zunächst als Innen- und Justizpolitikerin einen Namen gemacht. Durch ihre regelmäßigen Truppenbesuche kennt die Juristin inzwischen die Probleme der Truppe und verweist regelmäßig auf die massiven Ausrüstungsmängel. Im Ukraine-Krieg machte sie sich auch früh für die Abgabe von "Marder"-Schützenpanzern an Kiew stark und zeigte sich jüngst offen für die Lieferung des Kampfpanzers "Leopard". Allerdings würde die Ernennung der Berliner Sozialdemokratin auch bedeuten, den bisherigen Aufsichtsrat zum Vorstand zu machen, was ein eher ungewöhnlicher Vorgang wäre.
Andere Frauen drängen sich auf den ersten Blick nicht auf, zumindest keine SPD-Frauen mit Vorerfahrung in Verteidigungsfragen.
Boris Pistorius gilt als möglicher Kandidat. Der niedersächsische Innenminister wird schon länger für einen Posten auf Bundesebene gehandelt. Er ist in seinem Bundesland beliebt und in der Landespolitik äußerst erfahren - und anders als die genannten Sozialdemokraten hat der Jurist seinen Wehrdienst geleistet. Niedersachsen ist einer der wichtigsten Truppenstandorte und mit Uniformträgern kennt sich der oberste Polizeichef des Flächenlandes ebenfalls aus. Er galt bisher als Favorit auf die Nachfolge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die wahrscheinlich die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl im Herbst in Hessen übernehmen wird. Scholz muss also bei seiner Entscheidung auch noch eine zweite Personalie mit im Blick behalten.
Möller, Klingbeil und Pistorius sind zudem allesamt Niedersachsen, das aus Sicht der SPD-Landesverbände schon durch Heil im Kabinett vertreten ist. Aber dass Scholz auf solche Proporzdebatten noch Rücksicht nimmt, kann angezweifelt werden, wenn nicht einmal mehr die Geschlechterparität unumstößlich ist.
Quelle: ntv.de, mit AFP