Rechtsruck in den Niederlanden Wilders will an die Macht
10.06.2010, 18:59 Uhr
Die Sozialdemokratin Nebahat Albayrak erwartet die neueste Hochrechnung.
(Foto: dpa)
Die Niederlande stehen vor einer der schwierigsten Regierungsbildungen ihrer Nachkriegsgeschichte. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemokraten ging die rechtsliberale Partei für Freiheit und Demokratie knapp als stärkste politische Kraft hervor. Eigentlicher großer Sieger ist aber der islamfeindliche Rechtspopulist Geert Wilders.
Bei der Parlamentswahl in den Niederlanden haben Parteien aus dem rechten Lager kräftige Gewinne verbucht. Sieger der Abstimmung wurden nach Auszählung nahezu aller Stimmen die Rechtsliberalen unter Parteichef Mark Rutte. Sie konnten einen Sitz mehr ergattern als die Sozialdemokraten. Drittstärkste Kraft wurde die fremdenfeindliche Partei für die Freiheit von Geert Wilders. Sie landete noch vor den bislang regierenden Christdemokraten, die die Hälfte ihrer Mandate verloren. Ministerpräsident Jan Peter Balkenende zog die Konsequenzen aus dem Debakel und trat als Parteichef zurück.
Wer die künftige Regierung in der fünftgrößten Volkswirtschaft der Eurozone stellt, war jedoch alles andere als klar. Zwar brachten die Rechtsliberalen informelle Koalitionsgespräche auf den Weg. Diese dürften sich jedoch äußerst schwierig gestalten: Zu unterschiedlich sind die Positionen bei wichtigen Themen wie dem Abbau des Staatsdefizits und kaum zu umgehender Sparmaßnahmen. Königsmacher dürften die kleineren Parteien werden, da sowohl die Rechtsliberalen als auch die Sozialdemokraten auf mehrere Partner angewiesen sind. Vor allem Wilders' Partei der Freiheit rechnet sich gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung aus. Doch selbst die großen Verlierer des Wahlabends, die Christdemokraten, könnten das Zünglein an der Waage sein.
Rechtspopulist Wilders triumphiert
Ein Bündnis zwischen den Rechtsliberalen und den Sozialdemokraten wäre wegen der unterschiedlichen Vorstellungen über Steuererhöhungen und Einsparungen vermutlich nicht sehr stabil und würde weitreichende Kompromisse erfordern. Die Rechtsliberalen haben sich einem strikten Sparkurs verschrieben. Die Sozialdemokraten wollen dagegen langsamere und weniger schmerzhafte Einschnitte, um das Haushaltsdefizit anzugehen, das dieses Jahr 6,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen dürfte.

Stärker als die Meinungsforscher erwartet hatten, schnitt der wasserstoffblonde Rechtspopulist und Islamkritiker Geert Wilders ab.
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Großer Gewinner der Wahl vom Mittwoch war Wilders, der politische Nachfahre des 2002 ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn. "Mehr Sicherheit, weniger Kriminalität, weniger Einwanderung, weniger Islam - das ist es, was die Niederlande gewählt haben", triumphierte Wilders. Seine PVV gewann 24 Sitze - vor vier Jahren waren es neun. Die Partei wolle auf jeden Fall mitregieren, sagte Wilders. "Es wäre sonst nicht fair gegenüber den 1,5 Millionen Menschen, die uns gewählt haben." Wilders will unter anderem den Schleier und den Koran verbieten und islamische Schulen in den Niederlanden schließen. Von den 16,6 Millionen Menschen dort sind eine Million Muslime.
Rutte könnte Balkenende folgen
Balkenendes Koalition war wegen eines Streits um die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zerbrochen, Außen- und Einwanderungspolitik sorgten für hitzige Debatten während des Wahlkampfes. Doch mit der sich zuspitzenden europäischen Schuldenkrise rückten zunehmend finanzpolitische Themen in den Vordergrund. Davon profitierte Rutte, der wegen seiner früheren Tätigkeit als Manager beim Konsumgütergiganten Unilever seine Wirtschaftserfahrung in die Waagschale warf.
"Die Niederlande können aus dieser Krise stärker hervorgehen, indem sie jetzt Maßnahmen ergreifen", sagte der 43-Jährige, nachdem erste Hochrechnungen vorlagen und seine Partei sich von 22 auf 31 Parlamentssitze steigerte. Rutte dürfte neuer Regierungschef werden, wenn sich bis zur Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses in der kommenden Woche nicht doch noch etwas an seinem knappen Vorsprung ändert.
Wohl vorerst keine tragende Rolle dürfte dagegen Balkenende mehr spielen, der acht Jahre lang die Niederlande regiert hat. "Der Wähler hat gesprochen", sagte er resigniert. "Das Ergebnis ist klar. Bei Wahlen geht es um gewinnen und verlieren, so funktioniert Demokratie." Er kündigte an, sein Amt als Parteichef aufzugeben und sein Abgeordnetenmandat nicht anzutreten.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP