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Zwei Völker und kein Frieden Worum geht es im Nahost-Konflikt?

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Israelische Soldaten 2014 in Bethlehem.

Israelische Soldaten 2014 in Bethlehem.

(Foto: picture alliance / Anna Ferensowicz / Pacific Press)

Bis heute ist der Konflikt im Nahen Osten zwischen Israelis und Palästinensern ungelöst, immer wieder kommt es in der Region zu Kriegen. In wohl kaum einem anderen Gebiet der Erde ist die politische Situation so verworren, sind die geographischen Verhältnisse so zerstückelt und die Meinungen darüber so polarisiert wie hier. Auch wenn die jüngsten Angriffe der Hamas auf Israel beispiellos sind: Entwirren lässt sich der Konflikt nur mit einem Blick auf die Geschichte. Aus ihr lassen sich die bis heute bestimmenden Streitpunkte ablesen und besser verstehen.

Wie Israel ein Staat wurde

Seit dem 16. Jahrhundert herrscht das Osmanische Reich über Palästina, ein schmaler Landstreifen am Mittelmeer, der zu dieser Zeit hauptsächlich von Arabern bevölkert wird. Für die drei abrahamitischen Religionen - Judentum, Islam, Christentum - besitzt die Region enorme religiöse Aufladung. Im "Heiligen Land" befinden sich viele ihrer wichtigsten Pilgerstätten. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Antisemitismus in Europa zunimmt, emigrieren Zehntausende Juden nach Palästina. In dieser Zeit bildet sich die Nationalbewegung des Zionismus heraus, die zum Ziel hat, einen jüdischen Nationalstaat zu erschaffen.

Im Ersten Weltkrieg erobert Großbritannien Palästina. Zunächst versprechen sie den Arabern die Unabhängigkeit, kurz vor Kriegsende geben sie auch den Juden die Perspektive auf eine Staatsgründung. 1920 überträgt der Völkerbund, ein Vorläufer der heutigen Vereinten Nationen, den Briten das Mandat für Palästina. Die verstärkte jüdische Einwanderung führt zu einer Zunahme von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Arabern und Juden. Deren Bevölkerungsanteil wächst vor dem Hintergrund der Judenverfolgung in Europa und dem nationalsozialistischen Völkermord sukzessive und beträgt 1945 bereits 30 Prozent. Die Briten sehen sich nicht mehr in der Lage, der zunehmenden Spannungen Herr zu werden. 1947 geben sie ihr Mandat an die Vereinten Nationen zurück.

Die UN-Generalversammlung beschließt daraufhin eine Teilung des Gebiets in einen jüdischen und arabischen Staat. Den 1,3 Millionen Palästinensern, die zu diesem Zeitpunkt 90 Prozent des Landes besitzen, wird 43 Prozent der Gesamtfläche zugesprochen, der Rest soll an die rund 600.000 Juden gehen. Jerusalem soll unter internationale Verwaltung gestellt werden. Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung nimmt den Plan an, die arabischen Führer schlagen ihn aus. Inmitten dieses brodelnden Konfliktherds ziehen die Briten am 14. Mai 1948 ab. Am selben Tag ruft David Ben-Gurion den Staat Israel aus. Aus jüdischer Sicht existiert nun nach Jahrhunderten der Verfolgung ein sicherer Hafen für Juden aus aller Welt. Aus arabischer Sicht beginnt die "Nakba", die Katastrophe, in deren Verlauf Hunderttausende Palästinenser fliehen und vertrieben werden.

Ein Staat, viele Kriege

Unmittelbar nach Ben-Gurions Proklamation erkennen die Weltmächte USA und Sowjetunion den neuen Staat an. Seine arabischen Nachbarländer erklären ihm indessen den Krieg. Noch in derselben Nacht greifen die Armeen Ägyptens, Syriens, des Iraks und des Libanons an. Doch Israel kann sich gegen den Einmarsch nicht nur behaupten, es erobert auch weite Teile des Gebiets, das den Palästinensern zugedacht war. Rund 700.000 Araber werden vertrieben und leben fortan als Flüchtlinge. Mit dem Waffenstillstand von 1949 vergrößert sich das israelische Territorium um fast ein Drittel. Diese Grenzziehung bildet auch heute noch das Kernland Israels.

Auf den ersten Krieg folgen viele weitere. Der für die Geschichte der Region prägendste ist der Sechs-Tage-Krieg 1967. Die israelischen Truppen schlagen Ägypten, Syrien und Jordanien vernichtend, Israel besetzt Ost-Jerusalem, die Golanhöhen, den Gazastreifen und das Westjordanland. Erneut werden Hunderttausende Palästinenser vertrieben oder leben fortan unter israelischer Militärverwaltung. Zudem beginnt Israel mit der Errichtung erster jüdischer Siedlungen im Westjordanland. Bis heute bestimmen die Folgen dieses Kriegs den Nahost-Konflikt.

Und die Gewalt nimmt kein Ende. Den Jom-Kippur-Krieg 1973, ein Überraschungsangriff vor allem von Ägypten und Syrien, gewinnt Israel nur unter herben Verlusten. 1987 bricht die erste Intifada (arabisch für Abschüttelung) aus, der Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung im Westjordanland und im Gazastreifen. Er wird anhand von Demonstrationen und Streiks ausgetragen, aber auch in Form gewalttätiger Aufstände. Die islamistische Terrorgruppe Hamas formiert sich, mit dem erklärten Ziel, Israel zu zerstören. Die Organisation wird von umliegenden arabischen Staaten und vor allem vom Iran unterstützt.

Friedenshoffnung währt nur kurz

1993 keimt die Hoffnung auf eine friedliche Lösung auf. Israel und die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), ein Bündnis palästinensischer Parteien, erkennen in den Verträgen von Oslo gegenseitig ihr Existenzrecht an. Die Fatah, die größte Partei innerhalb der PLO, schwört dem Terrorismus ab. Israel will aus den 1967 besetzten Gebieten schrittweise abziehen. In den Palästinensergebieten finden erstmals Wahlen statt. PLO-Chef Jassir Arafat, Israels Außenminister Schimon Peres und Ministerpräsident Izchak Rabin erhalten ein Jahr darauf den Friedensnobelpreis.

Ein Attentat stoppt im November 1995 den Friedensprozess. Rabin wird von einem ultrareligiösen jüdischen Studenten in Tel Aviv erschossen. Der Konflikt flammt wieder auf. Im Jahr 2000 bricht die zweite Intifada aus, sie ist deutlich blutiger als die erste. Militant organisierte Palästinenser überziehen Israel mit Selbstmordattentaten und Terroranschlägen, Israel setzt sich massiv mit militärischen Mitteln zur Wehr. Tausende Menschen sterben. 2005 endet die zweite Intifada mit einem Waffenstillstand. In einem einseitigen Schritt, also ohne vorhergehende Verhandlungen mit den Palästinensern, zieht Israel aus dem Gazastreifen ab.

Bei den Präsidentschaftswahlen in den palästinenschen Gebieten 2005 gewinnt der gemäßigtere Fatah-Chef Mahmud Abbas. Ein Jahr darauf errringt bei den Parlamentswahlen jedoch die Hamas einen Wahlsieg. Zwei unterschiedliche Ausrichtungen stehen sich gegenüber: Die Fatah erkennt Israel grundsätzlich an und sieht einen säkularen Staat für die Palästinenser vor, die Hamas zielt auf die Errichtung eines Gottesstaats und die Zerstörung Israels. Dieses Spannungsverhältnis entläd sich 2007 im "Kampf um Gaza" in bürgerkriegsartigen Gefechten, aus der die Hamas als Gewinner hervorgehen. Seither hat sie die Macht im Gazastreifen. Seither greifen die Terroristen regelmäßig das Staatsgebiet Israels an. Die meisten der häufig selbstgebauten Raketen aus Gaza kann das israelische Luftverteidigungssystem Iron Dome abfangen.

Heute Leben in Israel rund neun Millionen Menschen, rund 20 Prozent von ihnen Araber, daneben weitere Minderheiten. Auch die jüdische Bevölkerungsmehrheit ist heterogen, die einen leben säkular, andere streng religiös. Politisch ist das Land gespalten: Gegen die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seinen ultrarechten Koalitionspartnern forcierte Justizreform gehen 2023 monatelang Zehntausende, teilweise Hunderttausende auf die Straßen. Doch dann treiben die Massaker der Hamas das Land in den Krieg mit den Machthabern in Gaza.

Wie ist die Situation im Gazastreifen?

Seitdem die Hamas im Gazastreifen regiert, wird dieser von Israel völlig abgeriegelt. Das Land kontrolliert alle Land- und Seezugänge sowie das Luftgebiet. Nur nach Ägypten gibt es den Grenzübergang Rafah. Die Ein- und Ausfuhr von Waren steuert ebenfalls Israel, ein für den Schmuggel genutztes Tunnelsystem durchzieht das Gebiet. Die rund zwei Millionen Einwohner leben auf dichtem Raum, die Hälfte von ihnen ist unter 15 Jahren alt. Viele Menschen haben den Gazastreifen nie verlassen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, fast 40 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut. Die Not macht es der Hamas leicht, Nachwuchs zu rekrutieren, der Hass auf Israel verfängt.

Was ist das Westjordanland?

Das zweite palästinensische Gebiet, das Westjordanland, auch Westbank genannt, ist ein politischer und verwaltungstechnischer Flickenteppich. 2,5 Millionen Palästinenser leben hier, dazu schätzungsweise 700.000 Juden in rund 200 Siedlungen. Das Land ist in drei Zonen eingeteilt. In Zone A hat die palästinensische Autonomiebehörde unter Fatah-Chef Abbas das Sagen, sie erstreckt sich vor allem über größere Städte wie Ramallah - insgesamt circa 18 Prozent der Fläche. In Zone B (20 Prozent) übernehmen die Palästinenser die Verwaltung, die Israelis die Sicherheit. Zone C, der mit 62 Prozent der Fläche weitaus größte Teil, wird allein von Israel kontrolliert.

Israelis und Palästinenser leben im Westjordanland unter unterschiedlichen Bedingungen. Israel baut ein eigenes Straßennetz zwischen den Siedlungen auf, das die Palästinenser in der Regel nicht nutzen dürfen. In Zone B und C werden etwa Baugenehmigungen von Israel erteilt oder verweigert. Faktisch existiert im Westjordanland ein unterschiedliches Rechtssystem für Israelis und Palästinenser. "Human Rights Watch" zufolge schränkt das System die Bürgerrechte der Palästinenser zunehmend ein und ist von Willkür geprägt. Anders als der Gazastreifen ist die Westbank in weiten Teilen faktisch von Israel besetzt.

Siedlungspolitik sorgt für Spannungen

Die 700.000 Israelis in der Westbank leben mehrheitlich in Siedlungen, die von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig eingestuft werden. Viele von ihnen legitimiert das israelische Recht, doch selbst Siedlungen, die Israel als illegal einstuft, werden in der Regel von der israelischen Armee geschützt. Entgegen den Forderungen der UN gibt die Regierung Netanjahu dem Siedlungsbestreben zusätzlich Aufwind und fördert den Bau. Einige Israelis siedeln sich im Westjordanland aus ideologischen Gründen an, weil sie das Gebiet als Teil des "Gelobten Landes" betrachten. Andere ziehen ihre Motivation aus staatlichen Subventionen. Regelmäßig kommt es zu Gewalt zwischen Siedlern und Palästinensern. Die Siedlungen sorgen für eine zunehmende Zerstückelung des palästinensischen Gebiets und werden daher als Hürde für eine Friedenslösung betrachtet.

Streit um den Status von Jerusalem

Der Nahost-Konflikt dreht sich zudem um die Ansprüche an die Großstadt Jerusalem. Einst sollte sie unter internationale Verwaltung gestellt werden, 1948 wurde sie geteilt. Den arabischen Ostteil der Stadt eroberte Israel 1967 und hält ihn seither besetzt. Brandherd ist zudem der Tempelberg, der Juden und Muslimen heilig ist. Auf ihm steht unter anderem die Al-Aqsa-Moschee, eine der wichtigsten Stätten des Islams. Heute sehen die Palästinenser Ost-Jerusalem als ihre Hauptstadt an, Israel hält an einem ungeteilten Jerusalem unter israelischer Souveränität fest. In Ost-Jerusalem leben 600.000 Menschen , 360.000 sind Araber, der Rest jüdische Siedler.

Was passiert mit den Flüchtlingen?

Das für die Palästinenser zuständige Hilfswerk der Vereinten Nationen, UNRWA, zählt heute weltweit rund 5,9 Millionen Menschen mit Flüchtlingsstatus. Sie leben teils noch immer in Flüchtlingslagern - in Jordanien, Syrien und dem Libanon, aber auch in den Palästinensergebieten selbst. Die Aufnahmeländer gewähren den Flüchtlingen keine Staatsbürgerschaft, ihr Flüchtlingsstatus wird stattdessen weitervererbt. Israel argumentiert, dass nach der Staatsgründung auch Hunderttausende Juden aus arabischen Staaten vertrieben und von Israel aufgenommen wurden. Es fordert eine dauerhafte Ansiedlung der arabischen Flüchtlinge in den arabischen Aufnahmeländern oder Drittstaaten. Die Palästinenser dagegen bestehen auf einer Rückkehr.

Welche Aussicht hat die Zwei-Staaten-Lösung?

Zwei-Staaten-Lösung meint, dass die Palästinenser neben Israel einen eigenen Staat haben sollen. Das gilt unter vielen Experten lange als aussichtsreichster Lösungsansatz. Die Grundvoraussetzung: Die Palästinenser kehren dem Terror den Rücken und erkennen Israel an. Israel hingegen zieht sich aus den besetzten Gebieten zurück, baut illegale Siedlungen ab und erkennt seinerseits den palästinensischen Staat an. Entsprechende Pläne wurden unter Einbezug der internationalen Gemeinschaft forciert: Ursprünglich war die palästinensische Autonomiebehörde als Zwischenschritt zu einer Staatsgründung gedacht. Zu einer vollständigen Umsetzung kam es auch deshalb nicht, weil es unterschiedliche Auffassungen zur genauen Grenzziehung gibt. Zudem hält vor allem die Hamas an der Zerstörung Israels fest. Aber auch Israel entfernt sich unter der Regierung Netanjahu weiter von einer Friedenslösung und versucht stattdessen, die Kontrolle über die Westbank auszuweiten. Darüber hinaus dürfte der aktuelle Krieg die Aussichten auf einen baldigen Frieden in weite Ferne gerückt haben.

Quelle: ntv.de

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