Umwälzungen in der Ukraine Timoschenkos Zeit ist vielleicht schon vorbei
23.02.2014, 21:07 Uhr
Zur Revolutionsikone taugt Timoschenko nicht mehr.
(Foto: picture alliance / dpa)
Julia Timoschenko war einmal das Gesicht der ukrainischen Opposition. Doch die wochenlangen Proteste auf dem Maidan haben das Land verändert. Nun rufen die Menschen in der Ukraine nach neuen Gesichtern und schnellen Lösungen.
Nach zweieinhalb Jahren im Gefängnis ist Julia Timoschenko wieder zurück in der politischen Arena der Ukraine. Im Rollstuhl und unter Tränen spricht die frühere Regierungschefin zu den Menschen auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews. "Ihr seid Helden, Ihr seid die Besten der Ukraine", sagt sie.
Doch die Haft und ihre gesundheitlichen Probleme sind nicht spurlos an Timoschenko vorüber gegangen. Wie krank Timoschenko wirklich ist, ist nicht klar. Noch im vergangenen August war von einem dramatisch verlaufenden Bandscheibenvorfall die Rede, es drohe die Invalidität, hieß es. Auf dem Maidan wirkte Timoschenko längst nicht mehr so kraftvoll wie früher, auch wenn sie nichts von ihrem Kampfgeist verloren zu haben scheint.
Und dennoch könnte ihr Gesundheitszustand noch das kleinste der künftigen Probleme Timoschenkos sein. Die im Westen als Ikone dargestellte Timoschenko mit ihrem markanten blonden Haarkranz wurde in ihrer Heimat nie einfach nur geliebt. Auf dem Maidan waren denn auch Pfiffe zu hören. Die Menschen, die hier wochenlang protestiert hatten, haben dies nicht für Timoschenko getan. Viele Ukrainer lasten ihr an, dass sie in den von Korruption geprägten 90er Jahren als Chefin eines Energieunternehmens zu enormem Reichtum kam. Sie sehen sie als Teil des von Oligarchen beherrschten Systems, als skrupellose Opportunistin ohne klare Positionen.
Siegen und verlieren
Andere sehen in ihr noch immer eine bewundernswerte Verfechterin der ukrainischen Souveränität und der Ausrichtung des Landes in Richtung Europa. Timoschenko sprach bei ihrem Auftritt vor den Massen auf dem Maidan-Platz von einem schnellen Beitritt zur Europäischen Union. Die am 27. November 1960 in der zentralukrainischen Industriestadt Dnepropetrowsk geborene Timoschenko wurde als Stellvertreterin von Regierungschef Viktor Juschtschenko im Jahr 2004 zur Wortführerin der "Orangenen Revolution", die zur Annullierung von Janukowitschs Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl führte. Der neue Präsident Juschtschenko machte sie zur Regierungschefin. Doch rasch kam es zum Zerwürfnis.
Timoschenko verließ die Regierung, kehrte aber im Jahr 2007 als Ministerpräsidentin zurück und blieb bis 2010 im Amt. Kurz darauf unterlag sie bei der Präsidentschaftswahl Janukowitsch. Schon bald fand sich Timoschenko auf der Anklagebank wieder: Die Justiz warf ihr Machtmissbrauch vor und verurteilte sie zu sieben Jahren Haft. Diese ist nun vorzeitig beendet, Timoschenkos Zukunft jedoch bleibt offen. Was sie möchte, auch.
Timoschenko orientierte sich stets an starken Frauen, die Geschichte machten: Im Kiewer Büro, in dem sie vor ihrer Inhaftierung arbeitete, hingen Porträts von Jeanne d'Arc, Madeleine Albright und Margaret Thatcher. Man könnte dies auch als den Wunsch nach eigener Größe verstehen. Doch nach dem dramatischen Wochenende und dem Beginn einer neuen Ära in der Ukraine beeilte sich Timoschenko, zu betonen, dass sie nicht das Amt der Ministerpräsidentin anstrebe. Welche Rolle will sie dann aber künftig in der Ukraine spielen?
Kaum zu bewältigende Aufgaben
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte, die Politikerin trage "große Verantwortung". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierte Timoschenko persönlich zu ihrer Freilassung und bot laut deutschen Regierungskreisen eine medizinische Behandlung in Deutschland an. Gleichzeitig mahnte die Kanzlerin Timoschenko, sich für den Zusammenhalt des Landes zu engagieren.
International wächst die Sorge vor einer Spaltung des Landes, das im Osten Russland zugewandt ist und im Westen der Europäischen Union. Merkel telefonierte nach Angaben der Bundesregierung am Sonntag mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Beide seien sich einig, "dass die Ukraine rasch eine handlungsfähige Regierung erhalten und ihre territoriale Integrität gewahrt bleiben müsse", hieß es.
Der neue Übergangspräsident Alexander Turtschinow gilt als enger Timoschenko-Vertrauter. Er soll das Land an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit zu Neuwahlen führen. Galt eine Kandidatur Timoschenkos dabei bisher als sicher, hält sie sich diese Möglickeit nun offen. Was die Oppositionsführer während der wochenlangen Proteste, Arseni Jazenjuk und Vitali Klitschko, davon halten würden, weiß man nicht. Jazenjuk und der Schokoladen-Milliardär Petro Poroschenko gelten nun als aussichtsreichste Ministerpräsidentenkandidaten.
Kein Moment für Einzelkämpfer
"In diesen Tagen ist die Bildung einer funktionierenden Regierung das Wichtigste", betonte Klitschko. "Wir müssen bedeutende Schritte unternehmen, um das Überleben unserer Wirtschaft zu sichern, die sich in einem sehr schlechten Zustand befindet." Mehr als an allem anderen dürften die Menschen in der Ukraine an stabilen staatlichen Verhältnissen und wirtschaftlicher Sicherheit interessiert sein. Gerade steht das Land am Rande der Zahlungsunfähigkeit, Russland legte nach dem Machtwechsel eine dringend benötigte Finanzspritze in Höhe von zwei Milliarden Dollar auf Eis. Die EU stellte der Ukraine daraufhin substanzielle finanzielle Unterstützung in Aussicht, sie stellt dafür aber Bedingungen. Ohne Reformen und schmerzliche Einschnitte wird kein internationaler Geldgeber wie der IWF aushelfen.
Gesucht werden neue, unverbrauchte Gesichter, ehrliche Makler des ukrainischen Volkes. Ob diese Beschreibung auf Timoschenko zutrifft, darf zumindest bezweifelt werden. Als Timoschenko nach ihrer Freilassung in Kiew ankam, stoppten Barrikadenkämpfer die vorbeirasende Kolonne. Ihre Botschaft an Timoschenko: "Denkt daran, wer die Revolution umgesetzt hat - vergesst das nicht."
Quelle: ntv.de