Misstrauen und öffentlicher Affront Viel Arbeit für Zschäpes Verteidiger
22.07.2014, 15:13 Uhr
Sturm, Zschäpe und Heer am 129. Verhandlungstag.
(Foto: dpa)
Der Verhandlungstag beginnt mit einer kaum noch überraschenden Entscheidung des Gerichts. Beate Zschäpe wird weiter von ihren bisherigen Anwälten verteidigt. Die müssen nun die Beziehung zu ihrer Mandantin neu erfinden.
Beate Zschäpe betritt den Gerichtssaal und steht einen Moment mit dem Rücken zu den Zuschauern, umrahmt von ihren Verteidigern. Was an vielen Verhandlungstagen schon zur Routine geriet, hat plötzlich eine besondere Bedeutung. Auch am 129. Verhandlungstag wird Zschäpe im Münchner NSU-Prozess weiter von Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm verteidigt.
Zschäpe konnte keine konkreten Anhaltspunkte für eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihr und den Anwälten vorbringen. Deshalb verweigerte das Gericht deren Entpflichtung. Was jedoch mit Zschäpes Ausbruch gegenüber einem Justizbeamten mehr als offenbar wurde, ist, dass die Haft und das Prozessgeschehen an ihren Nerven zerren.
Schweigen als Strategie
Dabei kann Zschäpe nach Ansicht von Klaus Bernsmann, der an der Ruhr-Universität Bochum Strafrecht lehrt, mit der Verteidigungsstrategie ihrer Anwälte durchaus zufrieden sein. Prinzipiell gebe es nur zwei Möglichkeiten, entweder verteidigen Heer, Stahl und Sturm auf Freispruch oder darauf, ein möglichst geringes Strafmaß für den Angeklagten zu erreichen. Da Zschäpe jedoch die Mittäterschaft an zehn Morden vorgeworfen wird und für Mord immer lebenslang verhängt wird, falle eine Verteidigung auf Strafmaß in diesem Fall aus.
Damit bleibe die Frage: Reden oder Schweigen? Gerade in Mordverfahren sei Schweigeverteidigung oft besser als Redeverteidigung, meint Bernsmann. "Sich bei einer Mordanklage anders als durch Schweigen zu verteidigen, ist sehr schwer. Denn wenn man einmal angefangen hat zu reden, muss man immer weiter reden oder das erneute Schweigen wird gegen den 'Teilschweigenden' verwendbar. Solange ich nur schweige, ist das eine legitime Verteidigung, die mir nicht schaden kann." So haben das Stahl, Heer und Sturm wahrscheinlich auch mit Zschäpe besprochen.
Für die betreuenden Anwälte sind mit einer Schweigeverteidigung allerdings besondere Herausforderungen verbunden. Bernsmann, der auch als Strafverteidiger arbeitet, beobachtet immer wieder, dass zwischen Mandant und Verteidiger vor allem im Lauf längerer Prozesse Probleme auftreten. Aus Sicht der Beschuldigten lügen Zeugen oder verdrehen Tatsachen, "da wächst der Wunsch, Dinge klarzustellen". So versteht Bernsmann auch Zschäpes Ausbruch als "Unmutsäußerung einer introvertierten Frau, die vielleicht nur eine schiefgelaufene Zeugenvernehmung zurechtrücken wollte". Nicht nur in diesem Fall sei es jedoch immer wieder Aufgabe der Verteidiger, diesem Wunsch entgegenzuwirken. "Es führt nicht unbedingt zu einem Vertrauensverlust, dass man vehement zum Schweigen rät, wenn man das gut erklären kann."
Gestörte Kommunikation
An dieser Erklärung könnte es indes gehapert haben. Möglicherweise reagierten die Verteidiger zu wenig auf ihre Mandantin. Der Entzug des Vertrauens ist jedenfalls ein deutliches Signal von Zschäpe an ihre Anwälte. Heer, Stahl und Sturm müssen sich fragen: Haben sie nicht gespürt, was sich da in ihrer Mandantin zusammenbraute? Warum konnte sie das nicht direkt mit einem der Verteidiger regeln?
Zumindest Heer und Sturm werben auf der Internetseite ihrer gemeinsamen Kanzlei damit, mit der "besonderen Belastung eines strafrechtliche Ermittlungsverfahrens" und der "Eigendynamik dieser speziellen Rechtsmaterie" vertraut zu sein. Doch bei ihrer Mandantin Zschäpe scheinen sie die Gratwanderung zwischen Anwalt und Seelsorger nicht gut bewältigt zu haben. Seit sich Zschäpe im November 2011 der Polizei gestellt hat, sind über zweieinhalb Jahre vergangen. Diese Zeit hat Zschäpe in Untersuchungshaft verbracht. Die damit verbundene Isolation ist, wenn überhaupt, nur schwer zu verarbeiten. Sowohl in der Berichterstattung als auch an den Verhandlungstagen bekommt Zschäpe immer wieder Signale, dass etwas von ihr erwartet wird und ihr viele Menschen nicht wohlgesinnt sind. Das aufzufangen, ist eine weitere Belastung für die Verteidigung.
Indem sie Zschäpes Mandat annahmen, haben Heer, Stahl und Sturm ihr Leben und ihre berufliche Praxis darauf eingerichtet, die mutmaßliche Rechtsterroristin in diesem Mammutprozess zu verteidigen. Sturm ist dafür sogar von Berlin nach Köln umgezogen. Diese Aufgabe zu Ende zu führen, ist alles andere als einfach. Mit dem Versuch, ihren Verteidigern das Vertrauen zu entziehen, dürfte das nicht einfacher geworden sein. Denn Heer, Stahl und Sturm stecken nun in einer Zwickmühle. Entweder sehen sie sich als pure Interessenvertreter ihrer Mandantin. Dann müssten sie eigentlich ihrerseits eine Entpflichtung beantragen, weil ihnen ihre Mandantin nicht mehr vertraut. Oder die Verteidiger verstehen sich auch als Organ der Rechtspflege, dann machen sie weiter - auch im Interesse der "Rettung" des NSU-Verfahrens.
Eine Art Krisenintervention
In diesem Fall wird ihnen allerdings nichts anderes übrig bleiben, als sich mit ihrer Mandantin wieder zusammenzuraufen. Das ist nach dem öffentlichen Affront Zschäpes gegen ihre Anwälte äußerst schwierig. Ohnehin steht das ganz Verfahren bereits unter besonderer öffentlicher Beobachtung. Nun ist die Krise ganz offen zu Tage getreten, und das an sich sehr intime Verteidigungsverhältnis muss unter Einmischung des Gerichts und der öffentlichen Meinung wieder eingerenkt werden.
Von Vorteil könnte sein, dass Zschäpe möglicherweise recht spontan gehandelt hat. Wenn sie ihre Anwälte tatsächlich hätte loswerden wollen, hätte sie noch brutaler vorgehen können. Sie hätte sich weigern können, mit Heer, Stahl und Sturm auch nur noch ein Wort zu wechseln oder der Verteidigung verbieten können, für sie zu sprechen. Das hat sie nicht getan. Trotzdem wird es schwierig sein, den Stachel des Misstrauens loszuwerden. Dazu sind vertrauensbildende Maßnahmen, vielleicht sogar mit professionell psychologisch-mediatorischer Hilfe, erforderlich.
Ist man sich wieder einig, wird man mit einer deutlichen Vertrauensbekundung an die Öffentlichkeit gehen. Heer, Stahl und Sturm könnten beispielsweise eine Verteidigererklärung abgegeben, dass alle Differenzen ausgeräumt seien und wieder Vertrauen herrsche. Ob nach der öffentlichen Rüge gegen die Anwälte zumindest der Status quo wieder hergestellt werden kann, muss sich erst noch zeigen. Zschäpe hat zumindest einmal bewiesen, dass sie reagieren kann, möglicherweise auch unbeherrscht und spontan. Das macht die Mission ihrer Verteidigung zu einem noch risikoreicheren Unterfangen als es ohnehin schon war.
Quelle: ntv.de