Aufständische aus Sawija vertrieben Gaddafi schickt Gesandte aus
09.03.2011, 19:34 Uhr
Am Morgen holte Gaddafi zu einem Rundumschlag gegen die Rebellen und den Westen aus.
(Foto: dpa)
Vor Treffen von EU und NATO zur Lage in Libyen geht Diktator Gaddafi in die diplomatische Offensive. Er schickt Gesandte nach Portugal und Ägypten. Ein weiterer Gesandter soll auf dem Weg nach Brüssel sein. Derweil nehmen seine Truppen die Stadt Sawija ein. Augenzeugen sprechen von vielen Toten. In Ras Lanuf explodieren Öl-Anlagen.
Vor dem EU-Sondergipfel zur Lage in Libyen ist ein Vertreter von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu Gesprächen nach Portugal gereist. Der Gesandte werde mit Vertretern der portugiesischen Regierung zusammenkommen, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. Portugals Außenminister Luis Amando willigte nach Abstimmung mit EU-Außenministerin Catherine Ashton ein, ihn zu empfangen. Der Vertreter gehöre zu den "gemäßigten Mitgliedern" der Regierung in Tripolis, hieß es.
Die EU-Außenminister kommen am Donnerstag zu Beratungen über die Lage in Libyen und der angrenzenden Region zusammen. Sie bereiten einen EU-Sondergipfel zu dem Thema am Freitag vor, auf dem die Europäische Union ihre Politik gegenüber der Region neu ausrichten will. Italiens Außenminister Franco Frattini sprach davon, dass weitere Vertreter Gaddafis "auf dem Weg nach Brüssel" seien. "Wir wissen darüber nichts", sagte dagegen ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton.
Die libyschen Regierungstruppen haben derweil nach Angaben der Rebellen die bei Tripolis gelegene Stadt Sawija weitgehend eingenommen. Die Aufständischen teilten mit, sie hätten sich vom zentralen Platz Sawijas zurückgezogen. Sie planten aber in Kürze einen neuen Angriff. Gaddafis Soldaten waren mit Panzern und Scharfschützen in die Stadt eingerückt. Die Rebellen riefen die Weltgemeinschaft angesichts der Lufthoheit Gaddafis zur Einrichtung einer Flugverbotszone auf. Diese zeichnete sich aber weiterhin nicht ab. US-Außenministerin Hillary Clinton schloss einen Alleingang ihres Landes aus.
Seit dem Beginn der Unruhen sind nach Angaben von Ärzten allein im Osten des Landes mindestens 400 Menschen ums Leben gekommen. Das sagte Salah Dschabar, der die medizinische Versorgung im Osten des Landes koordiniert. Diese Zahl gehe aus einer Zählung der Opfer in den verschiedenen Krankenhäusern hervor, ergänzte sein Kollege Dschibril Huwaidi. Demnach war lediglich eine Frau unter den Toten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach Ende Februar von landesweit rund 1000 Toten.
"Oberst Gaddafi muss seine Macht sofort aufgeben"
In der Abschlusserklärung für den Gipfel am Freitag wollen die EU-Regierungschefs Gaddafis sofortigen Rücktritt fordern. Das geht aus einem Entwurf des Dokuments hervor. "Oberst Gaddafi muss seine Macht sofort aufgeben", heißt es in dem Papier. Die EU hat bereits weitere Sanktionen gegen das Regime auf den Weg gebracht, darunter Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögen des Gaddafi-Clans. Nach dem Abgang des Diktators sollte Libyen nach Ansicht der EU "mit einem breiten Dialog schnell einen geordneten Übergang zur Demokratie einleiten." Auch US-Präsident Barack Obama und der britische Premier David Cameron zeigten sich bei einem Treffen einig, dass Gaddafi auf seine Macht verzichten müsse.
Allerdings entsendet die EU vorerst kein Untersuchungsteam nach Libyen. "Es besteht ein großes Risiko, dass man nicht in der Lage sein wird, den Job zu machen, den man machen möchte", hieß es in Brüssel. Es sei in der jetzigen Situation in Tripolis sehr schwierig, unabhängig zu bleiben. Das Gaddafi-Regime hatte zuvor in Gesprächen mit einem EU-Vertreter in Tripolis eine Untersuchung der Vereinten Nationen und der Europäischen Union gefordert und dafür Unterstützung zugesichert. EU-Vertreter in Brüssel betonten allerdings, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag bereits gegen Gaddafi, seine Söhne und mehrere Sicherheitschefs ermittle. Ihnen werden schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Gaddafi schickte zudem einen Gesandten in die ägyptische Hauptstadt Kairo. General Abdelrahman al-Sawi, der zu Gaddafis Vertrauten zählt und für Logistik- und Versorgungsfragen zuständig ist, sei mit einem libyschen Flugzeug in Kairo gelandet, teilte ein Flughafenbeamter mit. Italiens Außenminister Franco Frattini zufolge war Ziel der Mission, der Arabischen Liga eine Nachricht von Gaddafi zu überbringen. Diese will am Wochenende in Kairo über eine Flugverbotszone über Libyen beraten. Zuvor hatte das griechische Verteidigungsministerium in Athen mitgeteilt, ein Privatflugzeug des libyschen Machthabers habe den Luftraum des Landes durchflogen. Unklar war dabei, ob sich Gaddafi selbst an Bord befand. Gegen den Diktator hat der UN-Sicherheitsrat ein Reiseverbot ausgesprochen.
"Es gibt viele Tote"
In Sawija sprachen unterdessen Rebellen und Einwohner von einer verzweifelten Lage. "Wir können die Panzer sehen. Überall sind Panzer", sagte ein Aufständischer. Überall lauerten Präzisionsschützen. Sie schössen auf jeden, der sich aus dem Haus traue. "Es gibt viele Tote, die nicht begraben werden können", sagte ein Kämpfer. Die Stadt sei verlassen. Ein Arzt sagte, mindestens 40 Menschen seien bei der Einnahme der Stadt getötet worden. Ein Regierungssprecher in Tripolis sagte dagegen, etwa 30 bis 40 Kämpfer hätten den Soldaten bis zuletzt Widerstand geleistet. Ausländische Journalisten konnten die Angaben nicht prüfen.
Auch in der östlichen Öl-Region um Ras Lanuf kam es zu erbitterten Gefechten zwischen Aufständischen und Gaddafis Truppen. Mindestens vier Menschen starben. Anlagen der Öl-Industrie wurden zerstört. Nach Angaben der Aufständischen wurde der Öl-Hafen Al-Sidra von Gaddafis Truppen unter Beschuss genommen und schwer beschädigt. Die Truppen von Gaddafi hätten Kampfflugzeuge und Artillerie eingesetzt. Ein Öl-Lager sei von ihnen bombardiert worden. Das libysche Staatsfernsehen meldete dagegen, die Rebellen hätten ein Öl-Depot angezündet.
Die libyschen Behörden setzten ein Kopfgeld von 500.000 Dinars (400.000 Dollar) für die Gefangennahme des Rebellenführers Mustafa Abdel Dschalil aus. 200.000 Dinar erhalte der, der Informationen gebe, die zur Festnahme des Gesuchten führten, meldete außerdem das staatliche Fernsehen. Am Morgen hatte das libysche Staatsfernsehen eine Rede Gaddafis übertragen. Der Staatschef beschimpfte die Übergangsregierung im Osten des Landes als Bande von "Verrätern". Dem Westen warf er ein Komplott gegen sein Land vor.
Skepsis über Flugverbotszone

Einsatzplanung "für alle Eventualitäten": USS Leyte und USS Enterprise im Roten Meer.
(Foto: U.S. Navy)
Angesichts der Luftüberlegenheit Gaddafis forderten die Rebellen und der im Exil lebende Kronprinz Mohammed El Senussi die Einrichtung einer Flugverbotszone. US-Außenministerin Clinton setzt dafür jedoch auf einen UN-Beschluss. Russland und China stehen dem Vorschlag skeptisch gegenüber. Auch Außenminister Guido Westerwelle ließ durchblicken, dass er eine Flugverbotszone für wenig sinnvoll hält: Diesen Vorschlag bewerte er "unverändert zurückhaltend", sagte er in Straubing. "Das kann nur gemeinsam mit den Vereinten Nationen entschieden werden, gemeinsam mit der Arabischen Liga." Gaddafi drohte dem Westen mit Vergeltung, sollte eine Flugverbotszone eingerichtet werden. Den Einsatz ausländischer Bodentruppen schließen die Aufständischen kategorisch aus.
Die USA und ihre europäischen Verbündeten erwägen nach einem Zeitungsbericht den Einsatz von Schiffen, um Hilfsgüter nach Libyen zu bringen und das Waffenembargo zu kontrollieren. Die Überlegung sei Teil einer ganzen Reihe möglicher Optionen, die Militärplaner der USA und anderer NATO-Staaten inzwischen ausgearbeitet hätten, berichtete die "Washington Post". NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte vor einem Treffen der Verteidigungsminister, das Bündnis sei "für jede Eventualität bereit". Rasmussen bekräftigte, eine mögliche Rolle des Bündnisses werde sich nach einem Mandat des UN-Sicherheitsrates richten.
Deutschland tritt derweil für zügige Entscheidungen über verschärfte Sanktionen gegen den Gaddafi-Clan ein. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, der UN-Sicherheitsrat sollte sich noch in dieser Woche mit der Frage gezielterer Sanktionen befassen. Eine Flugverbotszone sei aber nur eine Option, die auf dem Tisch liege, sagte der Sprecher. In einem Papier des Auswärtigen Amtes wird etwa vorgeschlagen, Gaddafi die souveräne Immunität als Staatschef zu entziehen. Zudem wird eine "deutliche Aufstockung der Mittel der humanitären Hilfe" gefordert, um libysche Flüchtlinge "schnell und umfassend" zu unterstützen. Das Papier soll als Diskussionsbeitrag für das EU-Außenministertreffen am Donnerstag sowie einen EU-Gipfel am Freitag dienen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/rts/AFP