Proteste in Syrien: "Verschwinde!" Hunderttausende gegen Assad
01.07.2011, 21:17 Uhr
Die Aussagen der Demonstranten sind eindeutig (Handyfoto aus dem Dorf Kfar Nebel i der Provinz Edlib).
(Foto: AP)
Syriens Protestbewegung lässt sich weder durch Schüsse noch durch Reformversprechen besänftigen. Erneut kommt es nach den Freitagsgebeten zu Protesten und dabei zu blutigen Zusammenstößen. Auch in der bisher ruhigen Großstadt Aleppo beginnt es zu rumoren.
Bei Massenprotesten gegen den syrischen Staatschef Baschar al-Assad sollen mindestens neun Menschen erschossen worden. Diese Zahlen nannte die Opposition am Freitagabend. Alleine in Homs, wo die Armee nach Angaben von Einwohnern auf Demonstranten schoss, sollen drei Zivilisten getötet worden sein. "Auf den Dächern stehen Scharfschützen, die lange Bärte tragen und aussehen wie Iraner", sagte ein Anwohner in Homs. Aktivisten meldeten, in Damaskus sei ebenfalls ein Demonstrant erschossen worden. In der Nacht sei ein Demonstrant in der Stadt Aleppo getötet worden, hieß es. Die Proteste standen diesmal unter dem Motto "Verschwinde".
Die Demonstrationen nach den Freitagsgebeten zählten zu den größten seit Beginn der Aktionen im März. Assad geht mit Armee und Polizei gegen Demonstranten vor, die demokratische Reformen fordern. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden in Syrien seit Beginn der Proteste rund 1700 Menschen getötet.
Soldaten wollen desertieren

Diesmal stand der Protest unter dem Motto "Verschwinde" (Handyfoto aus dem Dorf Tafas in der Provinz Daraa).
(Foto: AP)
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die syrische Armee habe eine Gruppe von Offizieren und Soldaten "befreit", die in der Provinz Idlib in einen Hinterhalt geraten seien. Die Protestbewegung, die seit März den Sturz des Regimes von Präsident Assad fordert, erklärte dagegen, Soldaten hätten 16 Deserteure getötet. Ein Aktivist sagte: "Eine Gruppe von Deserteuren - 6 Offiziere und 18 Soldaten - hatte uns telefonisch kontaktiert, weil sie in die Türkei fliehen wollten. Sie fragen, wo es noch einen sicheren Weg zur Grenze gibt. Doch dann bekam die Armee Wind davon, sie umstellten das Dorf Al-Ram. Es kam am Donnerstag zu einem Gefecht zwischen beiden Seiten, bei dem 16 Deserteure getötet wurden, die restlichen Militärs wurden gefangen genommen. Wie viele der Angreifer starben, wissen wir nicht."
Der Oppositionelle erklärte, die Wege zur türkischen Grenze seien inzwischen alle unter Kontrolle der syrischen Truppen. Deswegen habe der Ansturm der Flüchtlinge stark nachgelassen. In den Libanon flohen am Freitag erneut rund 100 Syrer.
Amer al-Sadik von der Union für die Koordination der syrischen Revolution sagte, seiner Einschätzung nach wende sich nun auch in der Großstadt Aleppo, wo es in den ersten Wochen des Aufstandes ruhiggeblieben war, das Blatt. "Die Jugend bewegt sich und auch die Geschäftsleute überdenken ihre Position".
"Wir lieben dich nicht"
Die Staatsmedien berichteten unterdessen von großen Pro-Regime-Kundgebungen in Aleppo und in der Provinz Al-Suwaida. In der Ortschaft Al-Kraja hätten "die Kräfte, die den (von Assad versprochenen) Reformprozess unterstützen", eine 1700 Meter lange syrische Nationalfahne durch die Straßen getragen. Die Opposition veröffentlichte ihrerseits ein Video, auf dem - wie sie behaupte - zu sehen ist, wie Anti-Assad-Demonstranten in Hama "die längste Fahne der Welt" durch die Stadt tragen.
Die Protestbewegung schrieb auf einer ihrer Internetseiten an die Adresse des Präsidenten: "Wir lieben Dich nicht. Wir lieben Dich nicht, lass uns in Ruhe - Du und Deine Partei."- eine Anspielung auf den vor einigen Jahren populären Pro-Assad-Slogan "Wir lieben Dich. Wir lieben Dich".
Deutschland will Syrien-Resolution
Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte unterdessen, Deutschland wolle sich während seines Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat für eine Verurteilung Syriens wegen der Niederschlagung der Protestbewegung einsetzen. "Wir wollen, dass auch die Übergriffe in Syrien eine gemeinsame internationale Antwort finden. Hier gibt es noch erhebliche Widerstände gegen eine gemeinsame Resolution im Sicherheitsrat."
US-Außenministerin Hillary Clinton forderte den syrischen Staatschef zu demokratischen Reformen auf. "Es steht absolut fest: Die Zeit für die syrische Regierung wird knapp", sagte Clinton in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Die jüngsten Berichte über die anhaltende Gewalt an den Grenzen und in der Stadt Aleppo, wo Demonstranten von Sicherheitskräften geschlagen und mit Messern attackiert worden seien, hätten sie bestürzt.
Quelle: ntv.de, dpa/rts