"Zeit der Hinterzimmer-Deals" CSU-Expertin kritisiert ACTA
26.04.2012, 18:10 UhrNetzaktivisten und Bürgerrechtler protestieren lautstark gegen das geplante Handelsabkommen ACTA. Aber auch einige Konservative lehnen den Vertragsentwurf ab. Die CSU-Entwicklungspolitikerin Dagmar Wöhrl sagt am "Tag des geistigen Eigentums" im Interview mit n-tv.de, wie ACTA armen Ländern schaden könnte. Warum auch die CSU im Netz "dahoam" ist. Und was in einem Gutachten zu ACTA steht, das nicht veröffentlicht werden soll.
n-tv.de: Sie haben gefordert, das Anti-Piraterie-Abkommen "ACTA ad acta" zu legen. Im gleichen Beitrag auf Ihrer Webseite haben Sie damals gesagt "Geistiges Eigentum ist ein hohes Gut". Wie passt das zusammen?
Die Rechtsanwältin und Unternehmerin ist seit 1994 Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Nürnberg Nord.
Von 2005 bis 2009 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie.
Seit 2009 ist sie unter anderem Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bei der CSU ist sie Mitglied im Arbeitskreis Außen- und Sicherheitspolitik sowie Vorsitzende des Fachausschusses Entwicklungspolitik im Arbeitskreis Außen- und Sicherheitspolitik.
Dagmar Wöhrl: Es steht außer Frage, dass wir bei der Produkt- und Markenpiraterie neue Regelungen benötigen, die zum einen den aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die Digitalisierung der Bevölkerung und zum anderen der immer weiter fortschreitenden globalen Vernetzung Rechnung tragen. Aber der vorliegende Entwurf scheint mir nicht der richtige Weg zu sein, um die dringend benötigte Rechtssicherheit und auch einen dauerhaften Rechtsfrieden zu erreichen.
Sie haben Kritik geäußert am Zustandekommen des Vertragsentwurfes. Halten Sie an dieser Kritik fest?
Der Vorwurf, ACTA sei im Geheimen und wenig transparent ausgehandelt worden, ist teilweise schwierig. Denn natürlich werden völkerrechtliche Verträge oft zunächst einmal in Expertenkreisen und in kleiner Runde diskutiert, eine parlamentarische Kontrolle erfolgt im Nachgang. Allerdings muss dies im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass künftig völkerrechtliche Verträge nicht transparenter gestaltet werden können. Die Zeit der Hinterzimmer-Deals ist vorbei und die weltweit große Aufmerksamkeit für ACTA zeigt, dass Menschen Interesse haben, sich in den politischen Prozess einzubringen und dass das Internet hier auch neue Möglichkeiten bietet.
Sie sind zwar keine ausgesprochene Netzpolitikerin, sind aber im Netz sehr aktiv - unter anderem auf Twitter. Befürchten Sie Einschränkungen für die Informationsfreiheit und die Freiheit des Netzes, wenn ACTA umgesetzt wird?
Es stimmt, dass ich keine originäre Netzpolitikerin oder ein Digital Native bin. Aber ich finde meinen Weg – step by step. Dabei begreife ich die Netzpolitik nicht als abtrennbares Thema, welches ausschließlich von Kollegen unter 30 Jahren betrieben werden kann. Ich verstehe die Netzpolitik als klassisches Querschnittsthema, das mit sehr vielen anderen Gebieten eng verwoben ist. Als Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe ich nun ACTA aus entwicklungspolitischer Sicht analysiert.
Sie haben dazu beim wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das liegt, wie Sie sagen, nun vor, wird aber nicht veröffentlicht. Warum eigentlich nicht? Können Sie uns die wichtigsten Ergebnisse nennen?
Leider können wir das Gutachten nicht veröffentlichen. Ich habe dies zwar beantragt, aber dem wurde nicht stattgegeben. Das Gutachten hat aber meine Bedenken hinsichtlich ACTA bestätigt, ohne weitergehende neue Erkenntnisse zu liefern.

Dass Anonymous-Aktivisten und Partei-Piraten ACTA ablehnen, ist bekannt, bei Unions-Politikern ist die Haltung eher ungewöhnlich.
Erstes waren Entwicklungsländer von den Verhandlungen weitestgehend ausgeschlossen Zweitens: wenn ACTA auf Handelsgüter im Transit angewandt wird, könnte dies dazu führen, dass Güter beschlagnahmt werden, obwohl sie weder im Ursprungsland noch im Zielland von den ACTA-Regeln betroffen sind. Wenn Generika davon betroffen sind, erhalten Millionen von Menschen nicht mehr die lebensnotwendigen Medikamente beispielsweise gegen HIV/Aids.
Und nicht zuletzt unterstreicht das Gutachten die Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von ACTA auf Saatgut. Einige wenige internationale Saatgut-Unternehmen kontrollieren mit Lizenz-Systemen den internationalen Handel von geistigem Eigentum und natürlichen Ressourcen. Die Lebensgrundlage der Bauern in Entwicklungsländern würde wegfallen, denn sie können keine Lizenzgebühren für patentiertes Saatgut aufbringen.
Ihre Partei und ihre Fraktion sind Befürworter von ACTA - und ganz allgemein von mehr Überwachung und stärkerem Schutz von Urheberrechten. Sind Sie für Ihre Position kritisiert worden? Fühlen Sie sich bei diesem Thema in ihrer Partei isoliert?
Ich stehe in meiner Partei keineswegs alleine da. Beispielsweise unterstützen mich meine Kollegen aus dem cnetz [Neu gegründeter, unionsnaher "Verein für Netzpolitik"; Anm. d. Red.]. Und im Ergebnis, dass wir eine internationale Regelung gegen Produkt- und Markenpiraterie benötigen, unterscheide ich mich auch nicht von meiner Fraktion.
Frau Wöhrl, Sie sind ja Gründungsmitglied beim "cnetz" und sollen angeblich im Auftrag der Parteiführung in den nächsten Wochen das Gespräch mit Vertretern der Piraten suchen, um "Gemeinsamkeiten und Unterschiede" herauszufinden. Nimmt die CSU nun Abschied von der Lederhose und knöpft sich ernsthaft den Laptop vor? Oder bleibt es beim Spagat zwischen Tradition und Moderne?
Wir behalten Lederhose und Laptop und packen noch ein Smart Phone dazu – und gestalten weiterhin die Zukunft. Es hat nie geschadet zu wissen, woher man kommt. Noch besser ist es zu wissen wohin man will. Ohne Visionen kann Politik nicht funktionieren. Und zu unserer Selbstüberzeugung zählt schon immer, dass die CSU eine Partei für alle Menschen und alle Themengebiete ist. Deshalb ist die CSU auch "im Netz dahoam".
Mit Dagmar Wöhrl sprach Thomas Leidel
Quelle: ntv.de