Politik

Stephan Mayer zur Sicherungsverwahrung "Wir wollen Rechtslücken schließen"

Der CSU-Rechtsexperte Stephan Mayer verteidigt das System der Sicherungsverwahrung. Der Staat habe die Pflicht, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, sagt er. Mayer hofft, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgehoben wird.

n-tv.de: Sie fordern, die Bundesregierung müsse die nächste Instanz anrufen. Das Urteil fiel immerhin einstimmig - wie groß sind denn die Chancen, dass die Große Kammer anders entscheidet als die Kleine Kammer?

Stephan Mayer ist Rechtsanwalt und Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestags.

Stephan Mayer ist Rechtsanwalt und Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestags.

Stephan Mayer: Der Staat hat die Verpflichtung, die Allgemeinheit vor derartigen Straftätern zu schützen. Bei den betroffenen Fällen handelt es sich um Personen, die zumindest größtenteils nach wie vor hochgefährlich sind. Viele von ihnen sind Sexualstraftäter. Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht eine dezidiert gegenteilige Auffassung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingenommen hatte, zeigt, dass es gute Gründe gibt, die für die Position der Bundesregierung sprechen. Natürlich gibt es keine Garantie, dass man vor der Großen Kammer gewinnt. Aber ich denke, aufgrund der Bedeutung dieser Angelegenheit wäre es schon angezeigt, die nächste Instanz anzurufen.

Jerzy Montag von den Grünen fordert, die Vollzugsbedingungen für Sicherungsverwahrte so zu ändern, dass sie nicht mehr mit Strafen zu verwechseln, sondern als präventive Maßnahmen zu erkennen sind. Könnte das ein Ansatz für die Bundesregierung sein, parallel zur Anrufung der nächsten Instanz?

Unabhängig von diesem konkreten Urteil haben wir im Koalitionsvertrag ohnehin die Festlegung getroffen, dass wir uns in der laufenden Legislaturperiode mit dem Thema Sicherungsverwahrung beschäftigen und eventuelle Rechtslücken schließen werden. Dabei kann man sich auch über die Modalitäten der Sicherungsverwahrung unterhalten, wobei das in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt.

Wie könnten Neuregelungen auf Bundesebene aussehen?

Es gibt gewisse Rechtslücken, die sich im vergangenen Sommer in einem konkreten Fall in Bayern gezeigt haben, als der Bundesgerichtshof eine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung aufgehoben hat. Grund war nicht etwa, dass von der betroffenen Person keine Gefahr mehr ausgehen würde, sondern eine Regelungslücke. Nach geltendem Recht kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden, wenn im Laufe des Vollzugs der Freiheitsstrafe neue Tatsachen bekannt werden, die die Sicherungsverwahrung rechtfertigen. Es gibt aber Fallkonstellationen, bei denen manche Dinge zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs noch nicht absehbar waren. Daher muss es auch die Möglichkeit geben, nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen.

Widerspricht die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht grundsätzlich dem Rückwirkungsverbot?

Die Frage ist, ob das Rückwirkungsverbot für Maßnahmen der Sicherung und der Besserung anwendbar ist. Das ist eine grundsätzliche Frage, bei der das Bundesverfassungsgericht eine andere Auffassung eingenommen hat als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Was passiert, wenn das Urteil Bestand hat?

Wir haben ein erstinstanzliches Urteil. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug und hat die Entscheidung zu treffen, ob sie in die zweite Instanz geht. Ich kann das nur wärmstens empfehlen. Sollte das Urteil in der zweiten Instanz bestätigt werden - das ist jetzt aber rein spekulativ -, wird mit Sicherheit dem Urteil Folge geleistet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bundesregierung bzw. die Bundesländer ein rechtswirksames Urteil der europäischen Ebene nicht umsetzen. Aber soweit sind wir noch nicht. Jetzt müssen wir in der zweiten Instanz begründen, weshalb wir der Auffassung sind, dass das Rechtsinstitut des Rückwirkungsverbots in diesem konkreten Fall keine Anwendung findet.

Mit Stephan Mayer sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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