Dossier

Australien entschuldigt sich Aborigines wollen Geld

Darren Bloomfield (40) sitzt barfuß und in kurzer Hose in einem Park in der australischen Metropole Sydney auf der Wiese und stochert mit seinem Stock in einem Feuer herum. Es ist kalt und nass nach tagelangem Regen. Bloomfield ist Ureinwohner und er protestiert, auch wenn kaum einer hinschaut. Gegen die Weißen, sagt er, womit er aber alle meint, die nach den Ureinwohnern nach Australien kamen. Deren Völkerwanderung wird auf 40.000 bis 50.000 Jahre vor Christi datiert. "Typisch, das weiße Volk will nichts von uns wissen", sagt er und wippt auf seinen Hacken hin und her. Anerkennung als rechtmäßiger Landbesitzer will er, und Geld als Wiedergutmachung. Bloomfield gehört nach eigenen Angaben den "gestohlenen Generationen" an. Als Baby wurde er seiner Familie weggerissen, und in eine weiße Pflegefamilie gesteckt.

Am Mittwoch wird sich Premierminister Kevin Rudd im Parlament im Namen der Nation für das entstandene Leid entschuldigen. Geld gibt es aber nicht. Das Verhältnis zwischen den Ureinwohnern, den Aborigines, und den Nachfahren der Einwanderer ist gespannt. Woran das liegt, ist für Bloomfield klar. "Ich bin jeden Tag deprimiert", sagt er. "Die Kolonialisten haben uns die Depression gebracht, sie haben uns Alkohol gebracht, Drogen, Gefängnisse und Diabetes".

Die jahrzehntelange Politik, junge Ureinwohner als Personal für die weiße Oberschicht heranzuzüchten oder zwangsweise zu assimilieren ist gründlich daneben gegangen. 1997 hielt eine Regierungskommission in einem Bericht über die "gestohlenen Generationen" fest: "Aborigine-Familien und Gemeinden mussten große Menschenrechtsverletzungen ertragen, die ihr Leben bis heute beeinflussen. Das waren Genozid-Akte mit dem Ziel, Aborigine-Familien, die für das kostbare Erbe Australiens grundlegend sind, auszurotten."

In Australien bezeichnen sich heute 500.000 der 21 Millionen Einwohner als Ureinwohner. Sie sind als Gruppe im Durchschnitt ärmer, kränker und krimineller als jede andere Bevölkerungsgruppe. Weil sie in der weißen Gesellschaft nie eine Chance bekommen haben, von ihrem Land verdrängt und in eine Lebensart gezwungen wurden, die ihnen fremd ist, sagt Murphy. Notorisch sind die abgelegenen Ortschaften im kargen Norden und in der Wüste Zentralaustraliens. In vielen ist die Lage desolat. Die Vorgängerregierung ergriff im vergangenen Jahr drastische Maßnahmen: nach einer Untersuchung, die alarmierend viele Fälle von Kindesmissbrauch in entlegenen Gegenden zu Tage förderte, verhängte sie ein Alkohol- und Pornografieverbot. Sozialhilfe wird zum Teil an den Kauf von Kindernahrung und Kleidung gebunden. "Eine neue Art der Kolonisierung", nennt das Joy Murphy (63), eine Stammesältere der Wurundjeri-Gemeinschaft aus Melbourne.

Diskriminierung lauert überall. "Es ist verrückt, wenn Leute Dich in Deinem eigenen Land fragen: Wo kommst Du denn her?" sagt Jurastudent Tim Goodwin (23) in Canberra, dessen Mutter aus dem Yuin-Stamm kommt. Auch aufgeklärte Menschen zeigen unbewusst Rassismus: "Für einen Ureinwohner hast Du es ja weit gebracht", hört Goodwin ab und zu. "Das Stereotyp ist: Ureinwohner sitzen mit Lendenschurz in der Wüste im Dreck - dabei leben 70 Prozent von uns in Städten", sagt er. Auch aus eigenen Reihen bekommt er manchmal Druck. "Wer viel erreicht, gilt plötzlich weniger als Ureinwohner - das ist die Kolonialisierung im Kopf". Goodwin hat 2001 die Jugendbewegung NIYMA gegründet, die Hilfe zur Selbsthilfe gibt. "Ureinwohner zu sein heißt stark sein, das Leben meistern, die Familie zusammenhalten - nicht Alkohol, Kinderschänden, im Gefängnis sitzen."

Wenn unter den weißen Australiern von "Versöhnung" die Rede ist, winken Bloomfield, Goodwin und Murphy ab. "Ich habe die Definition extra nachgeschlagen", sagt Bloomfield: "zusammenbringen, was entzweit war". "Wir waren nie eins - die einzige Lösung ist ein Vertrag zwischen uns und den Einwanderern - dazu neben der Entschuldigung auch Reparationen", sagt er. Murphy und Goodwin sehen das ähnlich. "Das "Tut uns leid" muss mit Geld untermauert werden", sagte die Dozentin an einer Kunsthochschule. "Wir brauchen vor allem vernünftige Finanzierung von Bildung und Gesundheit", meint Goodwin.

Optimistisch sind alle drei. "Dieses Feuer wird brennen, bis wir unsere Rechte bekommen", sagt Bloomfield, der die Glut trotz tagelangen Regens am Leben gehalten hat. "So lange die Sonne scheint, gibt es Hoffnung", meint er und deutet auf die Fahne, die vor seinem Zelt nass am Pfosten hängt: "Oben schwarz, für unsere Hautfarbe, unten rot, für das Land, und in der Mitte eine gelbe Sonne."

Von Christiane Oelrich, dpa

Quelle: ntv.de

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