Dossier

Irak-Tagebuch (2) Ausländer sind Bargeld

Der erste Tag in Bagdad begrüßt uns mit einem Sandsturm. Alles ist in milchiges Ocker getaucht. Der Sand ist so fein, dass er in die kleinsten Öffnungen kriecht. Selbst im Haus legt sich nach wenigen Minuten eine Staubschicht auf die Tastaturen meines Laptops, die Zähne knirschen bei jeder Mundbewegung. Doch wichtiger als der Staub ist die Lektion, die wir kurz darauf lernen und die uns während der ganzen Tage begleiten wird.

Wir fragen unseren Sicherheitsdienst, ob wir nicht mal schnell zu unseren Kollegen der amerikanischen Fernsehsender fahren können. Wir haben uns dort mit einem irakischen Kollegen verabredet, der dort arbeitet und für uns einige Bilder gedreht hat. Denn Bilder im Stadtzentrum zu drehen, ist für uns westliche Journalisten aus Sicherheitsgründen nahezu unmöglich. Die Sender haben mit einem Millionenaufwand einen eigenen abgesicherten Bereich außerhalb der Grünen Zone aufgebaut. Also kein Problem, denken wir. Wir fahren ja von einem abgesicherten Bereich in den nächsten.

Ein Gedankengang, den unsere Sicherheitsfirma leider so gar nicht teilt. "Natürlich können wir dorthin fahren, aber erst muss ein irakisches Team die Strecke kontrollieren, wir müssen uns bei den dortigen Sicherheitsleuten anmelden und unsere Strecke samt Uhrzeit beim amerikanischen Militär anmelden", erklärt uns der Teamchef trocken. Ein Ablauf, der für jede Fahrt außerhalb der "Grünen Zone" gilt. So recht wollen wir nicht glauben, dass dieser extreme Aufwand nötig ist. Doch als wir später mit Journalistenkollegen sprechen, die zum Teil seit Monaten im Irak sind, bestätigen sie uns, dass dies die einzige Möglichkeit ist, sich halbwegs sicher zu bewegen.

Am Nachmittag können wir schließlich aufbrechen. Wieder besteht unser Konvoi aus einer Vorhut mit irakischen Sicherheitskräften, unserem gepanzerten Auto und einer Nachhut mit ehemaligen Elitesoldaten der britischen Armee. Das Gebiet, in dem die amerikanischen Fernsehsender ihre Büros aufgebaut haben, gilt als eines der wenigen in Bagdad als einigermaßen sicher für Ausländer. Wir nutzen die Möglichkeit und gehen mit einem Iraker durch das Viertel, können endlich mit Irakern in ihrer eigenen Umgebung reden.

Beim Gemüsehändler treffen wir Mohami Ami. Er ist Anwalt, aber wie die meisten Iraker arbeitslos. Sein Anzug ist abgewetzt, aber der Schlips sitzt akkurat und man spürt wie stolz er darauf ist, ordentlich auszusehen. Trotz seiner schwierigen Lage will er Würde ausstrahlen. Seine Geschichte, die er uns erzählt, steht stellvertretend für Millionen seiner Landsleute: Natürlich sei er froh, dass sich die Sicherheitslage in den vergangenen Monaten etwas stabilisiert habe. Dennoch ist das Leben ein täglicher Überlebenskampf. Arbeit gibt es höchstens bei irakischen Behörden, den Sicherheitskräften oder den Amerikanern. Dann verdiene er zwar Geld, wird von den Nachbarn aber schnell als Spion oder Kollaborateur betrachtet. Sein 11-jähriger Sohn ist vor einigen Monaten auf dem Weg zur Schule von Kriminellen entführt und erst nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freigelassen worden. Wie viel er bezahlt hat und woher er als Arbeitsloser das Geld hat, darüber will er nicht reden.

Dass Saddam Hussein das Land nicht mehr regiert und die Menschen mit menschenverachtender Brutalität knechtet, sei natürlich gut. Niemand wolle die alten Zeiten zurück sagt er, aber viel besser sei das Leben nicht geworden. "Meine Töchter mussten ihr Studium abbrechen, weil sie auf dem Weg in die Universität ebenfalls Angst vor Entführungen haben müssen. Außerdem mussten wir unseren Stadtteil Adamia verlassen, weil ich als Schiit dort nicht mehr sicher bin." Das gilt für die meisten Iraker. In den vielen Stadtteilen haben ethnische Vertreibungen in ungeheurem Ausmaß stattgefunden. Ein Grund, warum die Gewalt in den vergangenen Monaten zurückgegangen ist. Jetzt trennen die mehreren Meter hohen Mauern Schiiten und Sunniten voneinander.

Ob er glaubt, dass die Iraker der verschiedenen Glaubensrichtungen des Islam irgendwann auch ohne diese Mauern wieder friedlich miteinander leben können, frage ich ihn. "Das hoffen wir alle, aber beide Seiten haben viel Schuld auf sich geladen. Da werden alle einfach Zeit brauchen, einander zu verzeihen." Ein weiteres Problem im Irak ist die katastrophale wirtschaftliche Lage. Die Preise für Lebensmittel und Wasser sind extrem angestiegen. Manche Familie muss heute ein Drittel des durchschnittlichen Einkommens von knapp drei Euro am Tag für die Versorgung mit Wasser aufbringen. Strom gibt es in vielen Gegenden nur stundenweise. Doch einen Generator kann sich kaum einer leisten.

Wie schon zu Zeiten Saddam Husseins bekommen die Menschen auch heute vom Staat Lebensmittelkarten zugeteilt. Dafür erhalten sie monatlich kostenlos Mehl, Zucker, Reis und Hülsenfrüchte. Ohne diese Zuteilungen wäre die humanitäre Katastrophe, die nach Berichten der Vereinten Nationen im ganzen Land vorherrscht, wohl um einiges größer.

Wir hätten gern noch mehr Zeit in diesem Viertel verbracht. Doch unsere Sicherheitskräfte drängen zum Aufbruch. Mittlerweile hat sich unsere Anwesenheit hier herumgesprochen und kriminelle Banden sehen Ausländer schlicht als Bargeld an. Man muss sie nur entführen. Und so machen wir uns wieder auf in die Grüne Zone. Die künstliche Insel inmitten Bagdads könnte durch extreme Abschottung auch in einem anderen Land liegen.

Quelle: ntv.de

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