Sprachen, Geld und viele Wünsche Belgien und seine Probleme
14.06.2010, 13:09 UhrDas reiche Flandern und die arme Wallonie - Belgiens Probleme von heute haben historische Ursachen und entziehen sich auch deshalb schnellen Lösungen.

Das Land ist nicht nur optisch tief gespalten. In der Region um Brüssel verstärkt die Globalisierung die Probleme noch einmal.
Belgien ist seit 1994 ein in die drei Regionen Flandern, Wallonien und die Hauptstadtregion Brüssel unterteilter Bundesstaat. In den Regionen wird unter anderem über Umweltschutz, Wohnungsbau, Wasser-, Wirtschafts- und Energiepolitik entschieden. Außerdem gibt es drei Gemeinschaften: Die flämisch-, die französisch- und die deutschsprachige Gemeinschaft, ebenfalls mit Parlamenten und Verwaltung. Die Gemeinschaften sind zum Beispiel zuständig für Erziehung, Bildung, Kultur und Soziales.
Es gibt fünf Parlamente, fünf Regierungen und fünf Ministerpräsidenten – für jede Region und jede Gemeinschaft eine. Nur weil die Flämische Gemeinschaft ein gemeinsames Parlament mit der Region Flandern hat, gibt es nicht sechs. Dazu kommt noch die Bundesregierung in Brüssel, ebenfalls mit Parlament, Regierung und Ministerpräsident.
Die Flamen machen mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 10,4 Millionen aus, die Wallonen stellen knapp ein Drittel. Rund zehn Prozent gelten als zweisprachig, in der Realität dürften es deutlich mehr sein. Dazu kommen etwa 74.000 Angehörige der deutschsprachigen Gemeinschaft im Osten der Wallonie.
Historische Entwicklungen
Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts schwelt der Streit zwischen den Bevölkerungsgruppen des Königreichs. Zunächst ging es vor allem um die Gleichberechtigung der niederländischen Sprache und Kultur mit dem bis nach 1945 dominierenden Französisch. Die zumeist ärmeren niederländisch sprechenden Flamen mit bäuerlichem Hintergrund arbeiteten in den Fabriken der reicheren wallonischen Kohle- und Stahlproduzenten. Amtssprache war Französisch. Niederländisch wurde erst im Jahr 1932 als gleichberechtigt anerkannt.
Doch die Zeiten änderten sich, durch die Stahlkrise und den Niedergang der Kohleförderung in den 1950-er Jahren verliert die Wallonie ihre Position als wirtschaftliches und politisches Zentrum. Die Flamen treiben zusätzlich zu der schon immer starken Textilindustrie den Ausbau von Chemischer- und Mineralölindustrie, Automobil- und Metallindustrie voran. Heute steht Flandern mit seiner modernen Dienstleistungsgesellschaft wirtschaftlich besser da als das französischsprachige "Armenhaus" Wallonie und zahlt Schätzungen zufolge jedes Jahr sieben Milliarden Euro in den ärmeren Süden. Diesen Länderfinanzausgleich wollen die Flamen zunehmend aufkündigen.
Hinzu kommt, dass die Hauptstadt Brüssel und mit ihr die umliegenden Gemeinden immer französischer werden. Praktisch ist die Hauptstadt eine gleichberechtigte Region und zweisprachig. Der eher flämische Charakter des Umlandes ändert sich durch den Zuzug von EU-Beamten und Frankophonen jedoch zusehends. In immer mehr Gemeinden müssen Sprachregelungen getroffen werden. Am Beispiel des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvorde, der sich über das Gebiet mehrerer Regionen erstreckt, wird deutlich, dass das politische Instrumentarium aus Sonderrechten und Staatsreformen die politische Realität des Landes kaum noch regeln kann. An der Frage einer möglichen Aufteilung des Wahlkreises scheiterten 2008 und 2010 die Regierungskoalitionen.
Sei Jahren ist die Staatskrise die Regel. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die schon jetzt überfälligen Renten- und Arbeitmarktreformen noch dringlicher gemacht. Zum 1. Juli soll Belgien zudem auch noch den EU-Ratsvorsitz übernehmen. Der jetzige EU-Ratsvorsitzende Herman van Rompuy war bis Ende 2009 selbst belgischer Premierminister. Die neue Mehrparteienkoalition aus Flamen und Frankophonen steht vor gewaltigen Aufgaben.
Quelle: ntv.de