Dossier

Am Morgen nach dem WM-Aus Erhitzte türkische Gemüter

Tiefe Trauer, Wut und verletzter Nationalstolz in Berlin-Kreuzberg: Viele Türken konnten es auch am Morgen danach noch nicht richtig fassen, dass ihr Team in einem dramatischen Duell auf dem Weg zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland an der Schweiz scheiterte. Besonders die Aggressionen nach dem Spiel erhitzten auch noch am Donnerstag die Gemüter: "Der Schiedsrichter sollte mit gebrochenem Bein im Krankenhaus liegen -nicht ein Spieler", sagte eine 31 Jahre alte Hauswirtschaftlerin in der Adalbertstraße. Doch nicht alle verloren die Nerven wie einige Akteure in Istanbul: ""Ich bin Gegner dieser Gewalt. Das ist Barbarei", meinte ein 45 Jahre alter türkischer Fotograf.

Insbesondere der belgische Schiedsrichter sorgte mit seinen Entscheidungen in Kreuzberg, der zweiten Heimat für Zehntausende von Türken, für Unmut. "Das war kein faires Spiel. Der Schiedsrichter hat für die anderen ein Auge zugedrückt", sagte Hurinaz Dede. "Sonst hätten wir das Spiel 5:0 gewonnen." Der 4:2-Sieg war nutzlos, weil das 0:2 im Hinspiel den Schweizern den WM-Platz sicherte. Sie kann die gewalttätigen Übergriffe der Türken auf die Schweizer nach dem Spiel verstehen: Schon beim Erklingen der türkischen Nationalhymne hätten die Schweizer keinen Respekt gezeigt und gepfiffen.

Die meisten Türken hatten gehofft, ihre Mannschaft im nächsten Jahr in Deutschland anfeuern zu können. "Die WM ist keine kleine Sache. Da will jeder hin", meinte Cihan Yilmaz. "Da sprechen auch schon mal die Fäuste", ergänzte der zur Zeit arbeitslose 23-Jährige. Den angedrohten Sanktionen des Weltfußballverbandes FIFA sieht er gelassen entgegen. "Wenn wir nicht zur WM können, kann die Fifa zehn Spieler sperren", sagte er.

Für viele Türken ist Fußball eine Sache der Ehre, ist Fußball fast "Religion". Der 28 Jahre alte Diplom-Komponist Taner Akcop sagte: "Türken benutzen Fußball für Nationalismus." Die 32 Jahre alte Friseuse Gül Tuncal meinte: "Wir hatten uns sehr viel erhofft für das nächste Jahr." Es läge in der Mentalität der türkischen Mannschaften, schnell auszurasten, obwohl es natürlich verpönt sei, erklärte sie.

Gewalt gehöre nicht in den Fußball, meinte auch Akdag Bettal. "Jeder ist tief geschlagen", sagte er. Das Spiel sei aber nicht fair gepfiffen worden, meinte der 42 Jahre alte Inhaber eines Reisebüros, der selbst seit 15 Jahren Vorsitzender eines kleinen Fußballvereins ist. "Kleine Vorteile machen viel aus." Beide Seiten hätten nach dem Spiel mit den Übergriffen angefangen, meinte er. Die Türken hätten noch nicht gelernt, auf die Provokationen der Europäer angemessen zu reagieren, versucht er die kulturellen Unterschiede zu erklären.

Die meisten Türken in Kreuzberg werden die WM aber wohl trotz ihres verletzten Ehrgefühls verfolgen. "Meine Mannschaft ist jetzt Deutschland", sagte der 60 Jahre alte Restaurantbesitzer Adnan Cinicioglu. Und auch Hurinaz Dede meinte: "Ich hoffe, dass Deutschland den ersten Platz macht."

Von Mirja Fiedler, dpa

Quelle: ntv.de

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