"Skandal erster Güte" Ex-Stasi-Mitarbeiter noch im Dienst
09.07.2009, 15:53 UhrAuch 20 Jahre nach der Wende sind noch 17.000 ehemalige Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst beschäftigt. Was manche als hinnehmbar betrachten, finden andere skandalös.

Die Zahl ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in deutschen Behörden ist offensichtlich größer als bisher bekannt.
(Foto: picture-alliance/ ZB)
20 Jahre nach der Wende gerät ins Blickfeld der Öffentlichkeit, dass noch immer tausende Mitarbeiter der früheren DDR-Staatssicherheit im öffentlichen Dienst der Länder beschäftigt sind. 17.000 waren es einem Pressebericht zufolge nach der Wende. Die Zahl fiel auch deshalb so hoch aus, weil mit den nach der Wende vorgenommenen Überprüfungen von Ort zu Ort recht unterschiedlich umgegangen wurde. In manchen Fällen reichte die bloße Stasi-Vergangenheit, um eine Anstellung zu verhindern. Andernorts wurde genauer hingeschaut, was der jeweilige Beschäftigte für die Stasi wirklich gemacht hat.
Schon im deutsch-deutschen Einigungsvertrag wurde festgeschrieben, dass eine frühere Stasi-Mitarbeit zur Kündigung eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst führen kann. Einen Zwang gab es aber nicht. Und im Stasiunterlagen-Gesetz wurde nur die Regelanfrage für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes festgeschrieben. Demnach wurde jeder, der eingestellt werden wollte, auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst hin überprüft.
Unterschiedlicher Umgang mit den Prüferergebnissen

Tausende frühere Beschäftigte des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit sollen trotz Prüfungen im öffentlichen Dienst ostdeutscher Landesverwaltungen arbeiten.
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Für die Umsetzung der Regelanfrage, die heute nur noch bei Führungspositionen vorgenommen wird, sind die Länder zuständig. Und die Zahlen legen den Schluss nahe, dass landauf landab unterschiedlich verfahren wurde. Während nach Recherchen der "Financial Times Deutschland" in Mecklenburg-Vorpommern 2247 Geheimdienst-Mitarbeiter übernommen wurden, waren es in Brandenburg 2942, in Thüringen hingegen nur 800. In Sachsen-Anhalt gab es demnach 4400 solcher Fälle, in Sachsen 4101. Im Land Berlin wurden 2733 Fälle gezählt.
Selbst innerhalb eines Landes wurde recht unterschiedlich mit den Prüfergebnissen umgegangen. Im seinerzeit von der heutigen Stasi-Unterlagenbeauftragten Marianne Birthler geleiteten Brandenburger Bildungsministeriun gab es strenge Maßstäbe, im Potsdamer Innenministerium hingegen wurde die Sache laxer gehandhabt. Das erklärt wohl auch, warum sich unter den Brandenburger Polizisten bis heute hunderte Ex-Stasi-Leute finden.
Vereinigung der Opfer des Stalinismus sind entrüstet
Für den Bund hat das Innenministerium Entscheidungshilfen für eine mögliche Beschäftigung erarbeitet. Eine solche kommt demnach etwa infrage, wenn ein Anwärter beim Ministerium für Staatssicherheit als Schreibkraft oder Bote gearbeitet hat. Selbst die Birthler-Behörde hat ehemalige Stasi-Mitarbeiter eingestellt, und zwar vorwiegend im Wachschutz.

Nach einer friedlichen Demonstration vor der Stasizentrale in der Berliner Normannen-/Ruschestraße stürmen Tausende das Gebäude des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (Archivfoto vom 15.01.1990).
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Birthler zeigte sich seinerzeit wenig glücklich über die Einstellung der alten Stasi-Leute, die noch in die Amtszeit ihres Vorgängers Joachim Gauck fiel. Jetzt sorgt die Nachricht, dass offenbar noch 17.000 einstige Stasi-Leute im öffentlichen Dienst Ostdeutschlands beschäftigt sind, für Entrüstung. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) spricht von einem "Skandal erster Güte". Nach den Stasi-Fällen in Brandenburg und nun im Bundeskriminalamt dränge sich der Verdacht auf, dass der öffentliche Dienst von Stasi-Kadern "durchsetzt" sei, erklärt VOS-Sprecher Ronald Lässig.
Zu einer erneuten Überprüfung aller übernommenen Stasi-Mitarbeiter wird es wohl trotz aller Proteste nicht kommen. Denn seit der Neufassung des Stasiunterlagen-Gesetzes werden eben nur noch Beschäftigte in herausgehobenen Positionen überprüft - für die anderen ist eine solche Maßnahme nicht mehr vorgesehen. Selbst DDR-Bürgerrechtler Stefan Hilsberg hält das nicht in jedem Fall für problematisch. Zwar sei es inakzeptabel, wenn ehemalige Geheimdienstler eine Leitungsfunktion im Brandenburger Landeskriminalamt übernehmen. Aber: "Wenn sie Pförtnerdienste machen, ist das hinnehmbar."
Quelle: ntv.de, Jürgen Petzold, AFP