"Traumjob war es nicht" Flierl verlässt Berliner Senat
06.11.2006, 17:08 UhrDer scheidende Berliner Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) war nicht die erste Wahl, als es um die Besetzung seines Ressorts Wissenschaft und Kultur in der ersten rot-roten Koalition in Berlin im Herbst 2001 ging. Gregor Gysi hatte aus seiner Vorliebe für die Kultur ebenso wie Lothar Bisky seinerzeit keine politischen Konsequenzen gezogen und auch der heute 49-jährige Flierl, promovierter Kunstwissenschaftler und früher auch Baustadtrat von Berlin-Mitte, bekannte später: "Nein, mein Traumjob war es von Anfang an nicht und er wird es wohl auch nicht werden." Aber der Ehrgeiz lockte, in der größten deutschen Stadt für Kultur zuständig zu sein.
Sein Ressort wird künftig der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) angeschlossen, ähnlich wie es andere Bundesländer handhaben. Namen nannte die SPD nicht. Wowereit sagte zu der Neugliederung: "Kultur ist dann beim Regierungschef angesiedelt. Schwergewichtiger kann es nicht sein." Es sei bekannt, dass er ein großes Interesse an Kultur habe, daher freue er sich auf die neue Aufgabe. Aus dem Hause Flierls wird Staatssekretärin Barbara Kisseler zur Senatskanzlei wechseln, die von Andr Schmitz geleitet wird.
Schmitz war bereits länger als künftiger "Mann für Kultur" im Gespräch. Der 49-jährige Wowereit-Vertraute ist von Hause aus Jurist mit praktischen Erfahrungen in der Kulturszene - vom Stadttheater Hildesheim über die Hamburger Kulturbehörde (unter Ingo von Münch) bis zur Berliner Volksbühne. Als kommissarischer Intendant der Deutschen Oper Berlin meisterte Schmitz auch die schwierige Zeit unmittelbar nach dem Tod des Opern-Patriarchen Götz Friedrich im Dezember 2000.
Flierl zeigte sich gegen Ende seiner Amtszeit nüchtern und realistisch: "Kein Senator der rot-roten Landesregierung wird in der Öffentlichkeit so kontrovers wahrgenommen wie ich." Die einen meinten, er sei "ein Glücksfall für Berlin" und "der vermutlich beste Kultursenator seit der Wende", wie der Politiker auf seiner Website selbst verkündete und ehrlicherweise hinzufügte: "Manche sehen mich ungeschickt agieren, andere wollen nur das schnelle Ende des Senators Flierl..."
Wie zum Beispiel wohl Wowereit, dem eine herzliche Abneigung zu seinem Kultursenator nachgesagt wurde. Seine Gegner nennen den mit Vorliebe Schwarz tragenden Flierl einen "mausgrauen Politik-Technokraten" und "selbstbewusstes Kind des SED-Milieus".
Ein Traumjob kann ein Schleudersitz nicht sein, aber Flierl ist mit fünf Jahren länger als die meisten seiner Vorgänger im Amt geblieben. Der damalige PDS-Politiker war der fünfte innerhalb von zwei Jahren auf diesem Posten. Nach der seinerzeit mit viel Vorschusslorbeeren bedachten und dann auch in der Berliner Realität aufgetauchten CDU-"Allzweckwaffe" Peter Radunski ("Zigeunerbaron") warf die Parteikollegin Christa Thoben schon nach 100 Tagen entnervt das Handtuch, gefolgt von dem eloquenten und geistreichen Museumsdirektor Christoph Stölzl, der während seiner Amtszeit in die CDU eintrat. Er musste nach einem Jahr zusammen mit dem gesamten Senat der großen Koalition, die die "Berliner Bankenaffäre" erschütterte, zurücktreten. Für wenige Monate war dann die Hamburger Hochschulpräsidentin Adrienne Goehler (parteilos auf Grünen-Ticket) im Amt.
Der danach ins Amt gekommene Flierl hat durchaus einiges angestoßen und erreicht wie die Übernahme der Akademie der Künste, der Festspiele und der Kinemathek am Potsdamer Platz durch den Bund zur Finanzierung der Berliner Opernstiftung. Er erreichte einen neuen Hauptstadtkulturvertrag, den Neubau der Berlinischen Galerie und den Vertrag über die spektakuläre Flick-Collection im Hamburger Bahnhof sowie die Sicherung der Theater- und Konzertlandschaft mit Neuberufungen von Armin Petras, Matthias Lilienthal, Lothar Zagrosek und Ingo Metzmacher. Die Nachfolge Claus Peymanns fällt in die nächste Amtszeit eines Kultursenators.
Aber Wirbel machten vor allem die schlechten Nachrichten. Seine größte Niederlage erlitt Flierl wohl im Wissenschaftsbereich, als ihm seine eigene Partei die Gefolgschaft bei der geplanten Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudenten verweigerte. Im Kulturbereich gab es die anhaltende Krise um die Opernstiftung, die fehlgeschlagene Berufung des Schriftstellers Christoph Hein zum neuen Intendanten am Deutschen Theater (der Ersatz lässt noch immer auf sich warten) und die bisher weniger überzeugende Berufung von Kirsten Harms an die Spitze der Deutschen Oper oder zuletzt die auf viel Kritik gestoßene Rückgabe eines Kirchner-Gemäldes aus dem Brücke-Museum.
Besonders geschadet hat Flierl, der sowieso nicht gerne hervortritt oder auffallen will, vermutlich sein passives Verhalten bei einer Veranstaltung mit alten Stasi-Kadern, die die Opfer des SED-Unrechts in seiner Anwesenheit attackierten, womit er das Misstrauen und die Vorbehalte gegen den früheren Mitarbeiter im DDR-Kulturministerium und "einzigen Ossi" im Berliner Senat nur unnötig verstärkte. Dazu passte dann auch sein vehementes Eintreten für den Erhalt des DDR-Palastes der Republik. Auch sein Mauer-Gedenkstätten-Konzept ist nicht gerade von großer Leidenschaft für dieses Thema gekennzeichnet. Aber alles in allem hat Flierl die Berliner Kulturlandschaft weitgehend erhalten und den Etat vor allzu großen Sparattacken bewahren können. Das ist nicht wenig in Zeiten großer Finanznöte in Bund und Ländern.
Quelle: ntv.de