Der Gesundheitsfonds Fragen und Antworten
07.10.2008, 01:21 Uhr
(Foto: picture-alliance/ ZB)
Vom 1. Januar 2009 an gilt für die mehr als 200 gesetzlichen Krankenkassen und ihre 70 Millionen Versicherten ein einheitlicher Beitragssatz. Gleichzeitig wird ein neuer Finanzausgleich zwischen den Kassen eingeführt: Für jeden Versicherten erhalten die Kassen Pauschalen, die nach Alter und Geschlecht, vor allem aber - das ist neu - nach einer Liste von 80 chronischen Krankheiten berechnet werden.
Wer legt den Einheitsbeitrag fest?
Die Bundesregierung. Am 2. Oktober teilte der "Schätzerkreis" nach viertätigen Beratungen mit, dass kein einvernehmliches Schätzergebnis zustande gekommen sei. Aufgabe des neuen Gremiums ist, die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen zu bewerten und eine Prognose über den Einheitsbeitrag abzugeben. Dem Schätzerkreis gehören Experten des Gesundheitsministeriums, des Bundesversicherungsamts und des gerade erst gebildeten Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen an.
Offiziell legt das Gesundheitsministerium den Beitragssatz auf der Basis der Beratungen des Schätzerkreises per Verordnung fest. Diese muss zum 1. November rechtsgültig vorliegen. Vorher gibt es zwei Kabinettstermine, außerdem muss der Bundestag informiert werden; ein Mitspracherecht hat er nicht. Faktisch wurde die Höhe des Einheitsbeitrags am 5. Oktober vom Koalitionsausschuss festgelegt. Es ist also eine politische Entscheidung, weniger eine Entscheidung auf der Basis der finanziellen Situation der Krankenkassen.
Steigt der Kassenbeitrag für die Versicherten?
Das kommt drauf an, in welcher Krankenkasse man derzeit Mitglied ist. Laut Koalitionsausschuss soll der Beitragssatz 15,5 Prozent betragen. Für neun von zehn Versicherten wird es damit nach Angaben des Kassen-Spitzenverbandes teurer. Derzeit liegt der durchschnittliche Beitragssatz bei 14,92 Prozent. Davon werden 0,9 Punkte nur von den Arbeitnehmern bezahlt, lediglich die verbleibenden 14,2 Prozent teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen. Den Eigenanteil in Höhe von 0,9 Prozent wird es auch beim Einheitsbeitrag geben.
Warum liegt der Einheitssatz so hoch?
Das Gesundheitsministerium betont, dass der Gesundheitsfonds selbst nicht für eine Verteuerung sorgt. Gründe für den Beitragsanstieg seien Mehrausgaben für Arzneimittel und Krankenhäuser sowie steigende Arzthonorare. Richtig ist, dass diese drei Bereiche die großen Kostentreiber im Gesundheitswesen sind. Damit wären 2009 ohnehin Beitragserhöhungen fällig gewesen, sagt Ann Hörath vom GKV-Spitzenverband. Hörath verweist allerdings auch auf die neue Liquiditätsreserve in Höhe von drei Milliarden Euro, die von den Krankenkassen schrittweise aufgebaut werden muss.
Der Vorwurf, der Gesundheitsfonds sei ein bürokratisches Monster, trifft nicht zu: Der Gesundheitsfonds ist ein "virtueller Fonds", der von 23 Mitarbeitern des Bundesversicherungsamtes verwaltet wird (das Bundesversicherungsamt hatte bereits den alten Risikostrukturausgleich verwaltet). Erst 2011 soll eine zentrale Einzugsstelle der gesetzlichen Krankenkassen gebildet werden. Diese wird aber voraussichtlich Aufgaben der Einzelkassen übernehmen und diese dadurch entlasten.
Wie funktioniert der Gesundheitsfonds?
Der Fonds wird beim Bundesversicherungsamt angesiedelt. Er sammelt die Krankenkassenbeiträge der gesetzlich Versicherten bei den Krankenkassen ein, führt den "Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich", kurz Morbi-RSA, durch und zahlt Pauschalen für jeden Versicherten an die Kassen. Bislang orientierte sich der Risikostrukturausgleich nur an Alter und Geschlecht, jetzt gibt es Zuschläge für 80 chronische Krankheiten (dafür steht der Zusatz "Morbi" - dazu weiter unten mehr).
Zusätzlich zahlt der Staat einen steuerfinanzierten Zuschuss von 4 Milliarden Euro an den Fonds. Der Bundeszuschuss wird jährlich um 1,5 Milliarden erhöht, bis ein Zuschuss von maximal 14 Milliarden Euro erreicht ist. Wie es dann weitergeht, ist offen: "Die Krankenkassen werden zunehmend abhängiger von der Haushaltspolitik der Bundesregierung", kommentiert Ann Hörath vom GKV-Spitzenverband.
Die Krankenkassen dürfen von ihren Versicherten Zusatzbeiträge erheben oder Prämien ausschütten.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kassen Zusatzbeiträge erheben?
Mittelfristig ist das sehr wahrscheinlich. Eigentlich sollte der Einheitsbeitrag so festgelegt werden, dass beim Start des Gesundheitsfonds 100 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen finanziert werden. Insofern müssten die Kassen zumindest im ersten Quartal 2009 ohne Zusatzbeiträge auskommen. Einige Kassen haben allerdings deutlich gemacht, dass sie einen Beitragssatz von 15,5 Prozent für zu niedrig halten.
Zudem ist vorgesehen, dass die Bundesregierung den Einheitsbeitrag erst dann erhöht, wenn der Fonds weniger als 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen deckt. Dadurch werden die Ausgaben der Krankenkassen schneller steigen als ihre Einnahmen. Die Einführung von Zusatzbeiträgen ist damit kaum zu vermeiden. "In drei bis vier Jahren werden alle Kassen mit dabei sein", sagt Barmer-Chef Johannes Vöcking.
Zusatzbeiträge werden nur von Versicherten erhoben, nicht von Arbeitgebern.
Der Zusatzbeitrag ist gedeckelt: Bis zu 8 Euro dürfen ohne Einkommensprüfung erhoben werden, höhere Zusatzbeiträge dürfen ein Prozent des Bruttoeinkommens des jeweiligen Versicherten nicht übersteigen, wobei die Beitragsbemessungsgrenze von 3600 Euro nicht überschritten werden darf. Da die Möglichkeit zum Kassenwechsel erhalten bleibt, soll die 95-Prozent-Regel die Kassen zum Sparen zwingen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kassen Prämien auszahlen?
Das ist relativ unwahrscheinlich. Auch Kassen, die sich eine Prämienauszahlung leisten könnten, dürften darauf verzichten, um eine Reserve für die Jahre nach 2009 zu haben. Dennoch haben einzelne Kassen angekündigt, diese Möglichkeit zu nutzen. So will die Direktkrankenkasse BIG mit nach eigenen Angaben knapp 280.000 Mitgliedern im Fall eines Einheitsbeitrags von 14,6 Prozent (ohne 0,9 Prozent Arbeitnehmeranteil, gemeint sind also die oben genannten 15,5 Prozent) "voraussichtlich" eine Prämie zahlen.
Allerdings weiß auch die BIG, dass die Ausschüttung von Prämien Verwaltungskosten verursacht. "Wir erwägen, unseren Versicherten als Alternative einen Leistungsausgleich anzubieten", sagt BIG-Sprecherin Sabine Pezely.
Auch den Bonus gibt es nur für die Beschäftigten, nicht für die Arbeitgeber. Um Arbeitgeber und Beschäftigte zu entlasten, hat die Koalition sich auf eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Punkte auf 2,8 Prozent verständigt. Dies soll zunächst allerdings nur vom 1. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010 gelten. Dann ist nach derzeitigem Stand eine Erhöhung auf 3,0 Prozent geplant.
Lohnt es, die Krankenkasse zu wechseln?
"Eine pauschale Antwort ist schwierig", sagt Ann Hörath vom GKV-Spitzenverband, der die Interessen sowohl der teuren wie auch der billigen Krankenkassen vertritt. "Es kommt darauf an, welche Anforderungen Versicherte an ihre Versicherung stellen. Letztlich ist es eine Abwägung zwischen Preis und Leistung." Sven Schönmeyer von der Barmer Ersatzkasse sagt: "Die Barmer bietet einen besseren Service und besondere Programme für ihre Mitglieder. Künftig wird sich der Wettbewerb stärker auf die Leistungen einer Kasse konzentrieren als auf die Beitragssätze." Sabine Pezely von der BIG sagt: "Ein Kassenwechsel lohnt, weil wir günstiger sind und bleiben werden."
Letztlich haben alle drei Recht: Durch die Prämien bzw. den Verzicht auf Zusatzbeiträge bleibt ein Preiswettbewerb erhalten. Durch den Einheitsbeitrag wird der Preisindex jedoch weniger wichtig, der Wettbewerb wird künftig stärker auf dem Feld der Leistungen ausgetragen. Auch die BIG will mit "innovativen Leistungen" punkten, die auf die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zugeschnitten sind. "Wir haben relativ viele junge Mitglieder mit anderen Krankheitsbildern. Denen bieten wir beispielsweise Burn-out-Prophylaxen an", sagt Sabine Pezely.
Was ist der Sinn des Morbi-RSA?
Der Morbi-RSA soll die unterschiedliche Mitgliederstruktur der Kassen ausgleichen. Seit 1996 dürfen chronisch Kranke und Ältere zwar wie alle gesetzlich Versicherten ihre Krankenkassen wechseln. Sie haben von dieser Möglichkeit jedoch nicht so häufig Gebrauch gemacht wie gesunde und jüngere Mitglieder. Die Folge ist, dass Betriebs- und Innungskrankenkassen einen überproportional hohen Anteil an Versicherten haben, die relativ geringe Kosten verursachen.
Bislang waren chronisch kranke Mitglieder für Krankenkassen eine Belastung. Ändert sich das durch den Finanzausgleich? Wird es für Kassen attraktiv, ihre Kunden krank zu halten?
Damit dies nicht so wird, fordert der GKV-Spitzenverband, der "Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich" müsse transparent und manipulationssicher sein. Das Bundesversicherungsamt hält diese Anforderungen für erfüllt: "Ein gesundes Mitglied ist für eine Krankenkasse in jedem Fall besser als ein krankes", sagt der Sprecher der Behörde, Theo Eberenz. "Der Morbi-RSA sorgt für eine Veränderung der Finanzstruktur der Krankenkassen in Richtung mehr Solidarität und mehr fairen Wettbewerb", sagt auch Sven Schönmeyer von der Barmer.
Eberhard Wille, Vorsitzender des Sachverständigenrats für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hatte im August gesagt, durch den Morbi-RSA könnten die Kassen künftig Überschüsse erzielen, wenn sie viele chronisch kranke Versicherte haben. Plausibel erscheint dies nicht. Für die 80 Krankheiten gibt es lediglich durchschnittliche Zuweisungen, mit denen die Krankenkassen die realen Kosten nur zu rund 50 bis 60 Prozent decken können. Idealerweise führt dies dazu, dass Krankenkassen die Aufgabe eines umfangreichen Gesundheitsmanagements übernehmen und mit speziellen Chronikerprogrammen die ärztliche Behandlung des Versicherten begleiten, um Folgekrankheiten zu vermeiden.
Können kleine Kassen überleben?
Auch ohne Gesundheitsfonds geht die Zahl der gesetzlichen Krankenkassen zurück. Das ist politisch durchaus gewollt. Anfang der neunziger Jahre gab es noch über 1200 gesetzliche Krankenkassen, 2006 waren es 253, derzeit sind es 217. Auch nach der Einführung des Gesundheitsfonds werden kleinere Krankenkassen fusionieren müssen - schon allein, um gegenüber der Gesundheitswirtschaft eine Verhandlungsmacht darzustellen. "Kassen, die mehr als eine Million Mitglieder haben, können am leichtesten wirtschaftlich arbeiten. Für kleinere Kassen wird es schwierig, 'Hochverbraucher' abzufedern", sagt Sven Schönmeyer. Sabine Pezely sieht dies anders. Die Kassengröße sei ein willkürliches Kriterium, keine echte Wirtschaftlichkeitsgrenze.
Wäre es sinnvoll, den Gesundheitsfonds (und den Morbi-RSA) zu verschieben?
Die Betriebskrankenkassen fordern, die Einführung des Gesundheitsfonds zu verschieben. Bei einem Einheitsbeitragssatz von 15,5 Prozent rechnet der BKK Bundesverband mit einer Mehrbelastung von 700 Millionen Euro für die BKK-Kunden und deren Arbeitgeber.
Die BIG fordert keine Verschiebung des Fonds. "Dadurch wird es auch nicht besser", sagt Sabine Pezely. Der Gesundheitsfonds und vor allem der Einheitsbeitrag löse nicht die finanziellen Probleme des Gesundheitssystems. "Aber der Fonds ist nun einmal beschlossen, nur zu lamentieren macht keinen Sinn."
Der GKV-Spitzenverband erwartet die pünktliche Einführung des Fonds. Ann Hörath betont jedoch, der Gesundheitsfonds sei keine Lösung für die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt, sondern lediglich ein "politischer Platzhalter". Tatsächlich ist der Fonds ein Kompromiss zwischen der "Bürgerversicherung" der SPD und der "Gesundheitsprämie" der Union (auch als "Kopfpauschale" bekannt). Der Fonds ist so angelegt, dass er bei einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sowohl in die eine wie auch die andere Richtung weiterentwickelt werden kann. Die Reformen dürften weitergehen.
Quelle: ntv.de