Dossier

Positionen zur Stammzellforschung Gewissensentscheidung

Mit der Abstimmung über die Zukunft der Stammzellenforschung stehen die Abgeordneten des Bundestages am Freitag vor der ethisch schwierigsten Entscheidung dieser Legislaturperiode. Zur Heilung von Krankheiten ruhen auf dieser Forschung viele Hoffnungen. Aber die Arbeit mit diesen Zellen ist umstritten, weil zu ihrer Gewinnung menschliche Embryonen zerstört werden müssen. Derzeit dürfen nur Zelllinien importiert werden, die vor dem 1. Januar 2002 existiert haben. Wissenschaftler kritisieren jedoch, diese seien zu alt und verunreinigt.

Der Bundestag ist tief gespalten darüber, wie es nun weitergehen soll. Fraktionsübergreifend haben sich für die unterschiedlichen Positionen höchst ungewöhnliche Bündnisse gebildet. Bei dieser Abstimmung sind die Abgeordneten allein ihrem Gewissen verpflichtet; ein Fraktionszwang besteht nicht.

Während die Forschung auf Liberalisierung drängt, lehnen die Kirchen die Stammzellforschung ab. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner rief die Abgeordneten erneut dazu auf, keinen Kompromiss auf Kosten der Schwächsten zuzulassen. Da Embryos getötet werden müssten, komme eine Verwendung der Stammzellen nach biblisch-christlichem Verständnis nicht infrage. Vor allem Forschungsministerin Anette Schavan als ehemalige Vizepräsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) steht vor einem besonderen Dilemma.

Verschiedene Gruppenanträge

Die unterschiedlichen Meinungen spiegeln sich in vier Anträgen wider, über die der Reihenfolge nach abgestimmt werden soll: Am weitesten geht die Position von Ulrike Flach (FDP), Katherina Reiche (CDU) und Rolf Stöckel (SPD). Ihr Entwurf sieht vor, den Stichtag vollständig zu streichen. Die Befürworter kritisieren die geltende Regelung zur Einfuhr von Stammzellen als Forschungsbremse. Die Hoffnungen von Menschen mit Multipler Sklerose, Parkinson oder Diabetes dürften nicht enttäuscht werden. Bisher haben den Antrag 92 Abgeordnete unterschrieben. Prominente Unterstützer sind FDP-Chef Guido Westerwelle und Linksfraktions-Chef Gregor Gysi.

Mit rund 50 Unterzeichnern verfügt der restriktivste Antrag um die Unions-Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött und Maria Eichhorn über die wenigste Zustimmung. Sie fordern, die Forschung mit embryonalen Stammzellen komplett zu verbieten. Die Menschenwürde könne nicht mit der Forschungsfreiheit abgewogen werden.

Eine weitere Gruppe von Abgeordneten um Rene Röspel (SPD), Ilse Aigner (CSU) und Jörg Tauss (SPD) will den Stichtag einmalig auf den 1. Mai 2007 verschieben. Die Autoren sehen ihre Position als Mittelweg: zum einen erhielten Forscher frische Zellen, zugleich werde eine klare Grenzlinie gezogen. Diese Position findet bisher mit 184 Abgeordneten die meisten Unterstützer. Darunter sind zahlreiche Kabinettsmitglieder wie Forschungsministerin Annette Schavan, Michael Glos (Wirtschaft), Brigitte Zypries (Justiz), Ulla Schmidt (Gesundheit) und Horst Seehofer (Verbraucherschutz).

Die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), Priska Hinz (Grüne), Julia Klöckner (CDU) und Hans-Michael Goldmann (FDP) plädieren hingegen dafür, das Gesetz unverändert zu lassen. Bisherige Erwartungen an die Stammzellforschung hätten sich nicht erfüllt. Daher müsse die Forschung mit ethisch unbedenklichen adulten Zellen gefördert werden. Der Antrag findet mit 148 Unterschriften bisher die zweitmeiste Zustimmung.

Der Ausgang der Abstimmungen ist offen, zumal sich 174 der 613 Parlamentarier bisher keiner Linie angeschlossen haben. In den Fraktionen wird davon ausgegangen, dass der ein oder andere möglicherweise erst die Debatte nutzen wird, um sich endgültig festzulegen. Wenn die ersten beiden Anträge mit Radikalpositionen erwartungsgemäß keine Mehrheit finden, ist zudem davon auszugehen, dass einige der Unterstützer auf die anderen beiden Positionen überlaufen werden. Eine Reihe von Doppelunterschriften gibt es schon jetzt.

Von Thorsten Sverin, Reuters

Quelle: ntv.de

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