"Lebensstoß für die Linke" Gysi macht weiter
15.06.2007, 12:28 UhrDer Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Gregor Gysi, sieht mit der Fusion von Linkspartei.PDS und WASG die Etablierung der Linken in Deutschland erreicht. Zugleich räumte er im Interview mit n-tv.de ein, dass die Linkspartei die Frischzellenkur durch die WASG dringend gebraucht hat. "Ja, wir hatten die nötig", so Gysi. "Von denen bekommen wir wieder einen Lebensstoß, bevor wir einschlafen."
Der 59-Jährige hofft, dass das auch alle Linkspartei-Mitglieder so sehen und voller Elan die neue Partei unterstützen. Aber eine Linke Partei müsse nun einmal gesamtdeutsch agieren. Wer das Land verändern wolle, der wisse, "das geht nicht nur in Thüringen, dazu braucht man auch Bayern."
Ganz leicht falle ihm die Aufgabe des Kapitels PDS allerdings nicht. Natürlich sei er auch ein wenig traurig, sagte Gysi: "Das ist immer so ein Vorgang mit einem weinenden und einem lachendem Auge. Aber ich finde, es ist auch eine tolle Chance." Auch für ihn selbst. Auf die Frage, ob er mit der Fusion nun sein politisches Lebenswerk vollende, sagte Gysi: "Nun werden Sie mal nicht komisch und hören Sie mal zu. Ich bin noch nicht einmal sechzig. Hier ist nichts abgeschlossen."
Konkret gehe es darum, bei der Bundestagwahl 2009 "zehn plus" zu holen. Dann könnten irgendwann Bündnisse mit der Sozialdemokratie auf Landesebene und im Bund folgen. Eine Fusion mit der SPD wollte Gysi zwar nicht ausschließen, die Zeit dafür scheint ihm aber noch nicht reif zu sein: "Ja, das ist dann lange nach meinem Tod, da können Sie dann meinen Nachfolger befragen."
Herr Gysi, die Geschichte der SED-Nachfolgepartei PDS geht am Wochenende zu Ende. Sind Sie traurig?
Ja, klar! Das ist immer so ein Vorgang mit einem weinenden und einem lachendem Auge. Aber ich finde, es ist auch eine tolle Chance. Wir haben eine Übergangsphase hinter uns. Ich werde am Wochenende darauf hinweisen, was wir in den Jahren geleistet haben, wie wichtig das auch gesamtgesellschaftlich war. Aber ich bin auch der Meinung, jetzt ist es gut, denn wir hatten nur eine nennenswerte Akzeptanz im Osten, jetzt können wir auch eine bundespolitische Kraft werden. Also muss man das weinende Auge schließen, das lachende öffnen und sich sagen: 'Da gehen wir jetzt hin'.
Die PDS hat eine über sechzigjährige Geschichte hinter sich, die WASG gibt es gerade zweieinhalb Jahre. Die PDS hat 60.000 Mitglieder, die WASG 10.000. Hatte die alte PDS eine "Frischzellen-Kur" so dringend nötig?
Ja, wir hatten die nötig. Aber darum geht es gar nicht. Es geht um eine ganz andere Frage: Durch das Hinzukommen der alten Bundesländer ist unsere Akzeptanz in Gesamtdeutschland enorm gewachsen. Nicht nur in den alten Bundesländern, sondern auch in den neuen. Denn die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei.PDS im Osten werden im Selbstwertgefühl bestärkt, wenn eine Akzeptanz der Partei auch in Schleswig-Holstein, auch in Bayern stattfindet. Zweitens: Das Alter einer Partei sagt immer viel darüber, dass man eine Geschichte hat. Ich habe das in Dortmund erlebt, meine Partei auf dem Parteitag war souverän. Die andere Partei war jung, etwas nervös, agil, ein bisschen hippelig. Das machte aber nichts, denn die Mischung tut gut. Von denen bekommen wir wieder einen Lebensstoß, bevor wir einschlafen. Die anderen bekommen von uns einen Schuss Seriosität. Das ist als Mischung gar nicht so schlecht.
Die Spitzengremien der neuen Linken werden nun 50-50 besetzt, die Hälfte der Posten geht an die PDS, die Hälfte an die WASG. Könnten verdiente PDS-Mitglieder im Osten nicht sagen, da kommen wieder so ein paar "Besserwessis" daher und wollen uns was beibringen?
Wir haben die deutsche Einheit seit 1990, da kommt keiner drum herum, auch wir nicht und das ist auch in Ordnung so. Nein, wer in eine linke Partei eintritt, will Gesellschaft verändern, und wer Gesellschaft in Deutschland verändern will, der weiß, das geht nicht nur in Thüringen, dazu braucht man auch Bayern.
Käme dann - als nächster Schritt - die Fusion mit der SPD?
Ja, das ist dann lange nach meinem Tod, da können Sie dann meinen Nachfolger befragen.
Aber vielleicht gibt es wenigstens eine Koalition auf Landesebene mit der SPD?
Wir verschließen uns da gar nicht. Aber die muss wenigstens sozialdemokratisch werden. Schauen Sie sich doch mal an, was die SPD in den letzten Jahren gemacht hat. Sie hat Steuergeschenke an die Deutsche Bank gemacht, Steuerschenke an die Vermögenden, an die Bestverdienenden und hat sich dann umgedreht und den Arbeitslosen, den Rentnerinnen und Rentnern und den Kranken gesagt, wir haben für Euch kein Geld. Ja, wo leben wir denn? Das hat sich ja nicht mal Kohl getraut, was die SPD in den letzten Jahren gemacht hat. Die müssen erstmal wieder sozialdemokratisch werden, übrigens auch beim Einsatz der Bundeswehr. Und dann wird es auch Formen der Zusammenarbeit geben. Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, im Interesse einer Zusammenarbeit selbst neoliberal zu werden. Das genau darf uns nicht passieren und ich glaube, das wird uns auch nicht passieren.
Wie sehen Sie die Zukunft der Sozialdemokratie?
Die Sozialdemokratie ist verwirrt. Seit Jahrzehnten kennt sie nur Druck von rechts, Druck von der Mitte, aber keinen Druck von links. Ich finde, so ist sie auch geworden, weil sie immer glaubt, um mehrheitsfähig zu werden, muss sie sich Stimmen von der Union holen. Nun bekommt sie plötzlich Druck von links. Das kennt sie nicht und reagiert hilflos darauf. Da könnte man Züge von Mitleid bekommen, aber die bekomme ich dann doch nicht, denn dafür ist die Sozialdemokratie zu stark. Sie muss sich einfach daran gewöhnen, in sozialen Fragen, in friedenspolitischen Fragen steht sie jetzt auch unter Druck von links - und das wurde auch Zeit!
Eine Frage zu Ihnen persönlich: Ist nun Ihr Lebenswerk mit der Fusion von PDS und WASG abgeschlossen?
Na, nun werden Sie mal nicht komisch und hören Sie mal zu. Ich bin noch nicht einmal sechzig. Hier ist nichts abgeschlossen.
Was haben Sie sich denn noch vorgenommen?
Na, ein tolles Wahlergebnis zum Beispiel. Ich sage immer, zehn plus! Wenn ich Ihnen vor fünf Jahren gesagt hätte, ich stelle mir für meine Partei zehn Prozent vor, da hätten Sie gedacht, ich muss in die Psychiatrie, aber jetzt ist das real.
(Mit Gregor Gysi sprach Tilman Aretz)
Quelle: ntv.de