Nachtwei zu Afghanistan "Halbherzig geht es nicht"
07.10.2008, 11:55 UhrDer Grünen-Sicherheitspolitiker Winfried Nachtwei hält den ISAF-Einsatz für "zwingend erforderlich", will der Verlängerung des Mandats im Bundestag jedoch nicht zustimmen. "Ich enthalte mich, weil die Bundesregierung weiterhin dem strategischen Dissens ausweicht, den es in der NATO faktisch gibt, und weil sie nichts Nennenswertes dafür tut, den deutschen Rückstand bei den Aufbaubemühungen aufzuholen", sagt Nachtwei im Interview mit n-tv.de.
n-tv.de: Was halten Sie von dem Afghanistan-Mandat, das heute vom Kabinett verabschiedet wurde und im Bundestag debattiert wird?
Winfried Nachtwei: Der Hammer ist, dass wir, die Abgeordneten, diesen Kabinettsbeschluss noch gar nicht zugeleitet bekommen haben. Insofern kennen wir dessen Inhalt offiziell noch gar nicht. Aber schon morgen früh müssen wir im Verteidigungsausschuss darüber befinden. Das ist eigentlich eine Verhöhnung der Parlamentsbeteiligung.
Ist das Schlamperei oder Taktik?
Man darf wohl unterstellen, dass dies Taktik ist, um die Debatte über die Verlängerung und Gestaltung des Mandats zeitlich so knapp wie möglich zu halten. Mit dieser Denkweise wird die Bundesregierung allerdings das genaue Gegenteil erreichen.
Inoffiziell ist das Mandat bekannt - Aufstockung auf bis zu 4500 Soldaten, Verlängerung um 14 Monate. Wie bewerten Sie das?
Die Verlängerung um 14 Monate ist sinnvoll und macht zeitlich kaum einen Unterschied zu den üblichen 12 Monaten. Der neue Bundestag wird ja im September 2009 gewählt. Und wenn der neue Bundestag dann über die Mandatsverlängerung befindet, ist das demokratisch legitimer, als wenn es der nur noch amtierende, aber abgewählte Bundestag tut. Die weitere Beteiligung an ISAF ist zwingend erforderlich, die Heraufsetzung der Obergrenze ist militärisch plausibel, weil sie mehr Spielraum eröffnet, zum Beispiel im nächsten Jahr, wenn in Afghanistan gewählt wird. Die Tornado-Beteiligung ist weiterhin problematisch. Ganz besonders problematisch aber ist, dass der militärische Einsatz mit einer insgesamt ausgesprochen halbherzigen Afghanistan-Politik der Bundesregierung einhergeht.
Das heißt, Sie werden dem Mandat nicht zustimmen.
Ich und viele andere in meiner Fraktion können nicht zustimmen. Ich werde mich wohl wie schon im vergangenen Jahr enthalten - nicht, weil ich den ISAF-Einsatz ablehne, ganz im Gegenteil. Ich enthalte mich, weil die Bundesregierung weiterhin dem strategischen Dissens ausweicht, den es in der NATO faktisch gibt, und weil sie nichts Nennenswertes dafür tut, den deutschen Rückstand bei den Aufbaubemühungen aufzuholen.
Wie bewerten Sie das Verhältnis zwischen den Kosten für den zivilen Wiederaufbau und den Ausgaben für die militärische Sicherung? Berichten zufolge erhöhen sich die Kosten für das Mandat auf gut 688 Millionen Euro. Für den zivilen Wiederaufbau stellt die Bundesregierung 2008 und 2009 aber jeweils nur 140 Millionen zur Verfügung.
Zu den 140 Millionen kommen noch einmal 30 Millionen Euro. Das ist allerdings Soforthilfe - kein Geld, das für den Wiederaufbau zur Verfügung steht. Da geht es darum, nach dem harten Winter und der Dürre eine Nahrungsmittelkrise abzuwenden. Aber es stimmt, die militärischen Kosten steigen stärker als die Ausgaben für den Wiederaufbau.
CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer fordert jetzt eine Perspektive für eine Beendigung des Afghanistan-Einsatzes "in absehbarer Zeit". Bröckelt die Unterstützung für das deutsche Engagement in Afghanistan?
Nun, es wird insgesamt immer kritischer gesehen, in der Bevölkerung mehrheitlich sehr skeptisch bis ablehnend, wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen. Aber auch im Parlament sind die Zweifel gewachsen - nicht hinsichtlich der sicherheitspolitischen Notwendigkeit, sondern hinsichtlich der Wirksamkeit und der Aussichten. Die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen, das Engagement in Afghanistan sei unabsehbar. Eine solche Aussage ist unverantwortlich, schon weil wir den Entsandten, insbesondere den Soldaten, kein unabsehbares Engagement zumuten können. Wir müssen klare Ziel- und Zeitvorstellungen entwickeln, bis wann wir eine Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und damit auch eine Abzugsperspektive hinkriegen wollen.
An welchen Zeitraum denken Sie?
Der Stabschef des ISAF-Hauptquartiers, der deutsche Generalmajor Hans-Lothar Domröse, hat darauf hingewiesen, dass auch die Planungen der Afghanen, was den Aufbau ihrer Armee angeht, auf 2013 gerichtet sind. Ein solcher Zeitrahmen ist ehrgeizig, aber realitätstüchtig. Klar ist: Mit Halbherzigkeit wird man das Steuer in Afghanistan nicht herumreißen können.
Wie stark müsste die Bundesregierung ihr finanzielles Engagement ausweiten, um das zu schaffen?
Die Niederländer haben zwischen militärischen und zivilen Aufgaben ein Verhältnis von zwei zu eins. Das scheint mir angemessen zu sein. Damit könnte man im Aufbau kräftig was hinkriegen.
Das heißt, Deutschland müsste etwa doppelt so viel wie bisher für den zivilen Wiederaufbau ausgeben.
Wir müssten deutlich drauflegen, ja. Vor allem brauchen wir jedoch eine Bedarfseinschätzung, was im Norden Afghanistans nötig ist und was die Bundesregierung neben anderen Ländern in einem klar definierten Zeitraum erreichen will. Dass es eine solche Planung bisher nicht gibt, halte ich für skandalös.
Quelle: ntv.de, Mit Winfried Nachtwei sprach Hubertus Volmer