Dossier

"Sexuell ausgehungerte Boa Constrictor" Im Unterhaus soll Ordnung herrschen

John Bercow will die Abgeordneten zur Ordnung bringen.

John Bercow will die Abgeordneten zur Ordnung bringen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

"Wildsau" oder "Gurkentruppe" - das ist bei den Briten nichts Neues. Im Unterhaus geht es traditionell schroff und laut zu. Doch ungestüme Abgeordnete erhalten jetzt die rote Karte.

"Ordnung! Ordnung!", ruft John Bercow halb vorwurfsvoll, halb verzweifelt, um im Londoner Unterhaus für Ruhe zu sorgen. Später wird er sogar an die Abgeordneten appellieren, ihrer Gesundheit zuliebe nicht aus vollem Hals zu schreien. Bercow hat die Nase voll, wenn es um den Lärm im britischen Parlament geht. Dagegen seien die Vuvuzelas bei der Fußball-WM ein "entferntes Geflüster" gewesen. Als Sprecher des Unterhauses soll er für einen reibungslosen Ablauf der Debatten sorgen. Um notorische Störer unter den Abgeordneten endlich zur Räson zu bringen, fordert er jetzt ein Äquivalent zu den roten und gelben Karten wie im Fußball einzuführen.

Bercow hat es vor allem auf "Prime Minister's Question Time" abgesehen, auf die traditionelle Fragestunde des britischen Premiers. Jeden Mittwochmittag stellt dieser sich für eine halbe Stunde den Fragen der Abgeordneten. Eine umfassende Vorbereitung und ausgesprochenes Redetalent sind hier gefragt, denn es gilt, gewandt auf vorher unbekannte Fragen zu reagieren. Tony Blair lief hier zu Höchstform auf und Großbritanniens neuer Premier David Cameron brachte als Oppositionsführer seinen Amtsvorgänger Gordon Brown mächtig ins Schwitzen.

"Jämmerlicher Winzling" und "scheinheiliger Zwerg"

Die 1961 eingeführte Fragestunde betrachtet Bercow als „Schaufenster des Unterhauses“. Gerade deshalb schade das "kindische und alberne" Verhalten einiger Abgeordneter dem Ansehen bei den Wählern. Tatsächlich konzentriert sich die öffentliche Wahrnehmung des parlamentarischen Geschehens auf "Prime Minister's Question Time". Die Frage-Antwort-Runde wird live im Fernsehen übertragen und die Plätze auf der Besuchertribüne sind heiß begehrt. Briten können ein Ticket vom Abgeordneten ihres Wahlkreises bekommen. Ausländer stehen in der Hoffnung auf eine Restkarte schon Stunden vorher Schlange - und gehen fast immer leer aus.

Tony Blair lief während der Fragstunde zur Höchstform auf.

Tony Blair lief während der Fragstunde zur Höchstform auf.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Auch die Parlamentarier nehmen die Fragestunde ernst: Nie ist das Unterhaus so voll wie am Mittwochmittag. Und kaum ist die entscheidende halbe Stunde vorbei, setzt eine regelrechte Massenflucht ein - obwohl die Sitzung natürlich weitergeht. Kein Wunder, könnte John Bercow sagen, müssen die Schreihälse und Zwischenrufer doch erst einmal ihre Stimme schonen. Bercows Ziel ist es, für "mehr Höflichkeit, weniger Lärm und weniger als Fragen daher kommende Beschimpfungen" zu sorgen. Erst kürzlich musste er einen Abgeordneten ermahnen, weil dieser Bildungsminister Michael Gove als "jämmerlichen Winzling" bezeichnet hatte. Wenige Tage zuvor war Bercow selbst als "dummer, scheinheiliger Zwerg" beschimpft worden - diesmal war Gesundheitsminister Simon Burns der Übeltäter.

Mehr Kameras sollen Missetäter entlarven

Die Beleidigungen haben durchaus Tradition. So wurde schon die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher mit einer "sexuell ausgehungerten Boa Constrictor" verglichen und Tony Blair als "Blödmann" bezeichnet. Zu den gängigsten Schimpfworten zählen "Lügner", "Schurke", "Lump" oder "Heuchler".

Neben den roten und gelben Karten setzt Bercow in seinen Reformvorschlägen nun vor allem auf das Fernsehen. Bisher dürfen die Kameras im Unterhaus lediglich den Abgeordneten zeigen, der gerade spricht. Damit soll verhindert werden, dass die ganze Nation einem sich unbeobachtet fühlenden Parlamentarier beim Popeln zuschaut. Doch manch einer nutzt die blinden Flecken der Kameras gezielt aus und übermittelt Beleidigungen per Zeichensprache. Mehr Kameras, die auch durch den Saal schwenken dürfen, sollen nach Bercows Willen solche Missetäter ans Licht zerren und so in Schach halten. Kritiker fürchten, dass mehr Kameras dem Ansehen des Parlaments weiter schaden, weil sie Abgeordnete beim Dösen oder Quatschen erwischen könnten.

Fragen kürzen, Fragestunde verlängern

Nicht zuletzt will Bercow dafür sorgen, dass die Fragestunde wieder ihren eigentlichen Zweck erfüllt: Nämlich Hinterbänkler aller Parteien zu Wort kommen zu lassen. Darum sollen dem Oppositionsführer wie zu Zeiten Thatchers nur noch vier statt bisher sechs Fragen zustehen. Alternativ könnte die "Question Time" auch auf eine Stunde verlängert werden. Vorausgesetzt, es geht gesittet zu.

Quelle: ntv.de, Anne-Kathrin Bronsert, dpa

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