Vorgezogene Parlamentswahl Island vor einem Linksruck
23.04.2009, 09:33 UhrIn kaum einem Staat hat der Sturm der Finanzkrise die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse so durcheinander gewirbelt wie in Island. Im vergangenen Herbst schrammte die Insel im Nordatlantik knapp am Staatsbankrott vorbei, im Januar fegte die protestierende Bevölkerung die seit 1991 regierende konservative Unabhängigkeitspartei aus dem Amt. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl am Samstag deutet alles auf einen eindeutigen Sieg der Sozialdemokraten hin. Weniger klar ist, ob die Partei von Interims-Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir dann auch ihr Ziel eines zügigen EU-Beitritts verwirklichen kann.
Die Umfragedaten sprechen eine klare Sprache. Eine am Mittwoch veröffentlichte Erhebung des Instituts Capacent-Gallup sagt den Sozialdemokraten knapp 32 Prozent der Stimmen voraus. Ihr linksgrüner Wunschpartner, mit dem die Sozialdemokraten bereits seit Februar in der Übergangsregierung zusammenarbeiten, kommt demnach auf 25,7 Prozent. Für die Unabhängigkeitspartei wollen nur 22,5 Prozent der Befragten stimmen - deutlich weniger als der bisherige Negativrekord von 1987, als die Konservativen 27 Prozent erreichten.
Schleppender Wahlkampf
Auch der Politikwissenschaftler Gunnar Helgi Kristinsson erwartet "ein Desaster" für die Unabhängigkeitspartei. Der Wahlkampf verlaufe schleppend, Spitzenkandidat Bjarni Benediktsson sei nicht sehr überzeugend. Die Umfragen seien "enttäuschend", räumt Benediktsson ein. "Wir haben seit der Finanzkrise offensichtlich Wähler verloren."
In der Tat dürfte die Hypothek der Finanzkrise der Unabhängigkeitspartei die Wahl verhageln. Die isländische Krone verlor im vergangenen Jahr fast die Hälfte ihres Wertes, tausende Menschen verloren ihre Ersparnisse, ein Staatsbankrott wurde nur durch einen Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der skandinavischen Länder verhindert. Inzwischen schlägt die Krise auf die Realwirtschaft durch: Die Arbeitslosigkeit, zuvor ein in Island weitgehend unbekanntes Phänomen, könnte 2009 auf zehn Prozent steigen. Die Wirtschaftskraft dürfte laut Experten um zehn Prozent zurückgehen.
Euro ohne EU
Nach wochenlangen Protesten der Bevölkerung gegen ihr Krisenmanagement trat die konservative Regierung von Geir Haarde Ende Januar zurück - ein ungewöhnlicher Vorgang in Island, wo die politische Kultur auf Konsens ausgerichtet ist. Seitdem steht die Sozialdemokratin Sigurdardottir als erste Frau in der Geschichte des Landes an der Spitze der Regierung. Die 66-Jährige war in der gescheiterten Mitte-links-Koalition von Haarde Sozialministerin, wegen ihres Einsatzes in der Sozialpolitik bekam die frühere Flugbegleiterin den Spitznamen "Die heilige Johanna" verliehen. Die zweifache Mutter ist bekennende Homosexuelle und seit 2002 mit der Autorin Jonina Ledsdottir verheiratet.
Sigurdardottir hat für den Fall ihres Wahlsiegs angekündigt, das 320.000-Einwohner-Land in die EU zu führen. Allerdings müsste sie dafür ihren bevorzugten Koalitionspartner überzeugen: Die Linksgrünen fürchten vor allem Einschränkungen für die isländischen Fischer. Ebenfalls euroskeptisch ist die Unabhängigkeitspartei. Spitzenkandidat Benediktsson spricht sich jedoch für eine Einführung des Euro aus, um das Land künftig besser vor Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten abzuschirmen.
Euro ohne EU sei eine weit verbreitete Haltung in Island, sagt Politikwissenschaftler Kristinsson. Viele Menschen wollen demnach die Gemeinschaftswährung als Garanten für Stabilität, fürchten aber zugleich einen Kontrollverlust im Fischereiwesen, das mehr als 36 Prozent der Ausfuhren des Inselstaates ausmacht. Gunnar Haraldsson, Leiter des nationalen Wirtschaftsinstituts in Reykjavik, verweist zudem auf das starke Nationalgefühl der Isländer, die erst seit 1944 von Dänemark unabhängig sind. Eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel erteilte den isländischen Sonderwünschen aber eine Absage: Die Einführung des Euro setze eine EU-Mitgliedschaft voraus.
Quelle: ntv.de, Delphine Touitou , AFP