Hartz-IV-Sätze auf dem Prüfstand Karlsruhe muss entscheiden
29.12.2009, 12:20 Uhr
Müssen Kinder im Verein Fußball spielen? Erwartet werden von Karlsruhe Anmerkungen zu einem soziokulturellen Existenzminimum.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Kein Geld für das Kicken im Fußballverein, für den Eintritt ins Schwimmbad oder für einen Kinobesuch: Tausende Kinder aus Hartz-IV-Familien müssen auf vieles verzichten, was für Altersgenossen selbstverständlich ist. Drei Familien aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, die vom Arbeitslosengeld II leben müssen, haben deshalb in Karlsruhe gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Regelsätze für Kinder geklagt. Das Bundesverfassungsgericht will im Laufe des ersten Quartals 2010 entscheiden, wie viel für ein menschenwürdiges Dasein notwendig ist. Beobachter gehen davon aus, dass das gesamte System zur Festlegung der Hartz-IV-Sätze wackeln könnte.
Im Wesentlichen geht es um die 1,7 Millionen Kinder, die Leistungen aus Hartz IV beziehen. Das Bundessozialgericht ebenso wie die hessischen Landessozialrichter halten die Kinder-Sätze schon deshalb für verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber nicht den tatsächlichen Bedarf ermittelt habe, sondern einfach pauschale Abschläge auf den Regelsatz für Erwachsene von derzeit 359 Euro vorgenommen habe: 60 Prozent (gleich 215 Euro) gibt es für Kinder unter sechs, 70 Prozent (251 Euro) für Kinder unter 14 Jahren. Für kleine Kinder, die besonders schnell wachsen, sind gerade einmal 21,47 Euro für Kleidung und Schuhe pro Monat eingeplant - Verbände fordern gut zehn Euro mehr.
Grundsätzliche Anmerkungen zu erwarten
Ein Beispiel einer Hartz-IV-Familie aus Dortmund: 1360 Euro staatliche Leistungen monatlich sollen reichen, Miete wird extra erstattet - für drei Kinder und zwei Erwachsene. Die 7,50 Euro, die der neunjährige Sohn für den Fußballverein benötigte, sind nicht drin, sagt Rechtsanwalt Martin Reucher. Die Zielrichtung der Kläger ist klar: Die Sozialkassen sollen mehr Geld für Kinder locker machen. Allerdings dürften die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber kaum konkrete Zahlen vorgeben. Vielmehr sind grundsätzliche Anmerkungen zur Frage eines soziokulturellen Existenzminimums zu erwarten.
Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe am 20. Oktober warfen die Richter in den roten Roben bereits eine ganze Reihe kritischer Fragen auf. So nannte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier das statistische Berechnungsverfahren der Regelsätze "erklärungsbedürftig". Notwendig sei eine "realitätsgerechte und konsequente Ermittlung" des kindgerechten Bedarfs. Bislang wird dieser nur rein arithmetisch auf Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe festgestellt.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dürfte das Urteil mit einiger Sorge erwarten. Schon jetzt klaffen im Bundeshaushalt gigantische Löcher. Jede Erhöhung der Hartz-IV-Sätze würde mit gewaltigen Beträgen zu Buche schlagen: 50 Euro mehr pro Kind und Monat würde eine Milliarde Euro kosten. Wenn auch noch die Sätze für etwa 650.000 alleinerziehende Hartz-IV-Empfänger angehoben werden müssen, würde die Etatlücke noch größer. Viel Zeit dürften die Verfassungsrichter der Bundesregierung für Änderungen nicht geben: Als möglicher Starttermin kursiert bereits der 1. Januar 2011.
Quelle: ntv.de, Angela Schiller und Wolfgang Janisch, dpa