Ex-Botschafter Kornblum ist sich sicher Keine US-Spione in Deutschland
16.07.2010, 15:43 UhrJohn C. Kornblum ist einer der wenigen Amerikaner, die wirklich von sich sagen können: "Ich bin ein Berliner." Der frühere stellvertretende US-Stadtkommandant von Berlin und Botschafter in Deutschland gehört zu den schillerndsten Figuren der jüngeren deutschen Geschichte. Heute ist er Politik- und Wirtschaftsberater und lebt in der Hauptstadt. Mit ihm sprach Manfred Bleskin. Am Samstag, 7.15 Uhr, und am Sonntag, 10.15 Uhr, zeigt n-tv ein Interview mit John C. Kornblum, in dem er enthüllt, wer Ronald Reagan den Satz "Mr Gorbachev, tear down this wall!" ins Redemanuskript geschrieben hat.
n-tv.de: Nach der Amtsübernahme erschien Präsident Barack Obama vielen weltweit als Heiland. Heute wirkt er manchmal wie ein gefallener Engel.

US-Präsident Obama.
(Foto: REUTERS)
John C. Kornblum: Die Situation Obamas zeigt, wie undankbar die Politik ist. Er hat die Agenda, mit der er angetreten ist, zum großen Teil schon abgearbeitet. Er hat die Wirtschaft wieder angekurbelt, die Gesundheitsreform gemacht, Amerikas Ansehen in der Welt wieder aufgewertet, die Finanzreform durchgebracht. Er hat darum ja auch seinen Slogan geändert. Es heißt nicht mehr: "Yes, we can!", sondern "Yes, we did!". Es wurde viel erreicht. Das bedeutet aber nicht, dass er beliebter geworden wäre. Das meine ich, wenn ich sage, wie undankbar die Politik ist. Gleichwohl hat Obama es versäumt, ein konkretes Bild für die Zukunft zu entwerfen. Und er hat bei der Krisenbewältigung nicht sehr viel Erfolg gehabt. Vor allem beim Ölleck im Golf von Mexiko, aber auch in Afghanistan hat er, intelligent wie er ist, sein Programm durchgezogen. Aber er hat versäumt, die Menschen zu motivieren.
Lassen Sie uns noch einmal auf die Finanzmarktreform zurückkommen. Wie bewerten Sie den Schritt?
Positiv. Der Verbraucherschutz wird verbessert, künftig gibt es eine zentrale Aufsichtsbehörde, der Handel mit Derivaten wird begrenzt, um nur einige Punkte zu nennen. Um es noch einmal klar zu sagen: Obama hat sein Programm praktisch in anderthalb Jahre erfüllt. Es gibt natürlich noch offene Punkte wie die Umwelt- und Energieziele, auch das Problem der Immigration ist ungeklärt. Alles in allem – stolze Erfolge, doch der Zuspruch bei den Wählern ist nicht gestiegen.
In den deutsch-amerikanischen Beziehungen ist irgendwie keine Musike drin, wie der Berliner sagen würde. Woran liegt’s?
Seit einiger Zeit sage ich, es gibt keine deutsch-amerikanischen Beziehungen. Es gibt jetzt eine gemeinsame globale Agenda, die vor allem der Westen gemeinsam erfüllen muss, aber auch China, Russland und andere müssen einbezogen werden. Bei der Umsetzung dieser Agenda gibt es Schwierigkeiten, es gibt auch verschiedene Meinungen in verschiedenen Fragen zwischen Deutschland und Amerika. Ich glaube, man muss allmählich von dem Begriff deutsch-amerikanische Beziehungen Abschied nehmen.
Sie sagen, in der Krise müsse man enger zusammenrücken. Mein Eindruck ist, dass vielen das nationale Hemd näher sitzt als der globale Rock.
Ja, das ist ein Teil des Problems. In Krisenzeiten orientiert man sich immer ein bisschen mehr nach innen. Sie sagen, die deutsch-amerikanischen Beziehungen wären nicht besonders gut. Aber sind immer noch viel besser als die deutsch-französischen Beziehungen. Wir befinden uns in einer gefährlichen Phase, nämlich dass Politiker, die eigentlich global denken müssen, lokal gewählt werden.
Noch einmal zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen, auch wenn Sie sagen, dass es Sie so nicht gibt. Stichwort: Aufnahme von zwei Guantánamo-Häftlingen. Die Bundesregierung hat einen Beschluss gefasst, der im Lande und bei den Landesregierungen auf nicht sehr große Zustimmung stößt. Fühlt sich Ihr Land im Stich gelassen?

Ein Gefanger treibt im Lager Guantánamo Sport.
(Foto: dpa)
Nein, unsere Regierung hat das gleiche Problem. Das ist wieder eines von diesen schwierigen Problemen. Bei uns nennt man sie "schwarze Schwäne", Dinge, die man nicht erwartet hat, und die man nicht lösen kann. Am Anfang hat Obama gesagt, wir schließen das Camp innerhalb von sechs Monaten. Dann hat er entdeckt, dass es nicht geht. Und jetzt versucht man es mit Ach und Krach.
Ist die jüngste Agentenaffäre Russland-USA ein Possenspiel oder Ausdruck von immer noch ganz tiefen Interessengegensätzen?
Nein, das ist kein Ausdruck von Gegensätzen. Es wird überall auf der Welt spioniert. In Deutschland gibt es tausende von Spionen aus anderen Ländern.
Auch amerikanische?
Nein, amerikanische gibt es nicht. Das kann ich mit hundertprozentiger Klarheit sagen. Mich hat verwundert, dass die Aufgaben dieser sogenannten Spione sehr oberflächlich waren. Ehrlich gesagt: Da hat man Geld aus dem Fenster geschmissen. Heutzutage kann man das alles über das Internet beschaffen. Das ist billiger und vielleicht sogar akkurater.
In den USA hat sich ein rechtskonservative, ultranationalistische Opposition gegen Obama formiert, die "Boston Tea Party", aber auch darüber hinaus. Müssen wir uns darauf einstellen, dass die nächste Administration sehr viel konservativer, sehr viel nationalistischer ist?
Sie haben die "Tea Party" falsch beschrieben. Die ist nicht ultranationalistisch. Es handelt sich eher um eine Bürgerbewegung, die sich gegen Umstände wendet, die für sie nicht akzeptabel sind. Da gibt es wenig Nationalismus und keinen Rechtsradikalismus. Es ist eher sehr fundamentalistische Bürgerbewegung, wie es sie auch in anderen Ländern gibt. Ich meine, die zweite Hälfte der Amtszeit von Obama wird konservativer. Obama hat verstanden, dass einiger seiner Ideen zu weit in die Zukunft weisen und er vielleicht vier Jahre zu früh gekommen ist. Es existieren große Ähnlichkeiten mit den ersten beiden Jahren von Bill Clinton. Da war er auch ziemlich weit links im amerikanischen Sinne, und dann hat er gesehen, dass das Volk ihm das nicht abkaufte und eine Kurskorrektur vorgenommen. Ich glaube, Obama wird das Gleiche machen.
Quelle: ntv.de, Mit John C. Kornblum sprach Manfred Bleskin