Steinmeiers Russland-Mission Letzter Europa-Versuch
14.05.2008, 18:08 UhrMit drahtigem Schritt steuerte der neue Hausherr im Kreml lächelnd auf seinen Gast im Katherinensaal zu. Die Begrüßung, eine angedeutete Umarmung, signalisierte Vertrautheit. Die Ansprache von Dmitri Medwedew am ovalen Tisch fiel eher förmlich aus: "Herr Vizekanzler, es ist mir eine Freude, Sie in Moskau begrüßen zu dürfen." Auch Frank-Walter Steinmeier demonstrierte Zurückhaltung: "Viel Energie, Schaffenskraft und Fortune, die man in einem solchen Amt braucht", wünschte er seinem Gegenüber an dem ovalen Tisch.
Als erstes ausländisches Regierungsmitglied bekam Steinmeier dann aus erster Hand etwas Einblick, wie die Uhren im Kreml seit einer Woche ticken. Nicht alle im Auswärtigen Amt sind richtig überzeugt davon, dass das neue Tandem Medwedew und Wladimir Putin auf Dauer hält. Schon aus historischen Gründen sei der Bevölkerung ein solches "Zarendoppel" eher schwer zu vermitteln. Die protokollarische Aufmerksamkeit für Steinmeier kam nicht von ungefähr. Er und der fast zehn Jahre jüngere Medwedew kennen sich schon lange. Über Jahre ging die Organisation der damals noch intakten deutsch-russischen Beziehungen über ihre Schreibtische. Seitdem verbinde beide "Grundvertrauen", heißt es.
Russland realistisch begegnen
Die Russen rechnen es Steinmeier hoch an, dass er als einer der wenigen Politiker immer an der Integration des Landes nach Europa festgehalten hat und es nicht ständig schulmeisterte. Dafür musste der Sozialdemokrat viel Kritik von Union und Opposition einstecken. Auch nach Einschätzung von Fachleuten hat die offene Konfrontation und die Wertedebatte, mit der Moskau in den letzten Jahren auch aus der EU überzogen wurde, bislang kaum etwas gebracht. "Um mit Russland Politik zu machen, muss man Realist sein. Es bringt nichts, den Russen ständig eine Demokratie unseres Zuschnitts einreden zu wollen", sagt der Russlandkenner Alexander Rahr. Putin sei die westliche Kritik zuletzt ziemlich egal gewesen. Die Folge war ein weitgehender Stillstand in den Beziehungen. Nach dem Führungswechsel in Moskau ist auch anderswo ein Umdenken spürbar. "Beide Seiten sollten aufhören, sich als Bedrohung wahrzunehmen" und Vorteile auf Kosten des anderen zu suchen, rät auch Helmut Kohls langjähriger Außenpolitikberater Horst Teltschik.
Wie der Beziehungsstau zwischen EU und Russland aufgelöst werden könnte, formulierte Steinmeier 3500 Kilometer von Berlin entfernt am Ural. Zuerst müssten die "Denkmuster" des Kalten Krieges über Bord geworfen werden, sagte er vor Studenten der Gorki-Universität in Jekaterinburg. Danach sollten sich Russen und Europäer an einen Tisch setzen, um ihre gemeinsamen Interessen zu definieren. Dass es sich die Deutschen und andere Europäer angesichts der rasanten Verschiebung der Gewichte in der Welt kaum noch leisten können, weiter vom hohen Ross aus auf Russland zu blicken, diese Einsicht setzt sich in vielen EU-Hauptstädten erst langsam durch.
Von einer "Goldgräberstimmung" einer boomenden Wirtschaft und einer zunehmenden Selbstsicherheit der Eliten konnte sich Steinmeier auch an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien selbst überzeugen. Auch das ökologische "Rückgrat des Imperiums", das Gebiet um Swerdlowsk, zählt sich selbst zu den "neuen Kraftzentren", die sich derzeit weltweit herausbilden. Zumindest eine Behandlung als ebenbürtige Partner erwarten auch die Russen, die sich weiter als Teil der europäischen Zivilisation verstehen. Dass dies so bleibt, ist für Kenner der Region nicht ausgemacht. Aus Enttäuschung über Europa könnte Russland auch eines Tages seine Alternative in Asien sehen. "Der liberale Medwedew ist vielleicht der letzte Versuch Russlands, nach Europa zu gelangen", warnt Rahr.
Von Joachim Schucht, dpa
Quelle: ntv.de