Dossier

Das Manifest des Rechthabers Linke am Scheideweg

Zoom auf Oskar Lafontaine - hier bei der Vorstellung des Programmentwurfs am vergangenen Samstag.

Zoom auf Oskar Lafontaine - hier bei der Vorstellung des Programmentwurfs am vergangenen Samstag.

(Foto: dpa)

Ost-Realos und radikaldemokratische Linke sind unzufrieden mit dem Programmentwurf der Linkspartei. "Der Entwurf verbindet eine antikapitalistische Analyse mit einer verstaubten sozialdemokratischen Sozialpolitik auf der Forderungsebene", sagt Parteivize Katja Kipping.

Sahra Wagenknecht versteht die Kritik am Entwurf für das neue Parteiprogramm nicht. Sicherlich werde es "noch viele Präzisierungen und vielleicht auch Verbesserungen" geben, sagt sie im Interview mit n-tv.de. "Aber ich hoffe sehr, dass die Grundlinie bestätigt wird".

Sahra Wagenknecht soll im Mai zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt werden.

Sahra Wagenknecht soll im Mai zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt werden.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Es stimmt, neu sind die Ziele im Programm nicht. Neu ist etwas anderes. Im Mai wird es eine neue Parteiführung geben, wenngleich noch nicht sicher ist, dass der Personalvorschlag der Parteispitze durchkommt. Der sieht vor, dass Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als Ost-West-Duo die Parteiführung übernehmen, Wagenknecht, die als Mitglied der 16-köpfigen Programmkommission an der Erarbeitung des umstrittenen Papiers beteiligt war, soll eine von vier stellvertretenden Parteichefs werden. Ihr persönlicher Aufstieg könnte mit einem politischen Bedeutungsverlust einhergehen. Denn die Debatte um den Programmentwurf wird zur Chance für jene Linke, die nicht dem "Lafontaine-Lager" angehören, diesem Bündnis aus meist westdeutschen Fundi-Gewerkschaftern und Kommunisten, das in den vergangenen Jahren den Rückhalt des Vorsitzenden bildete. Noch ist völlig offen, wohin die Reise geht. Sicher ist: Oskar Lafontaine hat seine Allmacht verloren.

Die Vorstellung des Entwurfs für das neue Parteiprogramm der Linken war der letzte große Akt unter den Noch-Vorsitzenden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky. Das Papier bestätigt das Offenkundige: Lafontaine hat es nicht geschafft, die 2007 gebildete Partei zu einen. Zweieinhalb Jahre lang wurde an dem Entwurf gebastelt. Herausgekommen sind 24 Seiten, die kaum umstrittener sein könnten.

"Verstaubte sozialdemokratische Sozialpolitik"

Linke-Vizechefin Katja Kipping sieht "erheblichen Nachbesserungsbedarf" im Programmentwurf. Kipping gehört zur emanzipatorischen Linken, einer radikaldemokratischen Gruppierung innerhalb der Linkspartei. Sie kritisiert die starke Handschrift der Kommunistischen Plattform und des Linken-Gewerkschaftsflügels im Programmentwurf: In der Sozialpolitik gehe es ausschließlich um gut bezahlte Erwerbsarbeit, sagt Kipping n-tv.de. "Das Programm verbindet eine antikapitalistische Analyse mit einer verstaubten sozialdemokratischen Sozialpolitik auf der Forderungsebene." Dennoch glaubt sie, dass sich das Programm noch verbessern lässt.

Das glaubt auch Dietmar Bartsch. "Dieser Entwurf wird verändert werden", sagt der scheidende Bundesgeschäftsführer. Und schiebt nach: "Das ist ja keine Majestätsbeleidigung". Dennoch ist die Forderung nach einer deutlichen Veränderung des Programmentwurfs eine Kampfansage an Oskar Lafontaine. Der hatte erklärt, er glaube, "dass in den Grundzügen sich nichts ändern wird, denn die Grundzüge geben ja das wieder, was wir in den letzten vier Jahren zur Grundlage unserer Politik hatten". Auch Wagenknecht betont: "Das sind unsere Ziele, die in vielen Wahlprogrammen beschlossen worden sind, und ich sehe eigentlich nicht, dass wir da grundlegend etwas ändern sollten."

Katja Kipping ist Vizechefin der Linkspartei. Sie soll im Mai in diesem Amt bestätigt werden.

Katja Kipping ist Vizechefin der Linkspartei. Sie soll im Mai in diesem Amt bestätigt werden.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Kipping und Bartsch geht es um eine andere Linke - der einen um eine innovative, moderne, aber durchaus auch radikale Partei, dem anderen um Realpolitik, um die Anschlussfähigkeit der Linken. Im Programmentwurf heißt es, die Linke werde sich "an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt". Wenn man diesen Satz eins zu eins nehme, sagte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte der "taz", dann "dürfte die Linkspartei in Brandenburg oder Berlin nicht regieren".

Rückblick in die 70er und 80er Jahre

Kritik kommt daher auch von Sozialdemokraten und Grünen, die keine Berührungsängste mit den Linken haben. "Der Programmentwurf ist nicht sehr praxistauglich, es ist ein Wunschprogramm von Parteilinken der Linkspartei", sagt der Berliner SPD-Chef Michael Müller, dessen Partei in der Hauptstadt seit acht Jahren zusammen mit den Linken regiert, "erfolgreich", wie Müller findet. Seine Koalitionspartner vor Ort nimmt Müller in Schutz: Die Verantwortlichen der Berliner Linkspartei hätten sehr klar gemacht, dass sie regieren wollen. Direkte Auswirkungen auf die Berliner Koalition befürchtet er nicht.

"Die Linke schießt sich mit diesem Entwurf in die Daueropposition", sagt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. "Kriterien für Regierungsbeteiligungen gehören nicht in ein Grundsatzprogramm." Enttäuscht zeigt sich auch der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick: "Der Programmentwurf atmet in vielen Teilen eine planwirtschaftliche Orientierung", sagt Schick, wie Giegold und Kipping einer der Gründungsmitglieder des Instituts Solidarische Moderne - eine Art rot-rot-grüner Think-Tank. Neue Antworten auf die Krise gebe das Papier nicht. "An vielen Stellen ist es einfach das, was schon in den 70er und 80er Jahren diskutiert wurde."

Schick sieht in dem Entwurf "ein großes Stück Populismus". Wenn die Linkspartei regieren wolle, "wird sie sich davon verabschieden müssen". Ein Abschied, der mit Lafontaine nicht möglich wäre. "Definitiv steht Oskar Lafontaine innerhalb der Linken und auch in der bundespolitischen Diskussion nicht für neue Antworten auf diese Krise, sondern dafür, Recht gehabt zu haben", meint der Grüne Schick. Die Linke Kipping ärgert, dass der Entwurf die Debatte zum Grundeinkommen nicht berücksichtigt - dem Programm fehle an dieser Stelle "die diskursive Offenheit".

Die Linke nach Lafontaine steht vor einer paradoxen Bilanz: Ohne ihren Gründervater würde es diese gesamtdeutsche Partei nicht geben, mit ihm kann sie die innere Integration nicht schaffen, die überfällig ist. Der Programmentwurf der Linken mag die Grundlage ihrer Politik der letzten vier Jahre spiegeln. In die Zukunft blickt er nicht.

Quelle: ntv.de

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