Dossier

Anfang vom Ende des Kaiserreiches Meuterei in der Marine

Matrosen ersticken Kesselfeuer und hindern die großen Kriegsschiffe am Auslaufen. Sie verweigern die Befehle ihrer Offiziere und hissen schließlich als Zeichen des Aufstands die rote Fahne an den Masten der kaiserlichen Kriegsflotte. Während laufender Waffenstillstandsverhandlungen hatten Ende Oktober 1918 Gerüchte einer gegenteiligen Order der Seekriegsleitung an Deck der Kriegsschiffe die Runde gemacht: "Die Hochseeflotte erhält die Weisung baldigst zum Angriff auf die englische Flotte vorzugehen. Dazu können alle verfügbaren Streitkräfte der Kaiserlichen Marine herangezogen werden."

Teile der Mannschaften rebellieren. Kriegsmüdigkeit, Frustration und die Angst, am Ende eines verlorenen Krieges in eine große Seeschlacht gegen die überlegene britische Royal Navy ziehen zu müssen, legen die Lunte an das Pulverfass der Unzufriedenheit innerhalb der Flotte. Vor 90 Jahren, am 29. Oktober 1918, beginnt mit der Meuterei an Bord der schwimmenden Festungen in Wilhelmshaven und wenige Tage später in Kiel die deutsche Revolution und damit das Ende des Deutschen Kaiserreichs.

Ziel der Selbsterhaltung

Einst waren die Großkampfschiffe der Stolz Kaiser Wilhelms II. Die Befehlsverweigerungen an Bord der Hochseeflotte sind jedoch die Initialzündung für eine rasante Entwicklung. Keine zwei Wochen später müssen am 9. November Kaiser und Kronprinz auf den Thron verzichten, in Berlin wird vom Sozialdemokraten Philipp Scheidemann die Republik ausgerufen.

"Die Mannschaften wussten nicht, wohin es gehen soll", sagt der Geschäftsführer des Deutschen Marinemuseums in Wilhelmshaven, Stephan Huck, über die angespannte Situation an Bord der Kriegsschiffe in den letzten Oktobertagen. Der Plan für die große Schlacht in der Nordsee entsprang dabei einzig den Überlegungen der Admiralität. Das Offizierskorps wollte seine Interessen auch über eine Niederlage des Kaiserreiches hinaus gewahrt wissen. "Die Marineführung zielte nicht auf das Wohl der Nation, sondern auf die Selbsterhaltung einer Teilstreitkraft. Sie war derart von ihrem Partikularinteresse okkupiert, dass sie die Systemveränderung im Kaiserreich, hin zur Politisierung des Krieges, nicht wahr- und den Reichskanzler nicht ernst nahm", beschreibt der Historiker Gerhard Groß die Situation.

Auftakt zur Revolution

Die Hochseeflotte war Symbol deutscher Weltmachtansprüche, der Forderung nach einem "Platz an der Sonne" des wilhelminischen Kaiserreichs. In einem Wettrüsten gegen die Großmacht England entstand vor dem Ersten Weltkrieg in deutschen Werften Geschwader um Geschwader. In den Kriegsjahren 1914 bis 1918 lag die zweitgrößte Kriegsflotte der Welt dann allerdings fast ausschließlich in ihren Stützpunkten, während sich anderswo Millionenheere gegenüber standen und Materialschlachten wüteten.

Nach dem Waffenstillstand und der Revolution versenkte sich die bei den britischen Orkneyinseln internierte deutsche Hochseeflotte in der Bucht von Scapa Flow im Juni 1919 selbst. Die Meuterei der Matrosen als Auftakt der Revolution hatte indes Nachwirkungen. Sie war nicht nur der Beginn der Umbrüche 1918, sondern auch Grundlage für die nationalsozialistische Propaganda von "Novemberverbrechern" und dem "Dolchstoß im Rücken des unbesiegten Heeres".

Quelle: ntv.de, Oliver Pietschmann, dpa

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