Nordkorea im Umbruch "Militär-Junta möglich"
12.09.2008, 11:15 UhrDie Spekulationen um den Gesundheitszustand Kim Jong Ils verstärken die Frage nach der Zukunft Nordkoreas. CSU-Politiker Hartmut Koschyk, der erst vergangene Woche zu Gast in Nordkorea war, hält es durchaus für möglich, dass sich dort nach dem Tod des Diktators eine Militär-Junta etablieren könnte. Mit n-tv.de spricht der Korea-Experte zudem über die "grauen Märkte" sowie die vorsichtige Öffnung des Landes und erklärt, warum China an einer Nordostasien-KSZE interessiert ist.
n-tv.de: Herr Koschyk, Nordkorea hat gerade den 60. Jahrestag seiner Staatsgründung gefeiert. Gibt es einen Grund dem Land zu gratulieren?
Koschyk: Ich habe den Eindruck, dass Nordkorea den 60. Jahrestag in großem Selbstbewusstsein feiert. Ob man dem Land dazu gratulieren soll oder nicht, ist für mich eine akademische Frage. Die eigentliche Frage ist für mich: Wie sorgen wir dafür, dass auf der koreanischen Halbinsel Stabilität gewährleistet ist und Nordkorea den Frieden dort nicht gefährdet?
Sie waren in der vergangenen Woche zu Besuch in Nordkorea. Welchen Eindruck haben Sie denn von der inneren Stabilität des Landes?
Seitdem wir in anderen Regionen der Welt gesehen haben, wie schnell angeblich stabile Regime zusammenbrechen können, hüte ich mich vor einer Lageeinschätzung der innenpolitischen Situation. Nach Außen macht Nordkorea aber einen gefestigten Eindruck. Allerdings zeigen die steigenden Flüchtlingszahlen aus dem Land über die nordkoreanisch-chinesische Grenze und die Öffnung gegenüber China, dass Nordkorea nicht mehr so hermetisch abgeriegelt ist wie noch in der Vergangenheit. Ich würde die Faktoren zwar nicht überbewerten, aber man darf diese Entwicklungen auch nicht vernachlässigen.
Würden Sie für nordkoreanische Verhältnisse von einem Umbruch sprechen?
Ich besuche Nordkorea seit 2001 ein- oder zweimal im Jahr. Über diesen Zeitraum lassen sich auf jeden Fall Veränderungen in dem Land feststellen. Etwa Zwischenformen totaler staatlicher Marktregulierung und einem System freier Güterverteilung. So ist in vielen Ecken des Landes ein erweitertes Warenangebot zu beobachten, das zwar sicher nicht offiziell befürwortet wird, aber geduldet ist. Diese "grauen Märkte" - zum Teil Geschäfte, in denen man mit Devisen fast alle Waren wie hier kaufen kann ? finden in Nordkorea überraschend großen Zuspruch und Absatz. Ein weiterer Faktor sind humanitäre Hilfsorganisationen, die heute weit mehr als nur reine Nahrungsmittelhilfe leisten. Sie verbessern durch das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe etwa den landwirtschaftlichen Anbau. Auch der Außenhandel ist vorsichtig geöffnet worden. Das alles war, als ich im Jahr 2001 das erste Mal das Land bereist habe, noch nicht möglich und zeigt, dass etwas im Umbruch ist. Aber diese Veränderungen sind natürlich nicht mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre in Nachbarstaaten wie China zu vergleichen.
Sind das Hinweise auf die Erosion des auf Diktator Kim Jong Il zugeschnittenen Regimes?
Ich glaube, dass diese Veränderungen vom Regime gewollt sind, um sich das Überleben zu sichern. Deshalb werden diese Veränderungen bewusst zugelassen und deshalb sucht Nordkorea in den Sechs-Parteien-Gesprächen zur Lösung des Atomkonflikts auch die Annäherung an die USA und Japan. Um zu überleben, scheint das nordkoreanische Regime bereit zu sein, auf die Nuklear-Option zu verzichten. Das Regime erhofft sich davon Sicherheitsgarantien und eine Normalisierung der Beziehungen, um dann Unterstützung von der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds bis hin zur Europäischen Union erhalten zu können.
Der Gesundheitszustand Kim Jong Ils ist das wohl best gehütete Staatsgeheimnis Nordkoreas. Sein Fehlen an den Feierlichkeiten zum Jahrestag haben die Spekulationen um seine schlechte Verfassung zusätzlich angeheizt. Was können Sie über seinen Zustand sagen?
Früher hat es bereits Spekulationen über die intellektuellen Fähigkeiten und die Machtposition des Diktators gegeben. Mir haben alle Leute von chinesischer und südkoreanischer Seite, die Kim Jong Il in den letzten Jahren begegnet sind, ein anderes Bild vermittelt. Nämlich das einer Persönlichkeit, die sehr wohl in der Lage ist, die Situation im Land zu erkennen und es national wie international zu führen.
Ich möchte über den Gesundheitszustand nicht spekulieren, aber man muss sich auf alles einstellen. Auch wenn er zeitweise durch Krankheit führungsunfähig ist, so gibt es funktionierende Führungsstrukturen im Land
Welche Folgen hätte denn sein Tod für das Land?
Ich halte es für fraglich, ob Kim Jong Il die Weichen so stellen kann, dass er einen seiner Söhne als Nachfolger installieren und so die Erbreihenfolge seit seinem Vater fortsetzen kann. Das Militär hat durch die sogenannte "Songun-Politik" ("Militär zuerst"), mit der es bei allen Fragen absoluten Vorrang genießt, innerhalb der Strukturen des Landes eine sehr dominante Rolle. Selbst die Partei ist dem gegenüber nachrangig. Angesichts dieser Dominanz lässt sich nicht ausschließen, dass nach Kim Jong Il sich eine Art von Militär-Junta etablieren könnte. Das sind aber alles Spekulationen.
Sie haben von "Grauen Märkten" und einer vorsichtigen Öffnung Nordkoreas gesprochen, trotzdem berichten die UN immer wieder von Hungersnöten. Wie steht es um die Versorgung der Bevölkerung?
Die Versorgungslage bleibt angespannt. Das Land ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft seine Bevölkerung zu ernähren und ihr Überleben zu garantieren. Nordkorea bleibt also auf Hilfe von Außen angewiesen. Aber wir haben heute nicht mehr die gleiche Situation wie noch vor einigen Jahren, als tausende Menschen in dem Land verhungert sind. In den einzelnen Landesteilen ist die Versorgungslage aber auch sehr unterschiedlich. Beispielsweise in ländlichen Regionen, in denen durch Unterstützung von Außen die Anbaumethoden verbessert wurden, ist sie deutlich besser als in den Städten.
Versorgung ist das Eine. Wie steht es um die Verbesserung der Menschenrechte?
Die Menschrechtslage ist unverändert schlecht. Hier hat es im Gegensatz zu wirtschaftlichen Öffnung keine Fortschritte hin zu einer Liberalisierung gegeben.
Gerade was akute Nahrungshilfe angeht war und ist Südkorea der wichtigste Partner des Nordens. Die Beziehung zwischen beiden Landesteilen hat sich seit dem Antritt der neuen südkoreanischen Regierung aber erheblich verschlechtert. Ist der Annäherungsprozess ins Stocken geraten?
Er tritt momentan auf der Stelle. Aber es wird wieder eine stärkere Entwicklung der Sechs-Parteien-Gespräche parallel zu den innerkoreanischen Kontakten geben. Die neue südkoreanische Regierung setzt stärker als ihre Vorgängerin auf das Prinzip des Gebens und Nehmens, das heißt keine Fortschritte im innerkoreanischen Dialog ohne Fortschritte bei den Atomgesprächen.
Wir befinden uns dabei gegenwärtig in einer wichtigen Phase, in der sich entscheidet, ob die Schwierigkeiten bei den Sechs-Parteien-Gesprächen überwunden werden können. Ich gehe davon aus, dass es dabei wieder einen verstärkten direkten Dialog zwischen Nordkorea und den USA geben wird. Und wenn es in den Atomgesprächen zu neuen Impulsen kommt, wird es auch wieder mehr Bewegung in den innerkoreanischen Beziehungen geben. Meiner Meinung nach besteht noch die Chance, die Nuklearfrage während der Amtszeit des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten zu lösen. In der Lösung des Konflikts muss man zudem auch besonders das Engagement von China würdigen.
Sind die zuletzt schärferen Töne zwischen den USA und Nordkorea, mitsamt der Drohung, das Atomprogramm wieder aufzunehmen, also nur symbolische Schritte?
Die vergangen eineinhalb Jahre in dem Prozess haben gezeigt, dass trotz der selbstbewusst vorgetragenen Standpunkte beide Seiten in direkten Gesprächen bereit sind, sich einander anzunähern.
Sie haben die konstruktive Rolle Chinas erwähnt und in einem Interview auch vom gedämpften chinesischen Optimismus gesprochen. Stützt sich dieser vielleicht auf geheime Zusagen Nordkoreas?
Die Chinesen betreiben im Falle Nordkoreas eine sehr engagierte, intensive Diplomatie. Ihr vorrangiges Ziel ist die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, weil sie kein atomares Wettrüsten in Nordostasien wollen. Eine interessante Entwicklung ist, dass offenbar die Bereitschaft da ist, dem deutschen Rat zu folgen, die Sechs-Parteien-Gespräche von der Nuklearfrage zu lösen und sie zu einem multilateralen ständigen Dialogforum zu entwickeln. Eine Art "Nordostasien-KSZE", die sich öffnet und auch eine intensivere Begleitung durch die Europäische Union vorsieht. Die Chinesen sind solchen Gedanken sehr aufgeschlossen, sie studieren den Helsinki-Prozess in Europa derzeit sehr genau ...
... der innerhalb der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ab 1974 die Öffnung Osteuropas einleitete ...
... und die Chinesen wollen auch von den Erfahrungen der europäischen Integration lernen. Wenngleich die Situation mit Europa natürlich nicht vergleichbar ist und die nordostasiatischen Länder noch mit ihrer blutigen Vergangenheit zu kämpfen haben.
Welche Rolle kann Deutschland denn in der Region spielen?
Wir können sicher nicht Vermittler sein. Aber ehrlicher Ratgeber, der die Erfahrungen der deutschen Teilung und Wiedervereinigung gemacht hat, die ohne internationale und europäische Integration nicht denkbar gewesen wäre. Dass deutsche Einheit und europäische Integration zwei Seiten einer Medaille gewesen sind, ist eine wichtige Erfahrung und ich bin der festen Überzeugung, dass auf der koreanischen Halbinsel eine Annäherung nur mit einer Verbesserung der Situation in ganz Nordostasien zu erreichen ist. Es ist ja eine interessante Parallele, dass es eine Zwei-plus-Vier-Konferenz für die Wiedervereinigung Deutschlands mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs gab und nun die Sechs-Parteien-Gespräche für Nordkorea stattfinden. Dass sich eine Arbeitsgruppe dieser Gespräche bereits mit dem Aufbau einer Art Nordostasien-KSZE beschäftigt zeigt, dass Deutschland und die EU hier wichtige Ratgeber sein können. Und es ist sicher kein Zufall, dass die ersten direkten amerikanisch-nordkoreanischen Gespräche im Januar 2007 in Berlin stattgefunden haben.
Mit Hartmut Koschyk sprach Till Schwarze.
Quelle: ntv.de