Bundesliga-Kommentar Möchtegern-Meister
17.04.2005, 12:10 UhrEin wenig, ein ganz klein wenig kam wieder der Gedanke an die Meisterschaftsentscheidung von 2001 auf, als die Bayern durch ein Tor am letzten Spieltag in letzter Sekunde Schalke den Titel wegschnappten. Jetzt bauten die Kaisertreuen wieder in letzter Sekunde den Vorsprung gegenüber den Königsblauen auf sechs Punkte aus. Die Hierarchie bleibt gewahrt; kaum vorstellbar, dass sich die Bayern bei noch zu vergebenden 15 Punkten ihren 19. Titel streitig machen lassen. "Es tut sehr, sehr weh", sagte Ebbe Sand. Und gab mit diesem Satz das Rennen verloren.
Schalke, Stuttgart, Bremen: All die Verfolger patzten. Statt ihre Chance zu suchen, waren alle drei Teams, die zumindest in die Champions League wollen, wie gelähmt. Ohne Souveränität, lethargisch Schalke. Ohne Kampfeswillen, ohne Laufbereitschaft Stuttgart. Bremen zweikampfschwach, mit vielen Fehlern im Kombinationsspiel.
Doch nicht nur bei denen da ganz oben begannen auf der Zielgeraden die Nerven zu flattern. Borussia Dortmund, den Uefa-Cup-Platz vor Augen, war nicht "gierig" genug auf das zweite Tor gegen Bielefeld, setzte nicht nach. Gleiches gilt für die Namenskusine Borussia aus Mönchengladbach, die gegen Mainz förmlich um den Ausgleich bettelte.
Unter der Woche hatte die Borussia auf ihrer Homepage die Fans tippen lassen, wer wohl absteigen werde. Als die eigenen Fans "ihre" Borussia mit mehreren hundert Stimmen vorne hatten, wurde die Umfrage nachmittags eilends aus dem Netz genommen. Fehlende Souveränität, nicht nur auf dem Spielfeld.
Wenn dann auch noch Bayer Leverkusen trotz eines Sieges nur Schmalkost bietet, wenn Sportdirektor Völler einräumt, das sei "kein Leckerbissen" gewesen, dann scheinen in der Liga nervenstark nur die zu sein, die nichts zu verlieren haben -und Bayern München. Die waren in Hannover auch nicht unbedingt überlegen, aber sie haben wieder mal in der Schlussminute gewonnen. Das ist der Unterschied zum Rest der Möchtegern-Meister.
International reicht es aber seit vier Jahren nicht mehr zum großen Wurf, weshalb jetzt der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge die Hoeneß-Rolle als "Abteilung Attacke" übernommen hat. Er stellt die ketzerische Frage, weshalb der SC Freiburg "fast" genau so viel Fernsehgelder erhalten muss wie der FC Bayern. Da werde nicht nach Leistung bezahlt.
Kurzum: Statt über die Fehleinkäufe Deisler, Rau und Hashemian nachzudenken -um nur einige zu nennen -verlangt Rummenigge unter dem Deckmäntelchen von Nationalstolz und Vaterlandsliebe mehr Geld von der Liga, damit der FC Bayern international wieder konkurrenzfähig werde. Notopfer Bayern. Wenn's denn nur ums Geld geht: Wieso ist Real so früh ausgeschieden? Und wenn die ganze Liga für die Bayern sammeln gehen würde, bräuchte in den nächsten 19 Jahren die Meisterschaft nicht mehr ausgespielt zu werden. Die Bayern werden automatisch für die Champions League gemeldet, klinken sich aus dem Liga-Betrieb aus, um sich für "höhere Aufgaben" zu schonen...
Rummenigge weiß auch schon, wo mehr Geld herkommen soll, um die Schere zwischen Real, Juve, Milan (alle um die 100 Millionen Euro TV-Geld) und den Bayern (knapp 20 Millionen) wieder ein wenig zu schließen: Vom Fernsehen, genauer gesagt, vom Pay-TV-Sender Premiere.
Der ist bereit, mehr als 180 Millionen Euro pro Saison zu bezahlen, falls er mehr "Exklusivität" erhält: Spieltage entzerren (Freitag, Samstag, Sonntag) und "Fußball für alle" viel später als bisher.
Interessanterweise schlägt Rechtehändler Günter Netzer am Wochenende im Interview mit einem anderen Blatt in die gleiche Kerbe. Die Saison 2005 ist noch nicht beendet, da werden die Bataillone für die Schlacht um die Rechte ab 2006 in Stellung gebracht. Jetzt braucht die Liga Nervenstärke, mehr jedenfalls, als auf dem Spielfeld einige Mannschaften haben.
Auch ein Hamburger Nachrichtenmagazin hat aus der Liga schon ein entsprechendes Raunen gehört. Das ist verständlich. Schließlich besteht die Aufgabe der Liga-Geschäftsführung nicht darin, Fußball zu spielen, sondern mit Gedanken. Welche dann in die Tat umgesetzt werden, steht auf einem anderen Blatt.
Eine Verschiebung der Free-TV-Berichterstattung auf den späten Samstagabend um Premiere mehr Kunden zuzutreiben, ist in Deutschland ein zweischneidiges Schwert. "ran" hat seinerzeit damit ein Desaster erlebt, und was bei fallenden Einschaltquoten die Sponsoren sagen -die in Deutschland mehr zahlen als in anderen europäischen Ländern -lässt sich auch an fünf Fingern abzählen.
Insofern könnten die Forderungen von Rummenigge, Netzer und Co., sollten sie umgesetzt werden, schnell zu einem Nullsummenspiel werden, wo auf der einen Seite das verloren geht, was auf der anderen eingenommen wird. Und zurück bleiben nur unzufriedene Fans.
Rainer Kalb, sid
Quelle: ntv.de