Dossier

Krankes Gesundheitssystem Obama setzt auf Twitter

Im wohlhabendsten Land der Welt ist zwar die Versicherung für das Auto Pflicht, die fürs eigene Wohlergehen dagegen nicht. Die Demokraten träumen schon lange von einer Krankenversicherung für alle. Obama will diesen Traum wahrmachen - mit Hilfe des Internets.

Es ist einer der gewaltigsten Brocken auf der langen Liste von Präsident Barack Obamas innenpolitischen Zielen: Die Reform des maroden US-Gesundheitssystems. Viel zu teuer und zu ineffektiv ist es, etwa 46 der 300 Millionen Amerikaner haben noch immer keine Krankenversicherung und das im reichsten Land der Erde. Als die Demokraten vor 15 Jahren ihren letzten großen Vorstoß für eine Neuordnung unternahmen - damals mit First Lady Hillary Clinton als Speerspitze - erlitten sie grandiosen Schiffbruch. Mit ein Grund: eine hochwirksame Medienkampagne ihrer Gegner.

Diesmal soll alles anders werden. Wie schon im Rennen um das Weiße Haus beansprucht Obama auch im Kampf um die Gesundheitsreform die mediale Lufthoheit für sich. Im Werben für seine Politik setzt er gezielt auf neue Kommunikationsmittel wie "Twitter" oder "Facebook". Das Internet, sind sich viele sicher, ebnete ihm den Weg nach Washington. "Das wichtigste ist", meinte Obama-Chefberater David Axelrod, unlängst mit Blick auf das brennende innenpolitische Top-Thema, "so viele Menschen wie möglich einzubinden."

Kompromissbereitschaft ist so hoch wie nie

Denn die Widerstände gegen eine Reform sind groß, sie kommen von Konservativen, aus Industrie und Ärzteschaft, obwohl das Siechtum des US-Gesundheitswesens seit langem virulent ist. Seit 75 Jahren, schreibt die "New York Times", träumen die Demokraten von einer umfassenden, landesweiten Krankenversicherung. Angesichts explodierender Kosten, die Wirtschaft und Staatsfinanzen zu ruinieren drohen, scheint diesmal aber auf allen Seiten die Kompromissbereitschaft höher denn je.

He has a dream: Barack Obama.

He has a dream: Barack Obama.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Gesundheitssystem der USA ist mit Abstand das teuerste der Welt, die Ausgaben pro Kopf liegen in etwa doppelt so hoch wie in Deutschland - was keineswegs auch bessere Qualität bedeutet: Die Kindersterblichkeit und die Todesrate nach Schlaganfällen etwa liegt über dem Durchschnitt der OECD-Länder.

Im wohlhabendsten Land der Welt ist zwar die Versicherung für das Auto Pflicht, die fürs eigene Wohlergehen aber nicht. Staatsprogramme gibt es nur für die Ärmsten und die Alten. Die meisten Amerikaner sind über ihren Arbeitgeber krankenversichert. Wer den Job verliert, büßt oft auch den Schutz ein. Dann müssen die häufig horrenden Arzt- und Medikamentenrechnungen entweder aus der eigenen Tasche gezahlt werden - bei schweren Leiden oft bis zum Offenbarungseid. Oder man versichert sich kostspielig auf eigene Faust.

Demokraten träumen vom Schutz für alle

Obama will jetzt die Gesundheitswende: Runter mit den astronomischen Kosten für alle. Keiner dürfe mehr wegen Krankheit am Bettelstab enden, niemandem dürfe eine Police vorenthalten werden, Versicherungsschutz für alle Amerikaner soll das Ziel sein, Vorbeugung müsse gestärkt werden. Der Präsident will bis zum Beginn der Sommerpause Anfang August die Entwürfe von Senat und Repräsentantenhaus verabschiedet sehen. Drei Pläne stehen im Mittelpunkt. Alle sehen sie eine Versicherungspflicht der Bürger vor, mit staatlichen Beihilfen. Wie das alles zu bezahlen ist, darüber gibt es keine Details. Schätzungen zufolge wird die Reform über zehn Jahre mehr als eine Billion Dollar (71 Milliarden Euro) kosten.

Nicht nur auf angedachte Steuererhöhungen und verschiedene Kürzungen zur Finanzierung der Neuordnung schießen sich Gegner wie US-Krankenhausverband oder Handelskammer ein. Vor allem entzündet sich Widerstand an der Idee einer staatlichen Krankenversicherung als Konkurrenz zu den Angeboten der freien Wirtschaft, die auch Obama will. Die Versicherungsbranche läuft Sturm, weil sie um ihr Geschäft fürchtet, die Republikaner sind auch dagegen.

Mit Twitter und Facebook alle erreichen

Im Werben für die Reform greift Obama wieder in die Wahlkampf-Kiste, hält Bürgerversammlungen ab und nutzt neue Internet-Mittel, wie unlängst in Annandale (US-Staat Virginia). Vor 200 handverlesenen Gästen erklärte der Präsident seine Ziele. "Aber die wahren Adressaten der Botschaft saßen woanders als in Annandale. Das Weiße Haus hofft, mit Medienseiten wie Twitter oder Facebook Wähler im ganzen Land zu erreichen", meinte die "Washington Post".

Eine der sieben Publikumsfragen wurde denn auch über den Kurznachrichtendienst ins weltweite Netz gestellt. Die Republikaner versuchten mitzuhalten: Noch während Barack Obama sprach, schossen sie virtuell per Live-Blog gegen die Ideen des Präsidenten. "Obama sagt, unsere Wirtschaft steckt wegen der Gesundheitskosten in der Krise", schrieben die Konservativen. "Aber sein Plan für eine staatliche Versicherung wird uns nur noch mehr Schulden aufbürden."

Quelle: ntv.de, Frank Brandmaier, dpa

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