"Keine Zeit verlieren" Obama stellt Weichen
09.11.2008, 18:02 UhrDas Pressecorps des Weißen Hauses begrüßte Barack Obama, als habe er seinen neuen Arbeitsplatz im Oval Office schon bezogen. Bei seiner ersten Pressekonferenz seit dem historischen Wahlsieg erhob sich die Reporterschar von ihren Stühlen, spendete Applaus. Was sie dann erlebten, war ein angehender Präsident, der zwar Entschlossenheit zeigte, aber die Erwartungen zu dämpfen suchte. Denn die Hoffnungen, die auf dem 47-Jährigen ruhen, sind in den USA selbst und weltweit gigantisch. "Ich unterschätze keinesfalls das enorme Ausmaß der Aufgaben vor uns", räumte er noch einmal in seiner Radioansprache ein. Doch scheint der Demokrat mit seinem Team bereits still und effizient die Weichen zu stellen für die neue Ära im Washington.
Denn die Zeit drängt. Jüngst brach die Hiobsbotschaft herein, dass die Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent gewachsen ist. Das ist der höchste Stand seit 1994. Experten rechnen mit mehr als acht Prozent im kommenden Jahr. Die wichtige US-Autoindustrie taumelt am Abgrund, der Internationale Währungsfonds erwartet für nächstes Jahr einen Absturz der gesamten industrialisierten Welt in die Rezession. Auf der Suche nach Vergleichen für Obamas Herkulesaufgabe greifen Historiker gerne auf die frühen 30er Jahre zurück, als Franklin D. Roosevelt inmitten der Großen Depression Präsident wurde.
Klartext mit Bush
Wenn der Demokrat mit Amtsinhaber George W. Bush im Weißen Haus zusammentrifft, dürften beide nicht nur Nettigkeiten austauschen. "Das wird keiner der üblichen Foto-Termine", sagt der demokratische Wahlstratege Peter Fenn. "Da wird es ans Eingemachte gehen, wie man der Wirtschaft helfen kann." Bush hat bereits Offenheit signalisiert und will alles tun, um eine nahtlose Machtübergabe zu garantieren. Die Hände in den Schoß zu legen, hat der amtierende Präsident auf seinen letzten Metern nicht vor. "Die Amerikaner erwarten, dass der Präsident dem Volk dient. Diese feierliche Pflicht erfülle ich, solange ich im Amt bin", betonte er.
Aber das Obama-Team steht schon in den Startlöchern, Entscheidungen der Bush-Regierung ungeschehen zu machen. Nach einem Bericht der "Washington Post" haben Mitarbeiter des künftigen Präsidenten eine Liste von rund 200 Verfügungen der scheidenden Administration zusammengestellt, die schleunigst null und nichtig gemacht werden sollen. Darunter seien beispielsweise Maßnahmen zum Klimawandel, Stammzellen-Forschung und Abtreibungsregularien. Umgekehrt will die Bush-Regierung der "New York Times" zufolge in letzter Minute etwa beim Umweltschutz oder der Energiepolitik noch eine ganze Reihe von Verfügungen durchpeitschen, die ganz im Sinne der Konservativen sind.
Zu viel für Obama?
Obama lässt keinen Zweifel daran, dass er sich der brenzligen Lage bewusst ist. "Wir dürfen keine Zeit verlieren", betonte er abermals in seiner Radioansprache. Einen "Rettungsplan für die Mittelschicht" will er ins Werk setzen und ein weiteres Konjunkturprogramm für die schwachbrüstige Wirtschaft unterstützen.
Wenige Tage vor seiner Wahl machte Obama seine weiteren Prioritäten klar: Nach Hilfen für die gebeutelten Durchschnittsamerikaner steht die Energiepolitik an, dann die Krankenversicherung, dann Steuerreform und schließlich die Schul- und Ausbildungspolitik. Allerdings wurden in US-Medien schon Stimmen laut, ob sich Obama mit all dem nicht übernehme, auch angesichts eines riesigen und weiter wachsenden Haushaltslochs, das er von seinem Vorgänger erbt.
Frank Brandmaier, dpa
Quelle: ntv.de